ZFF: Miele – Sterbehilfe als Lebenshilfe

Die Italienerin Valeria Golino hat mit «Miele» ihren ersten Film gemacht. Sie hat eine Schauspielerin mit einer umwerfend facettenreichen Ausstrahlung (Jasmine Trinca) für ihre Hauptrolle gefunden. Und sie hat eine Geschichte erfunden, die bereits als Drehbuch kommende Meisterschaft verrät. Es ist, bei guten Filmen, immer wieder verblüffend, wie einfach es scheint, sie gemacht zu haben. […]

Sterbehilfe als Lebenshilfe

Die Italienerin Valeria Golino hat mit «Miele» ihren ersten Film gemacht. Sie hat eine Schauspielerin mit einer umwerfend facettenreichen Ausstrahlung (Jasmine Trinca) für ihre Hauptrolle gefunden. Und sie hat eine Geschichte erfunden, die bereits als Drehbuch kommende Meisterschaft verrät.

Es ist, bei guten Filmen, immer wieder verblüffend, wie einfach es scheint, sie gemacht zu haben. Die Italienerin Valeria Golino hat mit «Miele» ihren ersten Film gemacht. Sie hat eine Schauspielerin mit einer umwerfend facettenreichen Ausstrahlung (Jasmine Trinca) für ihre Hauptrolle gefunden. Und sie erzählt eine Geschichte, die bereits als Drehbuch kommende Meisterschaft verrät.

«Miele» ist eine einsame junge Frau. Sie hat zwei Geliebte: Der eine ist ihr Chef. Der andere ist ihr ehemaliger Professor. Bei beiden sucht sie einen Zuhörer. Bei beiden findet sie nicht, was sie im Leben sucht. Miele ist nicht glücklich, als sie von Treviso nach Mexico fliegt. Dort kauft sie in der Apotheke  – ein Veterinär-Medikament! Zum Einschläfern von Grosshunden! Damit fliegt sie wieder zurück.

Was hat die junge Frau mit den tödlichen Tropfen im Gepäck vor?

Miele ist nur ein Deckname. Unter diesem Namen versieht die junge Frau einen seltsamen Dienst: Sie betreibt Sterbehilfe. Umsichtig. Einfühlsam. Und illegal. Sie bereitet die Anverwandten vor. Sie stellt die Medikamente bereit. Sie wartet den Todeszeitpunkt ab. Sie stellt den Tod fest. Sie kommt den Menschen so Nahe, wie nur der Tod es kann.

Doch Miele stürzt nach jedem Todes-Fall in ein tieferes Loch. Sie wirft sich ins Meer, um sich unter Wasser freizuschwimmen. Sie wirft sich in Leibesabenteuer. Sie rast um die Welt.

Valeria Golino rückt dabei mit traumwandlerischer Sicherheit die richtigen Bilder ins Licht. Unter Wasser. Über Schnee. In der Luft. Es sind Bilder aus dem Innenleben von Miele.

Sterbehilfe als Lebenshilfe 

In einer stets übergrossen Nähe läst Golino die Kamera den Menschen fast unter die Gesichtshaut kriechen, oft so nah, dass es uns überhaupt erst Distanz erlaubt zu den nahegehenden Szenen. In dieser unvertrauten Nähe werden uns die Sehnsucht nach Auflösung, Erlösung und Loslösung entzifferbar: Miele will so nicht leben. Aber wie denn?

Klar wird ihr das erst, als sie dem ersten Menschen, der nicht krank ist, in den Tod helfen soll. Was wie eine verunglückte Sterbehilfe beginnt, endet als eine geglückte Lebenshilfe: Waren es zuvor immer Selbstmörder, die keine bessere Lebenswürde mehr fanden, als im Sterben, so trifft sie im Ingeniere (Carlo Cecchi) auf einen Selbstmörder, der dem besten aller Leben ein Ende setzen will, weil er einfach keinen Sinn mehr darin sehen will. 

Valeria Golino ist eine grossartige, schlichte Bildererfinderin: Solche Details wie der junge Turner, der im Hintergrund und auf Augenhöhe mit dem Alten Mann im Vordergrund Salti im Sand schlägt, beweisen, dass eine Hochbegabte am Werk ist. Der Alte trauert eben seiner Jugend nach.

Wer andern beim Sterben hilft lernt viel über das Leben

Golino kann Bilder und Gefühle und Metaphern in einem wunderbar leisen Fluss halten: Mit neugieriger Aufmerksamkeit verfolgt sie jedes Bilddetail bis zum Schluss: Das immer wiederkehrende Freischwimmen der jungen Frau nutzt sie, um in der Verwandlung des Taucheranzugs auch die wandelnde Schutzbedürfnis gegen die Kälte zu erzählen. Bis Miele den Anzug schliesslich abstreift.

Nie riskiert der Film dabei in der Begegnung der jungen Frau mit dem alten Mann den Kitsch: Wenn der Ingeniere zu Beginn noch feststellt, dass sein Sterbe-Barbiturat eigentlich für einen Labrador gedacht ist, so schickt er Miele zum Schluss eine Karikatur seiner Selbst mit Hundekopf. Der Tod hat nichts mehr bedrohliches. Stattdessen begleitet eines der schönsten Lieder von Georges  Brassens die beiden «Les sabot d’Helene»: «Ne cherche plus longtemps de fontaine – Toi qui as besoin d’eau».

Am Schluss, als ein sanfter Wind den letzten Gruss des alten Labradors aus der anderen Welt ausrichtet, liegt noch einmal eine stupende Bildgewalt in der Luft. Im scheinbar alltäglichen erkennt Miele etwas, das über den Dingen wohnt: Wer andern aus dem Leben hilft, lernt neu über das Leben nachzudenken.

 

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