Dänu Siegrist kennt man in der Schweiz seit über 35 Jahren als Mundart-Sänger und Songwriter. Für die TagesWoche hat er seine Trauer über den Tod des Cantautore Lucio Dalla in Worte gefasst. Eine Laudatio aus tiefstem Herzen.
Diese Reise ist zu Ende. Irgend etwas bricht gerade weg, etwas Wichtiges, Vertrautes. Als hätte man mir ein Teil meiner Vergangenheit geklaut. Und das unter diesem viel versprechenden Himmel. Im grellen Licht dieser scheinheiligen Märzsonne.
Ist es der Klang deiner Klarinette, die ich gerade zu vermissen beginne? Die, die für mich damals aus den scheppernden Plastikboxen des Schnäppchenmarktes in Livorno wimmerte. So sanft über Geigen blubberte, dann murrte, krächzte wie ein Waschweib und sich in kleinen sperrigen Serpentinen hinabwand – bis zum sanften Finale von «You’ve Got A Friend».
Deine rauhe, manchmal brüchige Stimme, die uns in allen Lagen die Welt erklärte. Aus Sicht eines Bettlers, eines kleinen Vorstadtjungen, eines enttäuschten Geliebten oder eines gerührten Dichters. Die uns traurige Briefe vorsang und uns auf dem Weg zum Erwachsenwerden begleitete. Sie verstand es trefflich zu scherzen, sie lachte gerne über die Welt und sich selbst.
Zeitgeist
Begonnen hat deine Karriere in den 1950ern mit Jazz, Klarinette, Saxophon und mit dem Umzug von deiner Heimatstadt Bologna nach Rom. Dort hast du mit Grössen wie Charles Mingus und Chet Baker gespielt. Anfang der 70er sang Gianni Morandi deinen Song «Occhi Di Mare» in die Hitparade und am Festival San Remo hast du mit «4/3/1943» den Durchbruch geschafft.
Der Rest ist Geschichte. Auch unsere Geschichte – denn wir folgten dir und deinen Kumpanen in verrauchte Clubs und zugige Festhallen. Zu zigtausenden bevölkerten wir die Stadien, als du mit Francesco de Gregori 1979 auf Italientour warst.
Wir haben dich nie aus den Augen verloren, du warst viel mehr als ein Musiker. Du hast einen Zeitgeist verkörpert. Eine Lebenshaltung, die mit Respekt vor dem Anderssein und Toleranz gegenüber dem Fremden, Unbekannten zu tun hat. Das hat uns gefallen, das nehmen wir mit auf den Rest des Weges. Grazie Lucio.
L’ultima luna (Lucio Dalla)
Den letzten Mond sieht nur ein neugeborenes Kind, Augen hatte es schwarz, tief und rund, ward ganz still, mit grossen Schwingen langte es nach dem Mond und entflog, im Flug geborgen, es war der Mensch von Morgen.