Bei Massenprotesten im Vielvölkerstaat Äthiopien haben zehntausende Demonstranten der Regierung am Sonntag die gezielte Benachteiligung einzelner Volksgruppen vorgeworfen. Der Protest in der Stadt Gondar wurde von Angehörigen der amharischen Volksgruppe organisiert.
Auslöser war die Entscheidung der Regierung in Addis Abeba, einen Distrikt mit engen Verbindungen zu den Amharen der Nachbarprovinz Tigray zuzuschlagen. Auf einem Spruchbanner forderten die Demonstranten eine Rückkehr zu den «historischen Grenzen». Auf einem anderen Spruchbanner war zu lesen: «Stoppt den Massenmord am amharischen Volk.» In Gondar kommt es seit Wochen immer wieder zu Protesten; die Kundgebung am Sonntag war die bislang grösste.
Die Amharen, die in Äthiopien die zweitgrösste Volksgruppe stellen und lange Zeit die vorherrschende Gruppe in dem multiethnischen Land waren, sehen sich seit Jahren von den Tigrinern benachteiligt, denen sie eine Dominanz in Staat und Streitkräften vorwerfen. Der Zuschlag des Distrikts nahe Gondar zur Region Tigray hat diese Ressentiments noch verschärft.
Nach Angaben äthiopischer Behörden wurden bei Gewalttätigkeiten im Zusammenhang mit dem Territorialstreit in den vergangenen Wochen zwölf Menschen getötet.
Auch Oromo sehen sich benachteiligt
Die Regierung war am Sonntag nicht zu einer Stellungnahme zu dem Protestmarsch zu erreichen; in den vergangenen Wochen hatte sie den Amharen vorgeworfen, gemeinsame Sache mit dem verfeindeten Nachbarland Eritrea zu machen, um die Zentralregierung in Addis Abeba zu schwächen.
Auch in den Siedlungsgebieten der grössten äthiopischen Bevölkerungsgruppe, der Oromo, hatte es in den vergangenen Monaten wiederholt Proteste gegen mutmassliche Benachteiligung durch die Regierung gegeben. Die amharischen Demonstranten von Gondar erklärten sich am Sonntag solidarisch mit den Oromo.