In dieser Rubrik stellt Rudolf Bussmann jede Woche Lyrik vor. Diese Woche beschäftigt er sich mit «Mini Bitch», einem neuen Text des Wahlbasler Rappers Greis.
«Mini Bitch»
Läck hani ghübschet i de letzte jahr
Chuum bini zrügg u ds land verliebt sech scho am ersten aabe
Wott sech scho häregä, aus wäri DÄ, zu aum bereit
Doch i gib nur es küssli u när steui se ids taxi hei
I bi nes ching vo de stärne, wosch di verliebe
Rächne mit stundetarife vo eduprostituierte
I mach’ di glücklech, i bsorg’ dr’s, oh missy
Doch s’giut o für di schwyz, no lips, no kissing
Süsch gib’ dr aus gib’ mi uus aus dini begleitig chaasch
mi umereiche und i zeig mis arsch a dine vernissage
machsch aues für mi, i mues nur mit de finger schnippe
Masch mi nümme teile, flehsch i söu bitte für immer blybe
Doch i mues ga, zyt isch scho gly verby
Leg di wider aa, schwyz, süsch tribi di no i ruin
Luegen uf d’uhr, mir si gränzen am sueche,
d’fraag isch am ändi nur, wär isch wäm sini huere
Du bisch Mini und i Dini
Fleh doch mini lippe gits nid
Süsch gib dr aues aber aues het si pryys und
faus di verliebsch wirsch baud scho ruiniert si
Du bisch mini Bitch und o Iri
was mache die Macker mit dir
i nimm di mit, mir gö furt vo däm Puff
i mach’ aues widr guet
es liebt di kene so win ig my love
mir heinis au schomau verchouft, du weisch ja guet wi das geit
hesch nach 700 jahr immer no hut wines baby
du bisch so schön und begehrenswärt i däm chleid
edli helvetia, i wett dr e teddy gä und es bett, ehrlech
di andere wei di nur usnäh und verhuere
Wenn di d’zuehäuter am fyyrabe figge machsch d’ouge zue
söusch di nid iimische, si wei für di entscheide und rede
Doch neutralität heisst ja nüt aus du tribsches mit jedem
s’isch für d’versorgig und biudig vo dine ching
doch wüu dini macker di hinterzieh, blybt für die nümme viu
si hei di verchouft, itz muesch no zale für iri spiusucht
s’blybt nur e rote fläcken ufem wisse liintuech
si liebe di nid weisch, si figge di nur und isoliere di
aber i bi da für di, baby, ig, i liebe di
chum mir gö furt, gö zäme gränze ga sueche
dfrag isch am ändi nur, wär isch wäm sini huere
Ein sehr ungleiches Paar, das hier besungen wird. Sie ist Frau Helvetia, die Schweiz im allgemeinsten Sinn. Er ist – ja wer eigentlich? Von sich gibt er nichts preis, er bleibt schillernd wie ein Chamäleon. Es könnte der (oder ein) Sänger sein, der sich augenzwinkernd als Strichjunge ausgibt, als Liebling des Landes, der sich von diesem verwöhnen lässt. Cool erklärt er der Verehrerin den Tarif: Sex ja, aber ohne Liebe, und dies zu einer hohen Gage.
Es könnte sich aber auch um ein ganz anderes Herrchen handeln: um eines, das sich an offiziellen Anlässen prostituiert und es gewohnt ist, dass das Land seinen Interessen dient. Nicht er ist die Hure, sondern sie, die Schweiz, ist die seine.
Helvetia, die entjungferte
Dieser Gedanke setzt sich in der zweiten Hälfte des Songs fest. Das Liebesverhältnis hat sich umgekehrt: der Sänger (resp. der echte, der wahre Liebhaber) hat sich in Helvetia verliebt, er ist eifersüchtig auf die Freier, die seine Geliebte ausnehmen und entmündigen. Das Wort Neutralität erfährt in seinem Mund eine böse Umdeutung: Neutralität will nichts anderes besagen, als «du tribsches mit jedem». Helvetia sieht er als Mutter, die sich für ihre Kinder als Hure verkaufen muss. Der Rapper lässt durchblicken, wer seine Geliebte ausbeutet: die Steuerhinterzieher, die Banken, die sich auf dem Finanzmarkt verspekuliert haben, und die Politiker, welche die Schweiz international isolieren.
Er sieht die Schweizerfahne entehrt: Auf dem weissen Leintuch hat es rote Flecken, Symbol der Entjungferung, der Schändung seiner Geliebten. In einem romantischen Anflug will er mit ihr fliehen, will «zäme gränze ga sueche». Kehrt aber sogleich zur nüchternen Sicht des Realo zurück: Am Ende frage sich dann doch, wer eigentlich wessen Hure sei. «am ändi» klingt auf Berndeutsch gleich wie «am mändi». «Am Montag bin nur ich wieder der Ausgebeutete», so wäre dann die letzte Zeile zu verstehen, und der Rapper gäbe sich zu erkennen als der ewig schuftende Prolo.
Greis liebt es mit Wörtern zu spielen. Auch der Titel kann auf zwei Arten gelesen werden, als «meine Hure» oder als «Mini-Bitch». Die Mini-Bitch ist ein Teeny mit dem Outfit eines Stars; zu seinem Image gehört es, häufig den Liebhaber zu wechseln. «I wett dr e teddy gä» ist eine Anspielung auf diese Art junge Frau oder «i steue si ids taxi hei». Helvetia, die liebenswerte Göre, die es vor denen in Schutz zu nehmen gilt, denen sie allzu leicht zur Beute wird.
Perfekte Symmetrie
Das Titelwort «Bitch» kommt in der geschriebenen Fassung des Songs nur einmal vor: in der Mitte des Refrains, der seinerseits von zwei gleich langen Strophen eingefasst wird. Es bildet exakt den Mittelpunkt des Textes. Die «Bitch»-Zeile gibt den Moment an, wo das schnippische Geplauder des verwöhnten jungen Manns in das Schmachten des Verliebten umschlägt, der von der «edlen Helvetia» schwärmt. Sie bildet das Scharnier des perfekt symmetrisch gebauten Gesamttexts. Der Refrain als ganzer hebt sich auf der CD auch akustisch vom nüchternen Rap-Ton der beiden Strophen ab, er wird mit Nachdruck gesungen und ist melodiös.
Die karge Begleitung auf Ben Notis akustischer Gitarre, die auf Mätzchen und Effekte verzichtet, der strenge Aufbau und der bei aller Gesellschaftskritik poetische Grundton klingen wie eine Referenz an das klassische französische Chanson. Greis hat eine enge Beziehung zur französischen Kultur. Er verlebte die ersten Lebensjahre in Lausanne, seine Raps sind oft zweisprachig.
- Der Song entstammt dem Album «MeLove», das vor einer Woche bei Soundservice erschienen ist. Es ist das vierte Soloalbum, das der Rapper Grégoire Vuilleumier (*1978) unter dem Künstlernamen Greis herausgebracht hat. Im Interview mit der TagesWoche gibt Greis freimütig über sich, seine Texte und seine Musik Auskunft.