Artig folgen wir einen Tag lang den Empfehlungen einer Broschüre für Touristen in Basel. Das Programm ist sportlich und sorgt dafür, dass Geheimtipps auch solche bleiben.
Rennen? Noch vor dem Frühstück? Na gut. Heute bin ich dem Programm hörig. Ich will einen «Sommertag für Kenner in Basel» erleben, zusammengestellt von den Ferienfachmenschen bei Basel Tourismus. Der Begriff «Kenner» soll dem ortsfremden Touristen wohl ein Gefühl der Zugehörigkeit vermitteln. Ich hingegen verstehe es als Provokation; der echte Connaisseur bin ja wohl ich.
Das Programm umfasst acht Stationen, ein erster Blick zeigt: Die grösste Herausforderung wird es sein, ausreichend Appetit anzuregen, um die drei Restaurantbesuche zu bewältigen. Helfen soll dabei wohl auch die frühmorgendliche Sporteinlage. Zwar steht dort «9.00, Joggen oder Spazieren am Rhein», ich jedoch habe mich für die ambitionierte Variante entschieden.
Als Kenner weiss ich: Am schönsten joggts sich am Schaffhauserrheinweg. Im Schatten der Bäume schieben dort Bauarbeiter ihre Schubkarre und Mütter ihre Kinderwagen vor sich her. Ansonsten habe ich die Rennpiste für mich, abgesehen von einigen Hündelern. Später am Tag stehen sich hier die Breitensportler allerdings meist gegenseitig auf den Füssen. Dennoch beschränke ich meine Sportlektion heute auf eine halbe Stunde.
Die Broschüre empfiehlt, für das Frühstück zum «Schällenursli» auf den Margarethenhügel zu reisen. Das ist weit weg, wenn man bedenkt, dass ich danach im Rhein schwimmen gehen soll. Was wiederum den Verdacht nahelegt, dass die Betreiber für ihren Auftritt in diesem «Sommertag» bezahlt haben. Ein Verdacht, den Daniel Egloff, Direktor bei Basel Tourismus, zerstreuen möchte. «Wir suchen für diese Broschüre einfach Plätze aus, die die Vielfalt dieser Stadt zeigen», sagt Egloff. Ausserdem würden die Empfehlungen regelmässig erneuert.
Angesichts der Busse und Rollkofferflotten kommt zum ersten Mal Ferienstimmung auf.
Da der «Schällenursli» ohnehin nur sonntags einen Brunch anbietet, schaue ich mich nach Alternativen um. In der Broschüre ist auch «Les Gareçons» am Badischen Bahnhof aufgeführt: So soll es sein.
Die Sonnenterrasse liegt noch im Schatten, ich lege mich dazu. Sitzen kann man auf der riesigen Couch nämlich nicht. Und da ich nun schon mal liege, bestelle ich mir den Espresso römisch kurz. Dazu etwas Leichtes (Joghurt mit frischen Früchten), denn das Mittagessen naht. Angesichts der zahlreichen Busse, die an mir vorbeibrausen, kommt zum ersten Mal etwas Ferienstimmung auf, auch die Rollkofferflotten tragen dazu bei.
Viel Zeit zum Sinnieren bleibt nicht, das dichte Programm lässt keine Pause zu. Vor dem nächsten Restaurantbesuch muss ich noch im Rhein schwimmen gehen. Unter bewusster Missachtung der Baderegeln 2 bis 4 springe ich mit vollem Bauch in den trüben Rhein – und erst noch ohne mich angenetzt zu haben. Die Wassertemperatur beträgt frische 17.5 Grad, doch der Kenner bleibt cool und lässt sich lässig treiben.
Dann setze ich über. Die paar Minuten bis zum Essen im Rheinbad-Breite fläze ich mich mit einem guten Buch in die Sonne, wär ja gelacht, wenn ich dank diesem Sommertag nicht auch etwas Farbe annehmen würde.
Hinter brusthohen Gitterstäben bestelle ich mir einen Salat, denn der ist schön bunt und fotogen. Weshalb man diese Brüstung auf der Terrasse des Restaurants MS Veronica derart hochziehen musste, ist mir unerklärlich. Ich fürchte um meine gleichmässige Bräune.
Für die amerikanischen Touristen ist alles «amazing»
Kaum ist der Teller geleert, drängt die Zeit auch schon wieder. Als Nächstes steht ein geführter Stadtrundgang auf dem Programm, ich entscheide mich für die englischsprachige Tour. Die amerikanischen Touristen finden alles ziemlich «amazing», manches «cheeky» und einiges «brilliant».
Tourguide George erzählt spannende Dinge, ich lerne einiges über meine Stadt (beispielsweise, dass das «Imbergässlein» so heisst, weil dort Gewürzhändler gewohnt haben; «Imber» bedeutet Ingwer). George erzählt den ausländischen Gästen, dass in der Schweiz, wenn nicht anders gekennzeichnet, aus jedem Brunnen Trinkwasser fliesse. Seine Ausführungen sind offenbar derart überzeugend, dass ein Amerikaner prompt seinen Becher ins Brunnenbecken taucht und das Wasser trinken will. George greift beherzt ein und verhindert damit vielleicht einen grösseren Imageschaden.
Mit fortschreitendem Tag schwindet die Motivation, sich ans Programm zu halten.
Zwischen Stadtrundgang und Abendessen sieht das Programm einen Besuch im Cartoonmuseum vor. Angesichts des schönen Wetters hält sich meine Lust in Grenzen, weshalb der popkulturelle Teil dieses Sommertages kurz ausfällt. Auch schwindet mit fortschreitendem Tag meine Motivation, mich strikt an das übervolle Programm zu halten.
Das Abendessen im «Zum Schmale Wurf» ist solide, die Salsiccia von Metzgermeister Pippo ein sicherer Wert. Der letzte Programmpunkt lautet «Nightlife», auch so ein Begriff, den ausschliesslich Touristiker benützen. Die Broschüre schickt mich dafür in die Kaserne.
Dort läuft jedoch nichts, also gehen wir ins «Concierge» an der Utengasse. Diese Bar ist die Anlaufstelle für Ausgehwillige, auf einer Tafel sind sämtliche Veranstaltungen des Abends aufgelistet. Die Liste ist sehr kurz und die Bar an einem solch schönen Abend nur schlecht besucht.
Nach einem Bier ziehe ich von dannen, um das zu tun, was Kenner in einer solchen Situation immer tun: Mit einer Flasche Wein und zwei Gläsern zu zweit ans Rheinufer sitzen.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 12.07.13