Ferdinand Hodlers «Auszug deutscher Studenten in den Freiheitskrieg von 1813» diente als Kulisse für Propagandareden im Ersten Weltkrieg. Doch dann veränderte sich die Wahrnehmung seines Werks.
Im August 1914 wurden Hundertausende von Soldaten mobilisiert. Der bekannte Schweizer Maler Ferdinand Hodler hat ohne Anspielung auf den aktuellen Zeitgeist schon 1908/09 für die Aula des neuen Universitätsgebäudes von Jena das Wandbild «Auszug deutscher Studenten in den Freiheitskrieg von 1813» (Leinwand 335,5 x 545,0 cm) gemalt und damit eine ideale Kulisse für die aufpeitschenden Reden im Sommer 1914 geschaffen. In Jena trat als professoraler Hurrapatriot der Philosoph und Nobelpreisträger Rudolf Eucken, der übrigens 1871–1873 kurz auch an der Universität Basel gelehrt hatte, vor diesem Bild auf.
Das Bild entsprach völlig dem Bedarf der Stunde. Seine untere Hälfte zeigt leicht bunt eine Folge bewegter Einzelszenen von künftigen Soldaten, die ihre Individualität ablegen und sich uniform einkleiden; in der oberen Hälfte marschieren sie zu Silhouetten reduziert im strengen Gleichschritt durch offenes Gelände dem Feind entgegen. Nahm Hodler den im August 1914 ausgebrochenen Kriegsfanatismus vorweg? Die sechs Jahre zwischen 1908 und 1914 bedeuten nur einen kleinen Zeitsprung, 1914 konnte man mit Bezug auf den anti-napoleonischen Befreiungskrieg von 1813 leicht zum angeblichen Verteidigungskrieg aufrufen.
Undeutsches in «entsetzlichen Farben»
Gross war dagegen der «Zeitsprung», den der Maler und das Bild kurz darauf erlebten: Weil Hodler den Genfer Protest vom 27. September 1914 mitunterzeichnet hatte, der die Beschiessung der Kathedrale von Reims als «Akt der Barbarei» verurteilte, entbrannte eine Polemik gegen den zuvor als «germanisch» gefeierten Künstler. Nachträglich wurde kritisiert, dass die Darstellung eines eminent deutschen Motivs überhaupt einem Ausländer überlassen worden sei. Zudem seien die Verrenkungen, die der Maler die Studenten der unteren Bildhälfte machen lässt, sowie die «entsetzlichen Farben» undeutsch, gewissermassen «entartet».
Hodler dagegen beeilte sich zu erklären, dass er überhaupt nicht gegen Deutschland, sondern nur gegen die Zerstörung eines Kunstwerks protestiert habe und dasselbe getan hätte oder tun würde, wenn es um eine andere Macht ginge.
Nicht erstaunlich, erklang sogleich der Ruf, das Bild zu entfernen, es zu verkaufen und den Erlös dem Roten Kreuz zu überweisen. Es gab freilich auch Gegenstimmen, welche die Unabhängigkeit der Kunst von ihrem Urheber betonten und erklärten, dass das Hodler-Bild selbst ja gegen den Maler Zeugnis ablege. Im Herbst 1914 kam das Bild hinter einen Bretterverschlag, an dem der leitende Geografieprofessor der Universität nun Kriegskarten anbrachte. Die Bretter wurden erst 1919 in einer wilden Aktion von Studenten und der Wandervogeljugend wieder entfernt.
Das Bild erlebte noch weitere Zeitsprünge. Einen zum Beispiel, als es in der NS-Zeit Vorbildcharakter hatte oder als es in der «antifaschistischen-demokratischen Universität» während der DDR-Zeit als Darstellung eines «Auszugs des Volksheeres» zu Ehren kam. Einen vorläufig letzten Zeitsprung haben wir nun mit den 100 Jahren zwischen der damaligen «Affäre» und der heutigen Rekapitulation.