Wochengedicht #61: Róža Domašcyna

Unser Wochengedicht trägt den Titel «Er legte sich zu mir» und stammt von der sorbischen Dichterin Róža Domašcyna. Er legte sich zu mir am rande des marktes legte er sich zu mir ich sagte habnichts so binnichts er sagte trink den wein den man dir nachträgt ich sagte wärm dich bei Vielhabens auf doch er […]

Wochengedicht

Unser Wochengedicht trägt den Titel «Er legte sich zu mir» und stammt von der sorbischen Dichterin Róža Domašcyna.

Er legte sich zu mir

am rande des marktes legte er sich zu mir

ich sagte habnichts so binnichts

er sagte trink den wein den man dir nachträgt

ich sagte wärm dich bei Vielhabens auf

doch er legte sich zu mir

denn ich besitze ein wort ohne ort

ein gedicht ohne gericht

eine schelle ohne elle

und ein schloss ohne schlüssel

dahin führt ein weg ohne steg

der ist unten gemauert und oben gemalt

er legte er sich zu mir

legte sich doch zu mir.

Es kommt als federleichte Liebesstrophe daher, dieses Gedicht mit seinen volksliedhaften Wendungen, seinen Alliterationen, Binnenreimen und Wiederholungen. Man kann es der Vagantendichtung zurechnen, wobei es für einmal eine Vagantin ist, die hier spricht oder singt, eine, die nichts besitzt und den Liebhaber auch gleich auf diesen Makel hinweist. Der Liebhaber lässt sich nicht beirren, er sagt nur einen Satz, der ganz in ihrem Sinn ist: nimm, was sich dir anbietet, packe die Gelegenheit beim Schopf.

Wer er ist, bleibt im Dunkeln, er wird nicht, wie es in Liebesgedichten gern der Fall ist, in all den Vorzügen gepriesen, die ihn liebeswert machen und vor allen anderen Liebhabern auszeichnen. Auch setzt, nachdem sich die Umworbene angemessen geziert hat, kein tändelnder Liebesdialog ein. Vielmehr hebt die Frau an, über sechs Zeilen hinweg ihr eigenes Lob zu singen, das Lob einer Stadt- oder Landstreicherin, die nirgends zu Hause ist, jedoch über Geheimnisse verfügt, die sie begehrenswert machen. Vor allem die Kraft der Poesie ist ihr eigen, die Macht der Verführung durch das Wort. Ihr Reichtum besteht aus lauter nichtmateriellen Werten. Dass der Liebhaber diese erkennt und schätzt, zeichnet ihn nun doch vor allen andern Männern aus, das Lob gilt einem, der sich durch äusserliche Mittellosigkeit in seiner Liebe nicht beirren lässt.

Das Klingeln der Sehnsucht

Doch so edel mögen seine Motive auch wieder nicht sein. «wärm dich bei Vielhabens auf», rät sie ihm, was darauf schliessen lässt, dass auch er nicht viel besitzt und sich an sie heranmacht, um billig an sein Vergnügen zu kommen. Gilt ihr selbstbewusstes Herausstellen der eigenen Qualitäten einem andern Randständigen?

Die entsprechenden Verse gleichen in ihrer klingelnden Rhetorik schon fast dem Werben einer Marktschreierin. Auch die mehrfache Wiederholung von «er legte sich zu mir» respektive «doch er legte sich zu mir» deutet darauf hin, dass weniger eine bestimmte Erinnerung als eine unerfüllte Sehnsucht die Grundmelodie des Liedes bilden. Dazu passt, dass in der allerletzten Zeile das «doch» an eine andere Stelle gerutscht ist, wodurch der Satz einen doppelten Sinn bekommt.

Zunächst wird man ihn so verstehen, dass der Geliebte sich dennoch, trotz der äusserlichen Armut, zu der Sängerin legte. Doch in ihm schwingt auch die zweifelnde Frage mit: Er legte sich doch zu mir? Das Fragezeichen fehlt, aber es fehlen alle Satzzeichen im Text. Der Vorgang, den das Lied preist, scheint nicht verbürgt zu sein, wie der muntere Ton vorgibt, viel eher singt sich hier eine ihre Einsamkeit vom Leib. Das Augenzwinkernde passt zu dieser schlauen Bardin, die, wenn sich schon kein Liebhaber zu ihr legen mag, doch so zu locken versteht, dass man sich dem Reiz ihres Liedes nicht zu entziehen vermag.

 


Die sorbische Lyrikerin und Übersetzerin Róža Domašcyna wurde 1951 in Zerna in Sachsen geboren. Von 1968 bis 1972 arbeitete sie in der Redaktion der sorbischen Kinder- und Jugendzeitschrift Płomjo und der Tageszeitung Nowa doba. Sie studierte Ingenieurökonomie des Bergbaus, bevor sie am Literaturinstitut Leipzig ein Literaturstudium begann. Seit 1990 ist sie freie Schriftstellerin und Nachdichterin (insbesondere von Werken in slawischer Sprache). Sie lebt in Bautzen. Gegen ein Dutzend Bücher mit Lyrik und lyrischer Prosa stammen aus ihrer Feder, wobei sie teils auf sorbisch, teils auf deutsch veröffentlicht, in ihre Poesie aber oft die je andere Sprache mit einbezieht. „Stimmfaden“ heisst der Band, aus dem das Gedicht stammt, erschienen 2006 im Verlag Wunderhorn.

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