Das Parlamentsgebäude von Louis Kahn in Dhaka ist Symbol für den Aufbruch Bangladeschs in die Unabhängigkeit. Werke von Kahn sind aktuell im Vitra Design Museum zu sehen.
Warum hat Kurt Wyss dieses «Ding» fotografiert? Er hat es – noch – nicht gekannt, wie es ihm Januar 1972 beim Anflug in die Augen sprang. Der Fotograf war mit einer Maschine der Balair unterwegs, um als Medien-Observer festzustellen, ob und wie die Hilfsgüter ankamen, die für die kriegsgeplagten Bangladeschi gesammelt worden waren.
Hilfsgüter – ich erinnere mich: Die Anteilnahme am Massenelend des von Bangladesch geführten Unabhängigkeitskampfs war – wenigstens in den USA und in Westeuropa – gross. George Harrison und sein Freund Ravi Shankar spielten am 1. August 1971 im New Yorker Madison Square Garden zwei Benefizkonzerte, an denen 40 000 begeisterte Zuhörer teilnahmen. Ravi Shankar und Ali Akbar Khan – der eine auf der Sitar, der andere auf der Sarod – stellten damals dem Westen noch wenig bekannte Musik vor.
Neben George Harrison nahmen viele andere Popgrössen teil, von Ringo Star bis Bob Dylan. Selbstverständlich kaufte ich die mehrteilige Apple-Edition dieses Pop-Polit-Konzerts – so viel zur Anteilnahme.
Architektur ist schön und gut. Wichtiger ist, was in den Gehäusen gemacht wird.
Am Boden erfuhr Wyss auch mehr über den sonderbaren Bau und lernte sogar seinen Schöpfer kennen: Louis Kahn, der zu Beginn der 1960er-Jahre vor Le Corbusier und Alvar Aalto den Zuschlag bekam. Bei Baubeginn, 1962, hatte Dhaka nur den Status einer zweiten Hauptstadt.
Bangladesch erlebte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zwei Unabhängigkeiten: eine 1947 als Ostteil Pakistans vom Britischen Empire und 1971 eben als eigenes Land losgelöst von Pakistan. Dhaka, in dessen näherem Radius heute mehr Menschen leben als in der Schweiz (ca. 13 Millionen), wurde zur Hauptstadt. Das Gebäude wurde erst 1983 – also elf Jahre nach der vorliegenden Aufnahme – fertig. Architekt Kahn erlebte die Vollendung nicht mehr. Er starb 1974 mit 73 Jahren in New York an einem Herzschlag.
Das Kahn-Gebäude ist heute teilweise von Wasser umgeben, davon gibt es im Überschwemmungsland Bangladesch viel. Die ersten Skizzen für das monumentale Werk soll Kahn an Ort und Stelle von einer Barke aus gemacht haben. Architektur ist schön und gut. Noch wichtiger ist aber, was in den Gehäusen gemacht wird, seien es Schulen, Theater oder Parlamente. Wie in vielen Fällen sind uns die Erscheinungsbilder der Repräsentationsbauten geläufiger als ihre innere Substanz.
Am Freitag, 22. Februar, wird um 19 Uhr im Vitra Design Museum in Weil eine Louis-Kahn-Ausstellung eröffnet. Ihr Titel «The Power of Architecture». Die erste Retrospektive seit zwei Jahrzehnten soll mit einer bisher noch nie präsentierten Vielfalt an Modellen, Originalzeichnungen, Fotos und Filmen aufwarten.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 22.02.13