Yves Saint Laurent brachte nicht die Kraft auf, sein Leben in der Haut Couture zu erzählen. Das besorgt nun Pierre Bergé für die Haute Volée. Entstanden ist ein Film der schmeckt wie Haute Cuisine: Fein, fein. Und draussen wartet dasLeben.
Es ist viel Kunst verlangt, wenn man in zwei Stunden das Leben eines der berühmtesten Zeitgenossen erzählen will, ohne dabei die Kreise der Haute Volée zu verlassen. Im Film «Yves Saint-Laurent» gelingt das: Der Regisseur Jalil Lespert konzentriert sich ganz auf das schillernde Leben am Mode-Zarenhof von Saint Laurent.
Der Film macht aus der Tatsache, dass Yves Saint Laurent nicht die Kraft aufbrachte, sein eigenes Leben zu erzählen immerhin ein bemerkenswertes Portrait einer selbstbezüglichen Klasse. Vielmehr als eine Geschichte der Haute Couture schildert der Film das Gesicht der Haute Volée.
Der Autor der Vorlage, Pierre Bergé, beschreibt sich selbst als den Zeremonienmeister am Hof. Er destilliert aus dem höfischen Leben eine Hauptfigur: Sich selbst. Pierre Bergés Lebensbeichte liegt dem Film über die Partnerschaft mit Yves Saint Laurent zugrunde.
Viel Modisches
Was aus dem Leben von Yves Saint Laurent dann letztlich zu erfahren ist, liest sich wie der Auktionskatalog seines Nachlasses. Da sind Eltern und Künstler rund um die Ikone drapiert wie hübsche Möbelstücke: Mal schreitet ein Karl Lagerfeld herrschaftlich durchs Bild. Mal lümmelt Andy Warhol im Eck. Mal lächelt Mama süsslich in die Gegend hinaus. Der Titelheld dient hübsch sensitiv als Titelrolle.
Doch der Hauptrolleninhaber ist sein Lebenspartner Pierre. Auf seiner Erzählung basiert auch «Yves Saint Laurent». Als Haushofmeister des lebensscheuen Zaren herrscht Bergé über das Imperium. Das Schnittmuster des Films ist rasch sichtbar: Unter den Fittichen Pierre Bergés verhübscht der hochbegabte Yves der Haute Volée mit Haute Couture den allabendlichen Ausflug in die Haute Cuisine.
Pierre verwaltet das Talent seines Hofprinzen geschickt, soweit sich daraus Gewinn schlagen lässt. Er steht ihm bei, als er sich mit seiner Kollektion von Dior emanzipiert. Er setzt das Jungtalent auf dem Markt durch.
(Bild: Keystone)
Darstellerische Rafinnesse
Die eigentliche Kraft gewinnt der Film aus den Darstellern. Guillaume Gallienne und Pierre Niney stellen überwach und febril die Partnerschaft der beiden Männer als Mode-Modell einer unkonventionellen Ehe jener Zeit dar. Zwischen Machtränken und Begehren, Genie und Eigensinn geben die beiden die «Précieuses Ridicules».
Die Partnerschaft hat viele Stürme zu überdauern, die sie selber entfacht. Die Liebe vergeht. Die Zeit läuft weiter. Die Geschäfts-Partnerschaft überdauert die Krisen. Nach Aussen existiert Yves Saint Laurent weiter für die Mode. Nach Innen zerfällt er.
Von der damaligen Welt, die Yves umgibt, die Yves meidet und die Yves fürchtet, ist zu sehen, was in jedem erlesenen Hochglanzmodeheft noch heute zu lesen wäre: Nichts. Immerhin erfahren wir – Jahreszahlen.
Die Hauptrolle gehört nicht der Mode
Einmal taucht in einem der üppig überladenen Filmbilder ein kleines Schwarzweisskästchen auf: Aus dem Fernseher erfahren wir, dass es draussen eine Welt gibt, die sich nicht an Saumlinien ergötzt oder in Schnittmustern badet und an enganliegenden Stoffen reibt. Die Welt befindet sich in Aufruhr, in Yves Heimat Algerien werden Aufständische massakriert. Aber der Aufruhr dringt nicht zu Yves. Nur das Aufrührerische erreicht ihn: Wenn der Kommunismus siegen würde, sagt er, würde er weiter Mode machen: «Blusen zeichnen. Blusen. Blusen, die immergleichen Blusen.»
Das ist das Zeitgenössischste, was wir von dem Abgeschirmten erfahren. Er selber hält sich eine kleine Lecture de la philospophie. Alles Grosse, so liest er bei Proust, ist den Neurotikern (Nerveux) geschuldet. Sie bestimmen den Lebensnerv der Gesellschaftselite.
Yves zitiert Proust:
«Tout ce que nous connaissons de grand nous vient des nerveux. Ce sont eux et non pas d’autres qui ont fondé les religions et composé les chefs-d’œuvre. Jamais le monde ne saura tout ce qu’il leur doit et surtout ce qu’eux ont souffert pour le lui donner. Nous goûtons les fines musiques, les beaux tableaux, mille délicatesses, mais nous ne savons pas ce qu’elles ont coûté, à ceux qui les inventèrent, d’insomnies, de pleurs, de rires spasmodiques, d’urticaires, d’asthmes, d’épilepsies, d’une angoisse de mourir qui est pire que tout cela.»
Das Génie der Vermeidung
Pierre Bergés Leben wäre leer gewesen ohne das Genie, das er vor dem Leben bewahrt hat. Der Film machte aus dem Genie der Mode immerhin ein Genie der Vermeidung. Vom Leben Yves bleibt die Sehnsucht nach Leben. Er nimmt Mode-Drogen, sammelt Mode-Künstler und übt Mode-Posen. Der Regisseur Jalil Lespert destilliert aus Bergés Blick auf Yves gerade noch die Création des modischen Geschöpfs. Die Kreationen des Modeschöpfers selbst bleiben hübsche Dekoration. Der Film gibt Modischem viel Raum. Der Mode kaum
Das Leben in der Sehnsucht nach Leben.
Seinem Titel wird der Film immerhin dann gerecht, wenn vor unseren Augen Kleider entstehen. Dann dürfen wir für Sekunden Zeugen von Schöpfungen sein, die über das Modische hinausweisen. In einem knappen Faltenwurf, in der subtilen Verschiebung einer Saumnaht blitzt für Sekunden auf, worüber der Film eigentlich sein will: Die Schöpfung der Mode. Davon bleiben in diesem Prêt-à-Porter-Film dann schliesslich nur ein paar modische Geschöpfe.
Der Film läuft in den Kult-Kinos