José Luis Valle ist ein junger Bildermacher. Ganz gelassen zeigt er, wie die Wohlstandswelt in Mexiko aussieht, wenn sie in Not gerät. «Workers» ist die stilistisch stillste Revolution seit langem.
«Workers»! Gibt es das noch? Arbeiter? Wohl nur noch im Film? Zumindest scheint sich der Filmtitel tatsächlich erst einmal geirrt zu haben. So wie Filmtitel sich oft irren: Das erste Bild ist das Meer, mit einer Reihe von Möven, die im Strandsand nach Futter picken. Erst könnte man meinen, das Bild sei eingeschlafen. Doch ganz, ganz, gaaanz langsam schiebt sich von rechts eine wuchtige Metallmauer ins Bild: Kein Schiff, kein Fels, keine Staumauer – eine stählerne Grenzbefestigung. Doch nicht die Eisenmauer schiebt sich unaufhaltsam ins Bild, sondern wir bewegen uns auf sie zu, bis sie das Bild füllt: Und wir auch die Menschen erkennen, die sich an dieser Mauer aufhalten, durch zwei Kontinente getrennt: Diese Mauer trennt Südamerika von Nordamerika. Aber noch deutlicher arm von reich.
Eigentlich wollte José Luis Valle einen Dokumentarfilm drehen
Valle folgt mit seinen eindrücklichen Bildern dieser scharfen Trennlinie von Arm und Reich. Die Reichen sind sinnlos reich. Die Armen machen Sinnloses mit. Aber halt! Machen sie wirklich mit? Rafael putzt in einer Glühbirnenfabrik Dreck weg, Lidia kümmert sich im Haus einer reichen Frau um den Windhund. Rafael arbeitet für einen Hungerlohn als Sans-Papier. Lidia belohnt den Hunger des Windhundes mit einem Rindsfilet. Rafael lässt aber auch den Wasserhahn sinnlos offen. Lidia steckt dem Hund sinnloses Essen zu.
Einst waren Rafael und Lidia ein Paar. Bis der Tod des Kindes sie trennte. Jetzt leben sie, auf zwei Seiten einer Grenze, vereint in der Armut, getrennt durch den Reichtum – der anderen. Valle erzählt das gelassen, mit der Lakonie von Kaurismäki, mit dem Humor von Tati – lässt uns schauen und überlässt uns unseren Anschauungen: Das Arbeiterpaar taucht fast so zufällig im Bild auf, wie die Möven im Anfangsbild. Es gibt eine Hackordnung, auch bei den Workers. Wer Valles Welt lesen will, der darf sich selber einen Reim auf seine Bilder machen. Wer gerne Bilder liest, wird hier höchstes Kinovergnügen finden.
Valle. Den Namen merken wir uns.
Jede Begebenheit wird lange und ausführlich ausgestellt. Das dauert meist länger, als andere Filmer uns zuzumuten wagen. Valle kann das. Weil er eben unfassbar treffsichere Bilder findet: «Princessa», die einsame Windhündin der einsamen Mutter des Drogenbosses, wird von den Bediensteten am Abend zum Strand gefahren. Sie soll dort beim Nickerchen den luxuriösesten Sonnenuntergang erleben dürfen. In derart schrillen Bildern fasst Valle die Leere und den Überfluss in einem einzigen Bild zusammen, so bissig, dass man losschreien möchte – vor Vergnügen und Erkenntnisblödsinn.
Wenn der lahme Putzteufel Rafael seine povere Wohnwagwelt verlässt, tut er es nie, ohne seinen Wellensittich im Käfig mit einer neckischen Drehhung zum Fliegen einzuladen. Auch das Eingesperrtsein soll seinen Reiz behalten. Er selber ist schon eingesperrt genug. Er darf selber auch nicht aufhören zu arbeiten. Er arbeitet weiter. Gegen weniger Lohn.
Die stille Sabotage
Das Anfangsbild hat uns ahnen lassen, dass sich hier nur langsam, langsam etwas bewegt, am Grenzwall zwischen Reich und Arm. Es ist keine Revolution, die die «Workers» anzetteln. Es ist eine kleine moralische Verschiebung in ihrem Wertekatalog: Rafael fängt an das zu tun, was den kleinen Leuten in jedem Krieg bleibt: kleine subtile Sabotageakte. Lidia greift gar zu einer noch heftigeren Gegenwehr.
Als die Hausherrin stirbt, geht ihr Vermögen an den Windhund über. Die «Workers» sollen fortan für sein Wohl sorgen. Das tun sie dann auch, nach bewährter Manier. In stilvoll stiller Sabotage.
Wir sind in jenem Land, in dem jährlich mehr Menschen im Krieg zwischen Arm und Reich sterben, als im Irak-Krieg. In diesem Krieg fangen jetzt die Armen an – so zeigt es Valle – den Krieg zu bekriegen. Sie tun es gelassen, unauffällig und leise. Sie haben nichts zu verlieren. Nicht einmal ein goldenes Kettenchen.
Mit dem letzten Bild kommen wir auf der anderen Seite des Eisenwalles an. Ganz unbemerkt langsam haben wir die Seite gewechselt: Jetzt stehen wir auf der Seite jener, die nicht mehr an eine Revolution denken können. Höchstens noch an ein wenig an ihr kleines Glück, das täglich nicht aus viel mehr besteht, als das Hündchen der Superreichen Gassi führen zu dürfen.