Mit unerschütterlicher Hoffnung haben die Helfer im italienischen Erdbebengebiet ihre Suche nach Überlebenden unter den Trümmern fortgesetzt. Die Zahl der Toten stieg bis Donnerstagabend auf mindestens 250.
Das teilte der Zivilschutz mit. Hunderte Nachbeben erschwerten die Arbeit der Suchmannschaften und sorgten immer wieder für Panik unter den Bewohnern. Laut dem Zivilschutz gab es in Amatrice und Accumoli bisher die meisten Toten, und zwar 184. 365 weitere Menschen wurden verletzt und in Spitälern behandelt.
Für obdachlos gewordene Einwohner wurden Zelte aufgestellt, 1200 nahmen das Angebot an, hiess es weiter. 50 ältere Menschen und Kinder hätten die Nacht in einer Turnhalle verbracht.
In Amatrice sollte am Wochenende ein kulinarisches Festival stattfinden, der mittelalterliche Ort ist berühmt für seinen Schinken und eine Tomatensauce für Pasta.
Unter den Toten sind offenbar auch mehrere Ausländer. Die Aussenministerien in Madrid und Bukarest bestätigten am Donnerstag den Tod eines spanischen und fünf rumänischer Staatsbürger. Der Zivilschutz in Italien wollte die Todesfälle noch nicht bestätigen, schloss aber nicht aus, dass es auch ausländische Opfer gegeben haben könnte.
Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) hat derzeit keine Kenntnis von toten oder verletzten Schweizer Staatsangehörigen, wie es am Donnerstag mitteilte. Das EDA und zahlreiche Schweizer Hilfsorganisationen, darunter das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) und der Schweizerische Verein für Such- und Rettungshunde (REDOG), haben Italien Nothilfe angeboten.
Schweiz für Hilfseinsatz bereit
Wir sind einsatzbereit“, sagte eine Srecherin des SRK auf Anfrage der Nachrichtenagentur sda. Auch das EDA hat ein Soforteinsatzteam zusammengestellt, wie es auf Anfrage mitteilte. Bis jetzt sei aber noch keine Hilfsanfrage der Italiener eingegangen. Die Lage im Erdbebengebiet werde beobachtet und analysiert, so das EDA.
Obwohl seit Stunden kein Verschütteter mehr lebend geborgen wurde, rief der Zivilschutz am Donnerstag die Menschen auf, den Mut nicht zu verlieren. Er erinnerte daran, dass der letzte Überlebende nach dem verheerenden Erdbeben im nahegelegenen L’Aquila noch nach 72 Stunden gerettet werden konnte.
Das Beben hatte am frühen Mittwochmorgen im Gebiet zwischen den Regionen Latium, Marken und Umbrien mehrere Dörfer teilweise zerstört.
Nachbeben richtet weiteren Schaden an
Hunderte Menschen verbrachten die Nacht in Zelten, ihren Autos oder bei Gastfamilien in weniger betroffenen Nachbarorten. Sie wurden von Dutzenden Nachbeben immer wieder aufgeschreckt. Eines von ihnen richtete am frühen Morgen weitere Schäden an.
Nach wie vor ungewiss war, wie viele Menschen noch vermisst wurden. Am Mittwoch schwankten die Schätzungen zwischen 50 und mehreren hundert Vermissten, und auch am Donnerstag konnte der Zivilschutz keine konkreteren Angaben machen.
Das liegt daran, dass sich die Einwohnerzahl in den vielen pittoresken Dörfern der Region während der Sommermonate verdrei- oder vervierfacht. Vor allem in das malerische Dorf Amatrice, das bei dem Erdbeben zu grossen Teilen zerstört wurde, strömen im Sommer viele Bewohner der 150 Kilometer entfernten Hauptstadt Rom, um der Hitze in ihrer Stadt zu entfliehen.
Nach wie vor unklar war unter anderem das Schicksal von 28 der 32 Gäste im komplett eingestürzten Hotel Roma. Der Bürgermeister von Araquata del Tronto, Aleandro Petrucci, rief alle Bewohner seines Dorfs auf, sich zu melden, sollten sie woanders Unterkunft gefunden haben.
Renzi verspricht sofortigen Wiederaufbau
Regierungschef Matteo Renzi versprach bei einer Krisensitzung seines Kabinetts, den Wiederaufbau in der Erdbebenregion sofort in Angriff zu nehmen. Er habe die Lektion aus dem Drama von L’Aquila gelernt. Bei dem Beben in dem nur eine Autostunde entfernten L’Aquila waren 2009 mehr als 300 Menschen ums Leben kamen. Das jüngste Erdbeben in Italien könnte nach Einschätzung des Zivilschutzes mehr Menschenleben fordern als die Katastrophe in L’Aquila.
Nach der Katastrophe von L’Aquila hatte die Zivilschutzbehörde fast eine Milliarde Euro für die Nachrüstung von Gebäuden in Erdbebengebieten zur Verfügung gestellt. Wegen des mühsamen Antragsverfahrens wurden aber nur wenige Fördergelder abgerufen, sagen Kritiker.
«Hier, mitten im Erdbebengebiet, wurde nie etwas getan», sagt Dario Nanni von der italienischen Architektenkammer. «Es kostet nicht viel, Gebäude erdbebensicher zu machen. Aber nur 20 Prozent der Gebäude hier entsprechen den Standards».
Das verheerende Erdbeben in Mittelitalien hat Kritik am Umgang des Landes mit dem Erdbebenschutz befeuert. Fachleute fordern neue Massnahmen bis hin zum Abriss von älteren Gebäuden ohne historischen Wert.