Ein Hauch Erotik zieht sich durch das Gedicht «patience» von Jan Wagner. Der Hamburger Lyriker mit Wohnsitz Berlin hat dieses 2010 im Buch «Australien» veröffentlicht.
patience
ich sehe es noch. im busch die zwei versteckten
räder und das waldlicht, der talon,
nach dem die farnhand greift, die decke
mit ihren plastiktellern,
den überresten vom baiser.
im schilf die allianz von wasserläufern.
libellen kontrollieren die pässe
der mückenlarven.
man könnte gerade noch zu uns hinüberrufen
durch diesen sommer, den geruch von modder,
der fremd und schlüpfrig über allem steht,
ein gutes stück vom ufer
entfernt, wie bube und dame in der mitte
gespiegelt, bis zum nabel schon im see.
Eine Art Déjeuner sur l’herbe ist hier im Gang, die Decke ist am Boden ausgebreitet, darauf befindet sich neben dem Plastikgeschirr auch ein Stock Karten («talon») und ein Rest Patisserie. Für die beiden Dinge werden die französischen Ausdrücke verwendet, und diese bilden zusammen mit dem ebenfalls französisch geschriebenen Titel ein Dreieck des Vergnügens, worin ein Kartenspiel, eine Süssigkeit und das Bewusstsein von Musse eine Rolle spielen. Ein Hauch Erotik zieht sich durch das Gedicht, hervorgerufen durch die Worte «schlüpfrig» und «versteckt», durch das Bild des sich im Wasser spiegelnden Paars und nicht zuletzt aufgrund der Doppelbedeutungen von «talon» (Absatz eines Schuhs) und «baiser» (Kuss).
Ambivalenzen
So wie das Paar im See zur Hälfte echt und zur Hälfte gespiegelt ist, legt das Gedicht nicht eindeutig fest, wo die Grenzlinien des Faktischen durchgehen. Sind ausser dem Paar noch andere Leute zugegen oder dient die Zeile «man könnte gerade noch zu uns hinüberrufen» nur der Distanzangabe? Soll das Versteck einen ungestörten Liebesgenuss ermöglichen oder sind die Räder ganz einfach nur vor Dieben in Sicherheit gebracht worden? Und auf welches Spiel bezieht sich der Titel?
Vielleicht ist es gerade die Ambivalenz dieses Sommeridylls, die den Dichter zu seinem Arrangement gereizt hat und ihm den Ausruf «ich sehe es noch» entlockt.