Wochengedicht #8: Kurt Marti

In dieser Rubrik stellt Rudolf Bussmann jede Woche Lyrik vor. Heute, am Pfingstmontag, beschäftigt er sich mit einem Gedicht des Schweizer Autoren Kurt Marti. Kurt Marti. (Bild: zVg) siesta leib im licht-schatten-wurf der lamellen stillstehendie hitzedie zeit nur zoé zebrasschlafatemgeht Am liebsten würde man dabei sein, an diesem heissen Mittag im abgedunkelten Zimmer, in dem […]

Kurt Marti.

In dieser Rubrik stellt Rudolf Bussmann jede Woche Lyrik vor. Heute, am Pfingstmontag, beschäftigt er sich mit einem Gedicht des Schweizer Autoren Kurt Marti.

Kurt Marti.

Kurt Marti. (Bild: zVg)

siesta

leib im
licht-schatten-wurf
der lamellen

stillstehen
die hitze
die zeit

nur zoé zebras
schlafatem
geht

Am liebsten würde man dabei sein, an diesem heissen Mittag im abgedunkelten Zimmer, in dem ein Mensch schläft. Durch die Lamellen fallen Lichtstreifen auf ihn, beziehungsweise auf sie. Eine Frau ist es oder ein Mädchen, auf jeden Fall ein weibliches Wesen. Sie heisst Zoé, mehr wissen wir nicht über sie. Das Gedicht hält nur zwei Wörter für sie bereit: «Leib» und «Zebra». Zusammen erwecken diese den Eindruck eines körperlich anwesenden Tiers. Eines Tiers, das für seine Herdentreue bekannt ist und dessen Färbung mit dem Harmonisieren von Gegensätzen in Verbindung gebracht wird.

Siesta, Zeit der Ruhe. Kein Vorgang stört die Idylle, es gibt keine handelnde Person, keine Bewegung im Raum. Das einzige konjugierte Verb steht am Schluss. «Geht» meint nicht ein Weggehen, gar das Sterben, sondern genau das Gegenteil: Zoés Atmen zeigt, dass sie lebt. Das Wort gibt auch keine Ortsveränderung an. Ihr Atem «geht» heisst: Sie bleibt. Eine spürbare Spannung vibriert in diesem Verb und setzt sich, durch kein anderes Wort neutralisiert, im Nachklang der letzten Zeile fort.

Zoés Zuschauer

Erst von diesem «geht» her bekommt die mittlere Strophe ihr eigentliches Gesicht. Beim ersten Lesen sind wir versucht, «stillstehen» spontan mit dem Rest der Strophe zusammen zu bringen: «Still stehen die Hitze, die Zeit». Im Nachhinein gerät «stillstehen» in ein Spannungsfeld mit «geht», dem einzigen andern Verb. Von diesem wird es aus seinem Kontext gelöst und in Opposition gesetzt: Hier geht der Atem, dort steht still – wer? was? Die Antwort kann nur lauten: Der Schritt dessen, der zuvor herumgegangen oder gerade hereingekommen ist. Im «stillstehen» verbirgt sich der Zuschauende. In der Mitte des Gedichts hält er inne. Bis jetzt hat er einen Leib und Lichtstreifen gesehen, jetzt nimmt er richtig wahr: die Hitze, die Zeitlosigkeit, darin schlafend das weibliche Geschöpf, das er mag oder liebt, das wieder erwachen wird. Die Siesta ist für ihn nicht nur die Zeit des Ausruhens, sondern auch die Zeit der Verheissung. Es wird, es darf weitergehen mit Zoé und ihm, dem stillen Betrachter.

Das Gedicht hat Kurt Martis bisher letztem Gedichtband den Titel gegeben: «Zoé Zebra» erschien 2004 bei Nagel & Kimche. Kurt Marti wurde 1921 in Bern geboren, in dessen Nähe er lebt. Unter den vielen Auszeichnungen, die er erhielt, sei der Preis der Schweizerischen Schillerstiftung hervorgehoben, den er 2011, seinem 90. Lebensjahr, entgegennehmen konnte. Ihm verdanken wir über ein Dutzend lyrische Werke, daneben eine Reihe von Erzählungen, Notizen, Aphorismen und – Marti ist Theologe und amtete lange Jahre als Pfarrer – zahlreiche Schriften, die sich mit Fragen des Glaubens, der christlichen Praxis und mit Gott auseinandersetzen.

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