Ein Skandal um Korruption und Geldwäsche rund um das Vorzeige-Bauprojekt «Mose» erschüttert Venedig: Die Polizei nahm am Mittwoch zahlreiche Verdächtige fest, die im Zusammenhang mit der Grossbaustelle in der Lagunenstadt Millionensummen veruntreut haben sollen.
Im Morgengrauen strömten rund 300 Beamte der Finanzpolizei in den Regionen Venetien, Lombardei, Emilia Romagna und Latium aus. Festgenommen wurden nach Polizeiangaben 25 Verdächtige. Zehn Firmenverantwortliche und Politiker, darunter Venedigs Stadtpräsident Giorgio Orsoni, wurden unter Hausarrest gestellt.
Güter im Wert von 40 Millionen Euro seien beschlagnahmt worden, erklärte die Polizei. Insgesamt sollen etwa 100 Menschen in den Skandal verwickelt sein. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen Korruption und Geldwäsche vor.
Die Ermittler durchsuchten auch das Büro von Venedigs Stadtpräsident. Orsoni wird vorgeworfen, seinen Wahlkampf 2010 mittels illegaler Parteienfinanzierung bezahlt zu haben. Orsonis Anwälte erklärten, die Vorwürfe seien «kaum glaubwürdig».
Jahrelange Ermittlungen
An der Grossbaustelle «Mose», die sich über eine Länge von 20 Kilometern an der Lagune von Venedig erstreckt, sind rund 50 Unternehmen beteiligt. Dort sollen 78 schwimmende Deiche errichtet werden, um die Stadt vor Hochwasser zu schützen.
Die Staatsanwaltschaft von Venedig hatte vor drei Jahren Ermittlungen zur Praxis der Auftragsvergabe bei dem Projekt eingeleitet. Dabei kam nach Angaben der Behörden eine schwarze Kasse ans Licht, die mit Bestechungsgeldern und Zahlungen aus gefälschten Rechnungen gefüllt wurde.
Briefkastenfirmen in der Schweiz
Gespeist seien die Schwarzgeldkonten mittels falscher Rechnungen an Briefkastenfirmen in der Schweiz und in San Marino. Rund 20 Millionen Euro sollen auf diese Weise veruntreut worden sein.
«Der Grossteil des Geldes wurde zur Finanzierung politischer Parteien auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene verwendet», sagte der leitende Staatsanwalt Luigi Delpino auf einer Pressekonferenz.
Die Staatsanwaltschaft verlangte auch die Festnahme des ehemaligen Gouverneurs von Venetien, Giancarlo Galan, der von 1995 bis 2010 die Geschicke der Region leitete und anschliessend als Agrarminister sowie Kulturminister der Regierung von Silvio Berlusconi angehörte.
Galan hatte 2003 gemeinsam mit Berlusconi den Grundstein für das 5,4-Milliarden-Euro-Projekt «Mose» gelegt, heute sitzt er als Abgeordneter der Forza Italia im Parlament in Rom. Auch die Festnahme der Forza-Italia-Europaabgeordneten Lia Sartori wurde von der Anklagebehörde verlangt.
Aufträge an bestimmte Firmen zugeschanzt
Im Zentrum der Ermittlungen steht das Consortium Venezia Nuova (CVN), das mit dem Bau der riesigen Deiche beauftragt ist. Dessen ehemaliger Chef, Giovanni Mazzacurati, ist unter den Festgenommenen. Den Ermittlern zufolge hatte Mazzacurati dafür gesorgt, dass vor allem Unternehmen aus Venetien Aufträge für «Mose» erhielten.
Der im Jahr 2003 begonnene Bau der Deiche sollte ursprünglich in diesem Jahr fertiggestellt werden; wegen Verzögerungen werden die Arbeiten aber voraussichtlich erst im kommenden Jahr abgeschlossen sein. Venedig leidet regelmässig unter Überschwemmungen, aufgrund des gestiegenen Meeresspiegels ist das «Acqua alta» mittlerweile eine echte Bedrohung für die bei Touristen beliebte Lagunenstadt.