Wochengedicht #41: Norbert Hummelt

In seinem Gedicht «syrinx» schreibt der deutsche Lyriker Norbert Hummelt über das Werben um eine Geliebte, über Nähe, die verloren gegangen ist und wiedergefunden werden will.   syrinxein heisser hauch im nacken der mich weckte: du kamst mitdeiner zunge an mein ohr ich träumte schon als du dichzu mir legtest so frisch geduscht u. nicht […]

Wochengedicht

In seinem Gedicht «syrinx» schreibt der deutsche Lyriker Norbert Hummelt über das Werben um eine Geliebte, über Nähe, die verloren gegangen ist und wiedergefunden werden will.

 

syrinx

ein heisser hauch im nacken der mich weckte: du kamst mit
deiner zunge an mein ohr ich träumte schon als du dich
zu mir legtest so frisch geduscht u. nicht im schlafanzug

dann lagen wir u. starrten an die decke. den stummen
vorwurf hieltest du mir vor. ich sagte nur dass ich jetzt
nichts mehr sage. dann sprachen wir u. stürzten nur noch

mehr. die finsternis in der ich gehe ist vollkommen. sogar
die strassenbahnen sind um diese stunde leer. nur meine
schritte auf dem pflaster hallen. das erste licht kommt aus

den bäckereien. die ersten vögel wachen auf. du schläfst
vielleicht. ich aber bin der kälteste von allen u. kann mir
nicht verzeihen: was mich erlöst ist nur dein heisser hauch.

Er schläft, sie legt sich nackt zu ihm ins Bett: Das Gedicht beginnt mit einer Liebeszene, die in der zweiten Strophe ein abruptes Ende findet. Das Wort, das zum Absturz überleitet, heisst vieldeutig «dann». Es lässt offen, ob die Vorwürfe und das anschliessende Schweigen sich an die Bettszene anschliessen, ob dazwischen Tage, Wochen oder Jahre liegen. Am Ende steht auf jeden Fall ein Bruch. Die dritte Strophe, die unvermittelt im Präsens einsetzt, rückt die Geschichte der Beziehung in eine unbestimmte Vergangenheit. Die Lesenden müssen sich, zusammen mit dem schreibenden Ich, damit abfinden, dass die Bettszene der Erinnerung angehört. Die Gegenwart katapultiert uns in dunkle Strassen irgendwo in der Stadt. Es ist früher Morgen, die Strassenbahnen fahren schon wieder, noch schlafen die meisten Menschen, noch schläft wohl die Frau, an die der Schreibende denkt.

Die Nähe in der Ferne

Das Gedicht setzt eine deutliche Zäsur zwischen die Zweisamkeit des Beginns und die Einsamkeit danach. Syntaktisch werden die beiden Teile gerade noch knapp zusammengehalten durch das Enjambement genau in der Mitte, wo im Satz «u. stürzten nur noch // mehr» das letzte Wort sich im zweiten Teil wie ein Enterhaken festkrallt und eine dünne Brücke zu ihm bildet. Der Schreibende tut im Fortgang des Erinnerns alles, um die beiden Teile nicht ganz auseinanderklaffen zu lassen und den Kontakt zu der Liebesszene nicht zu verlieren: Er spricht die Geliebte auch im zweiten Teil direkt an; in der «finsternis in der ich gehe» denkt er permanent an sie. Und die Erwähnung ihres Atems bildet eine feste Klammer um das Gedicht. Mit der Wendung «dein heisser hauch» kehren seine Worte am Schluss zum Liebesglück des Beginns zurück. Ich kann mich von dir nicht lösen – dies ist die Erkenntnis des letzten Satzes. Und es ist weit mehr als blosse Erkenntnis.

Der Liebende als Sänger

«Syrinx» heisst das Gedicht. Es spielt auf die schöne Nymphe Syrinx an, die in Ovids «Metamorphosen» vom bocksfüssigen Gott Pan begehrt wird. Norbert Hummelts Buch, in dem es steht, trägt den Titel «Pans Stunde». Wir werden hier offensichtlich Zeugen der Liebeswerbung eines Pans der Grossstadt, der seine Geliebte wieder zu sich locken will. Dazu dient ihm anstelle der Flöte, die der griechische Gott Pan aus einem Schilfrohr schnitt, das Lied, das er anstimmt und das in melodischen Versen gebaut ist. Auf die Panflöte, die auch Syrinx genannt wird, nimmt die Überschrift explizit Bezug. Der Liebende versucht mit den Mitteln der Sprache zu erreichen, was die göttliche Flöte mit ihren Klängen zustande bringt. Seine Worte sollen die Angebetete für ihn einnehmen, für ihn, der als «der kälteste von allen» seinen Worten die Botschaft mitgibt, die sein kühles Verhalten auszudrücken nicht imstande ist.

Norbert Hummelts «Syrinx» gibt es auch in einer verfilmten Version:

Norbert Hummelt

Der Lyriker und Essayist Norbert Hummelt, 1962 in Neuss geboren, studierte Germanistik und Anglistik an der Universität Köln. Von 1988 bis 1992 war er Leiter der Kölner Autorenwerkstatt. Er übersetzt aus dem Englischen, gibt Kurse am Deutschen Literaturinstitut Leipzig und ist Redaktor der Zeitschrift Text + Kritik. Seit 2006 lebt er in Berlin. «pans stunde» (2011) ist sein siebter Lyrikband, der wie die meisten im Luchterhand Verlag erschienen ist. Norbert Hummelt wird am Internationalen Lyrikfestival, das vom 25. bis zum 27. Januar im Literaturhaus Basel stattfindet, auftreten. 

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