Schweizweit haben am Mittwoch zehntausende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer den Tag der Arbeit begangen. Allein in Zürich gingen 13’000 Personen für Mindestlöhne, bezahlbare Mieten und sichere Renten auf die Strasse.
In Biel warb SP-Bundesrat Alain Berset für sein Reformprojekt Altersvorsorge 2020, mit dem der Bundesrat eine gesamtheitliche Lösung für die AHV und die berufliche Vorsorge anstrebt. «Wir betrachten die Altersvorsorge mit der ersten und der zweiten Säule als ein Ganzes», sagte Berset.
Der Innenminister geht davon aus, dass die Menschen eine solche Gesamtschau wünschen, um die Höhe ihrer Altersrente zu erfahren und sich so für die Zukunft absichern können.
Das geplante Gesamtpaket soll deshalb für Transparenz sorgen sowie Vertrauen und Sicherheit geben. Beim Reformprojekt steht unter anderem eine Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 Jahre zur Diskussion und eine Senkung des BVG-Umwandlungssatzes.
Den Gewerkschaftlerinnen und Gewerkschaftlern an den Rednerpulten brannten die aktuellen Lohnfragen und -ungerechtigkeiten unter den Nägeln. «Es macht mich wütend, wie sich ein paar wenige immer mehr nehmen und von den Bürgerlichen mit Steuergeschenken überhäuft werden. Es macht mich sprachlos, mit welcher arroganten Selbstverständlichkeit sie dies tun. Und es empört mich, dass sie sich auf Kosten von uns allen bereichern», sagte SP-Nationalrätin Marina Carobbio (TI) in Zürich.
In Zürich arbeiteten gelernte Verkäuferinnen für 2800 Franken netto pro Monat, und ein Angestellter der Uhrenindustrie im Tessin erhalte 2900 Franken. Das sei gerade mal so viel, wie der CS-Konzernchef Brady Dougan in fünf Minuten verdiene.
Dass dies keine Einzelfälle sind, machte SP-Ständerat Paul Rechsteiner in Basel klar: «440’000 Menschen in der reichen Schweiz verdienen zu wenig, um davon anständig leben zu können. 140’000 davon haben einen Lehrabschluss. Wie weit sind wir gekommen, wenn eine Lehre keine Garantie mehr dafür ist, dass man genug für ein anständiges Leben verdient?», fragte der Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) die Menge.
Als Rezept präsentierten die Rednerinnen und Redner die drei Initiativen 1:12, für Mindestlöhne und AHVplus. Nur damit könne eine Wende in der Lohn- und Einkommenspolitik, eine gerechte Verteilung der Löhne und Einkommen erreicht werden.
Die Gewerkschaften müssten Gegensteuer geben, bevor es zu spät sei, sagte Giorgio Tuti, Präsident der Gewerkschaft des Verkehrspersonals (SEV) in Schaffhausen. Der Tag der Arbeit sei aktueller denn je. Man brauche dafür nur die Entwicklungen in Europa zu verfolgen.
Weiter kritisierte er die Managerlöhne bei Post, SBB und Swisscom von einer Million Franken und mehr pro Jahr. Ein Bundesrat oder eine Bundesrätin verdiene nicht ganz 500’000 Franken pro Jahr. «Ich glaube nicht, dass sie weniger Verantwortung haben als diese Manager.»
In Spiez geisselte SP-Nationalrat und Gewerkschafter Corrado Pardini (BE) neoliberale Kräfte in der FDP und der SVP als «Ewiggestrige» und als «Anhänger einer toten Religion». Diese mächtigen Gruppen wollten den Service public zerstören, denn dann müsste das Volk diese Leistungen bei privaten Unternehmen einkaufen und sehr teuer dafür zahlen.
Pardini forderte auch ein stärkeres Engagement für den Werkplatz Schweiz. Der Bundesrat schütze allein den Finanzplatz. Doch nicht die Banken brächten das Land vorwärts, sondern der Werkplatz Schweiz.
In die gleiche Kerbe hieb SP-Nationalrätin Margret Kiener Nellen (BE) in Thun: Die Schweiz sei so reich wie nie zuvor. Es sei die Arbeit, die die Schweiz reich gemacht habe und nicht das Kapital, das sich in der Steuerhinterziehung oder in der Rohstoffspekulation verstecke.
Die Schweiz sei das reichste Land der Welt, aber weit entfernt von Verteilungsgerechtigkeit, erklärte VPOD-Präsidentin Katharina Prelicz-Huber in Dietikon ZH. Die Schere zwischen Arm und Reich öffne sich immer weiter. Sie forderte deshalb zwingende staatliche Massnahmen gegen Lohnungleichheit, Quoten in den Führungsetagen und eine partnerschaftliche Erwerbsarbeit mit existenzsichernden Löhnen.
Bis um 17 Uhr verlief die Maifeier in Zürich friedlich. Danach kam es beim Helvetiaplatz zu vereinzelten Provokationen, auf welche die Polizei nicht reagierte. In Zürich sind Stadt- und Kantonspolizei mit einem grösseren Aufgebot in der Innenstadt präsent. Bereits im Vorfeld hatte die Polizei klar gemacht, dass sie Nachdemos und Ausschreitungen im Keim ersticken werde.
In Zürich hatten sich auch rund 300 Aktivisten der linksautonomen Szene, angeführt von der Zürcher Linksaktivistin Andrea Stauffacher, dem 1-.Mai-Umzug angeschlossen. Viele von ihnen waren entweder vermummt oder trugen Masken, die an UBS-Chef Sergio Ermotti oder Schauspieler George Clooney erinnerten. Bei der Polizeihauptwache Urania bewarfen sie Polizisten mit Wasserballons und feuerten Knallpetarden ab.