Heute Freitag ist die Fusionsinitiative lanciert worden. Die Frage, ob sich die beiden Basel wieder zu einem Kanton zusammenschliessen sollen, polarisiert. Auch bei uns in der Redaktion. Beide Meinungen können Sie hier in einem «Pro und Contra» lesen.
Pro: Die Bürde der Vergangenheit
Philipp Loser
Wie nah uns das alles geht, das lässt sich bei meinem Chef unten auf dieser Seite nachlesen. Urs Buess, ein Itinger, hat mir, einem Buckter, vor dem Verfassen dieses Kommentars folgende Worte gesagt: «Gerade du!»
Ja, gerade ich. Jahrelang habe ich mit Buess gemeinsam den Spott der Basler über uns Oberbaselbieter ertragen, jahrelang haben wir das Fähnlein des wackeren Baselbieters aufrecht in die Höhe gehalten und uns an unserer so glorreichen Herkunft ergötzt.
Aber wir lagen falsch.
Wir lebten eine Sehnsucht. Wir stellten uns das Baselbiet und die Baselbieter von damals vor: liberal, aufgeklärt, mutig; und wir meinten, immer noch in diesem Kanton zu leben. Wir wären gerne dabei gewesen, damals, beim revolutionären Kampf gegen jene verknorzten Herren in der Stadt, die uns die Mitsprache verweigerten und die später auch bei der Entstehung des Bundesstaats, der grössten Schweizer Leistung überhaupt, abseits standen. Wir waren die Zukunft, wir waren die Speerspitze der Moderne, die endgültige Abkehr vom Feudalismus, die Wiege der Volkssouveränität.
Wenn wir heute nun über die Fusionsinitiative der Grünen reden, tun wir das immer noch im Bewusstsein des Damals – und lassen das Heute aussen vor. Natürlich! Denn wir wissen, dass wir alle nicht mehr die Baselbieter von damals sind.
Inwiefern unterscheidet sich ein Hans Rudolf Gysin, der während seiner Jahrzehnte als Chef der Wirtschaftskammer nichts als undurchsichtige Klientel-Politik betrieben hat, von einem Seidenband-Herren? Wo ist unser Liberalismus geblieben, wenn wir ein paar trinkende Jugendliche mit dem Helikopter überwachen müssen? Wo unsere Eigenständigkeit, wenn unsere einzige Erklärung für die eigene Misere alle anderen sind?
Nein, wir sind wahrlich nicht mehr die Baselbieter, die wir alle gerne gewesen wären. Vielleicht hat uns die Abspaltung nicht gut getan, hat uns Heutigen eine heroische Vergangenheit aufgepfropft, an der wir scheitern müssen. Weil sie zu gross ist. Und weil sie nicht mehr in unsere Welt passt.
Niemand nimmt uns unsere Geschichte, wenn wir in einem selbstbestimmten Akt Ja zu einer Fusion mit den Baslern sagen. Ein Ja würde uns von der Bürde der Vergangenheit erlösen und würde den Weg frei machen, gemeinsam mit den Baslern einen modernen und offenen und mutigen Kanton zu schaffen. Einen Kanton, an dem die Baselbieter von damals ihre Freude hätten.
Contra: Abschied in die Bedeutungslosigkeit
Urs Buess
Okay, dann bin ich halt altmodisch, konservativ, nostalgisch – aber ich bleibe dabei: Eine Fusion der beiden Basel ist Blödsinn.
Schon nur darum: Man nennt die Wiedervereinigung diesmal Fusion. Seit etwa 20 Jahren werden wir wöchentlich Zeuge von Firmenzusammenlegungen. Mittlerweise wissen wir: Bei Fusionen gibt es Gewinner (Aktionäre, mittleres und oberes Kader) und Verlierer (die unteren Chargen). Wenn Firmen fusionieren, Synergien nutzen und Personal abbauen, übernimmt der Staat die Kosten für die Verlierer. Wer soll sie nun übernehmen, wenn zwei Kantone fusionieren? Auch der Staat, die Kantone? Oder soll es bei Kantonsfusionen keine Synergien geben? Sollen die beiden Beamtenapparate unverändert bestehen bleiben und immer mal wieder zwei das Gleiche tun? Warum dann das Ganze?
Das Problem ist ja nicht, dass die beiden Basler Halbkantone nicht überlebensfähig wären. Das eine Problem ist, dass die bürgerlich dominierte Baselbieter Regierung mit einer hundslausigen Politik (überrissene Steuergeschenke, unüberlegte Ausgaben) das ländliche Basel in den Schlamassel geritten hat. Da muss das Baselbiet wieder raus. Selbstständig. Es darf ja wohl nicht sein, dass hinter der Fusion der Gedanke steckt, Basel-Stadt möge nach einer Vereinigung den Schaden übernehmen. Der Finanzausgleich würde auch ohne rote Baselbieter Kasse mehr Geld aus der Stadt aufs Land spülen als umgekehrt. Beim jetzigen Kontostand in Liestal wäre es massiv mehr.
Das andere, viel wichtigere Problem ist, dass die beiden Basel im Vergleich zur Bevölkerungszahl zu wenig Gewicht in der Schweiz haben. Zu wenig Einfluss, zu wenig Personen, die sich für die Interessen der Region engagieren. Stichwort Wisenbergtunnel, Stichwort Flughafen-Bahnanschluss, Stichwort Hochschulförderung und so weiter. Noch hat die Region zwei Regierungen, die sich einsetzen können. Nach einer Fusion wäre es noch eine. Ein Rückschritt. Dabei bräuchten wir Fortschritt, mehr Gewicht in der Eidgenossenschaft. Nicht nur zwei Regierungen, sondern auch vier Ständeräte. Zwei Standesstimmen statt nur einer. Das heisst: Wir bräuchten zwei Vollkantone. Das zu realisieren, ist schwieriger, als eine Fusion zu bewerkstelligen. Gewiss. Aber mit einer Fusion verabschieden wir uns in der Schweiz endgültig in die Bedeutungslosigkeit und akzeptieren freiwillig, dass ein Urner Stimmbürger zehnmal mehr zu sagen hat als ein Basler oder Baselbieter. Auf ewig.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 03.08.12