Eine Weihnachtsgeschichte in wenigen Zeilen schrieb einst Bertolt Brecht. Seine Fassung von Christi Geburt, unser heutiges Wochengedicht, nennt sich schlicht «Die gute Nacht».
Die gute Nacht
Der Tag, vor dem der große Christ
Zur Welt geboren worden ist
War hart und wüst und ohne Vernunft.
Seine Eltern hatten keine Unterkunft
Und auf den Strassen herrschte ein arger Verkehr
Und die Polizei war hinter ihnen her
Und sie fürchteten sich vor seiner Geburt
Die gegen Abend erwartet wurd.
Denn seine Geburt fiel in die kalte Zeit.
Aber sie verlief zur Zufriedenheit.
Der Stall, den sie doch noch gefunden hatten
War warm und mit Moos zwischen seinen Latten
Und mit Kreide war auf die Tür gemalt
Dass der Stall bewohnt war und bezahlt.
So wurde es doch noch eine gute Nacht
Auch das Heu war wärmer. als sie gedacht
Ochs und Esel waren dabei
Damit alles in der Ordnung sei.
Eine Krippe gab einen kleinen Tisch
Und der Hausknecht brachte ihnen heimlich einen Fisch.
(Denn es musste bei der Geburt des großen Christ
Alles heimlich gehen und mit List.)
Doch der Fisch war ausgezeichnet und reichte durchaus
Und Maria lachte ihren Mann wegen seiner Besorgnis aus.
Denn am Abend legte sich sogar der Wind
Und war nicht mehr so kalt, wie die Winde sonst sind.
Aber bei Nacht war er fast wie ein Föhn.
Und der Stall war warm. Und das Kind war sehr schön.
Und es fehlte schon fast gar nichts mehr –
Da kamen auch noch die Dreikönig daher!
Maria und Joseph waren zufrieden sehr.
Sie legten sich sehr zufrieden zum Ruhn
Mehr konnte die Welt für den Christ nicht tun.
Bertolt Brecht schrieb das Gedicht mit 28 Jahren im Dezember 1926, noch vor seinem ersten bedeutenden Lyrikband «Bertolt Brechts Hauspostille» von 1927. Es wurde in keine seiner Gedichtsammlungen aufgenommen und blieb bis zu der Werkausgabe in der edition suhrkamp anfangs der 60er Jahre unveröffentlicht. Es liest sich als Bericht, der am Tag vor Christi Geburt einsetzt und nach der Entbindung endet. Die im Neuen Testament auf mehrere Tage verteilte Weihnachtsgeschichte ist auf wenige Stunden eingekürzt. In der Raffung der Zeit ist deutlich die Hand des Dramatikers zu spüren, der vieles von dem weglässt, was die Bibel berichtet – etwa das Auftreten der Hirten –, dafür anderes hinzudichtet.
Der Chronist gibt sich Mühe, dem heiligen Geschehen zumindest dem Anschein nach seine Referenz zu erweisen – die Nacht ist «gut», das Kind ist «schön» –, doch gilt seine Aufmerksamkeit mehr dem irdisch-praktischen Geschehen als dem Jubel über die Geburt des Herrn. Er übernimmt getreulich gewisse Vorgaben, ohne sich lange bei ihnen aufzuhalten, sie scheinen ihm eher im Weg zu sein: «Ochs und Esel waren dabei / Damit alles in der Ordnung sei». Auch über die Geburt stellt er nur gerade lakonisch fest, sie sei «zur Zufriedenheit» verlaufen. Was ihn interessiert, sind die Bedingungen, unter denen sie vor sich geht – die Beschaffenheit des Stalls, die Frage der Mietskosten, die Temperatur. Und vor allem der unerwartet servierte Fisch, für den die Krippe als Tisch hergerichtet wird und wieder als das dient, was sie eigentlich ist: ein Ort, wo sich Futter findet.
Stolpernder Rhythmus
Das Gedicht setzt mit erheblichem Pathos ein, getragen von regelmässigen Knittelversen, dem Versmass vieler mittelalterlicher Epen. Nach wenigen Zeilen kommt es jedoch ins Trudeln, verliert den strengen Rhythmus und stolpert schlecht und recht dem Ende zu. Die Vorläufigkeit, in die sich die Heilige Familie einmieten muss, das Behelfsmässige der ärmlichen Unterkunft schlagen in der Sprache mehr und mehr durch. An manchem Ort wirken die Verse arg zusammengezimmert, sei es, dass zwei Reimwörter identisch sind (durchaus – aus), sei es, dass ein Satz auf rührend unbeholfene Weise umgestellt ist («Maria und Joseph waren zufrieden sehr») oder die Zeilen mit beliebig vielen Silben angefüllt werden. Eleganz und Schliff fehlen, das Gedicht wirkt behelfsmässig wie ein Versuch aus der Werkstatt. Von der erhabenen Botschaft der Weihnachtserzählung bleibt nicht viel übrig. Nicht viel, aber doch das Wesentliche. Dieses bricht mit der Schlichtheit und Wucht eines Wunders in die Szene ein: «Und der Hausknecht brachte heimlich einen Fisch.» Der Knecht tut, was das mitmenschliche Gewissen ihm eingibt. Er muss es heimlich tun, wohl weniger der Spione von König Herodes wegen als vielmehr deshalb, weil sein Herr Verdacht schöpfen könnte. Dieser einfache Mensch handelt in unmittelbar christlichem Mitgefühl; die Schlusszeile klingt wie ein Kommentar zu seinem Akt der Barmherzigkeit: «Mehr konnte die Welt für den Christ nicht tun.»
Die Eltern des Neugeborenen reagieren unterschiedlich auf die unsichere Situation im Stall. Während Joseph sich Sorgen macht, bleibt Maria zuversichtlich. Sie vertraut ihrem Schicksal, ganz im Sinne der Ermahnung in Matthäus 6.26, die dem Gläubigen nahelegt, sich wie «die Vögel unter dem Himmel» zu verhalten: «Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen, und euer himmlischer Vater nähret sie doch.» Wer sich in Gottes Hand weiss, muss um sein Leben nicht fürchten: Das ist die zweite christliche Botschaft, die es im Gedicht zu entdecken gibt. Bertolt Brecht mokiert sich zwar über die Weihnachtsgeschichte, wie sie überall gedankenlos heruntergebetet wird, dennoch lässt er es sich nicht nehmen, zwei seiner Figuren, den Hausknecht und Maria, wie nebenbei mit urchristlichen Eigenschaften auszustatten. Mehr konnte der Atheist für die Christen nicht tun.
Bertolt Brecht
Das literarische Wirken Bertolt Brechts (1898 Augsburg – 1956 Berlin) umfasst neben dem reichen Bühnenschaffen und dem umfangreichen erzählerischen Werk auch rund zwei Dutzend Gedichtsammlungen. Brecht lebte zur Zeit der Niederschrift des Gedichts in Berlin; nach Vertreibung und Exil kehrte er 1948 in den Ostteil der geteilten Stadt zurück. Eine erste Fassung des Gedichts erschien am 25. Dezember in der «Vossischen Zeitung», die hier veröffentlichte sowie eine dritte Fassung, alle vom Dezember 1926, sind Typoskript geblieben. Alle finden sich in Bd. 13 der Grossen kommentierten Berliner und Frankfurter Ausgabe, die der Suhrkamp Verlag 1988–1998 herausgab.