Er brilliert, provoziert und fasziniert. Zlatan Ibrahimovic ist die grosse Figur im schwedischen EM-Team, auf und neben dem Platz. Für die Schweden ist er mehr als nur ein lauter Ausnahmefussballer.
Allein seinetwegen ist die EM-Teilnahme der Skandinavier eine Bereicherung für das Turnier in Frankreich. Seinetwegen haben viele Europäer den Schweden in der Barrage gegen Dänemark um die Qualifikation die Daumen gedrückt. Und das, obwohl der 34-Jährige (Noch-)Stürmer von Paris Saint-Germain mit seinem Auftreten, gelinde gesagt, etwas abgehoben wirkt.
Nicht nur in Schweden schätzen sie Zlatan Ibrahimovics Kanten – oder sehen grosszügig über sie hinweg. Der hünenhafte Stürmer aus Rosengard, einem Problembezirk von Malmö, zieht die Massen in seinen Bann. Zu gut spielt der in seiner Jugend Mofa klauende, Streit suchende bosnisch-stämmige Sohn aus einer zerrütteten Ehe, um wegzuschauen. Zu unterhaltsam sind seine Aussagen, bei denen man nie richtig weiss, ob sie ernst gemeint oder mit einer gehörigen Portion Selbstironie versehen sind, um wegzuhören und nicht zu schmunzeln.
Seine Künste am Ball sind spektakulär. Seine Worte ebenso. Er, der meist in der dritten Person von sich spricht, sich, Zlatan, auch schon als Gott bezeichnete, hat sich zur Marke gemacht. Er hat sich eine faszinierende Aura geschaffen, ist in Schweden Nationalheld und Vorbild einer ganzen Generation. «Er ist grösser als der Fussball selbst.», sagt Kim Källström, der Regisseur der Grasshoppers und langjährige Weggefährte im Nationalteam der Blagult, der Blau-Gelben, und fügt an: «Es hat eine Ära vor Zlatan gegeben, und es wird eine Ära nach Zlatan geben.»
Auch an der EM wird Ibrahimovic bei Schwedens Auftritten wieder im Fokus stehen. Gut möglich, dass er sich im Nachgang selbst für die eine oder andere Aktion loben wird. Doch wie kann diese Selbstverliebtheit in einem Mannschaftssport funktionieren? Wie ist es möglich, dass Ibrahimovic innerhalb der Gruppe akzeptiert ist? Es muss daran liegen, dass Ibrahimovic gar nicht so ist, wie er seinem Publikum vorgibt zu sein, dass er mit seinem Image kokettiert und er viel mehr Teamplayer als One-Man-Show ist.
Källström, der stille Arbeiter, der schon im U21-Nationalteam mit Ibrahimovic spielte und diesen auch an dieser EM mit Bällen füttern wird, sagt: «Zlatan ist überhaupt keine Diva, und ich konnte viel von ihm lernen.» Am meisten beeindruckt habe ihn die Mentalität: «Bei ihm merkte ich, dass jedes Training wichtig ist.» Von der Mentalität, immer gewinnen zu wollen, lasse er sich inspirieren.
Ibrahimovic mag ein vor Selbstvertrauen strotzender Narzisst sein. Aber ein Egoist? Eine Diva? Oder ein mit einem Übermass an Talent gesegnetes Genie, das sich gerne und viel von Pizza ernährt, wie es in seiner Biografie steht? Nein, das ist Ibrahimovic seinem Mitspieler zufolge nicht. «Zlatan ist extrem professionell, ein ‚Winner‘.»
Er mag nicht der lauffreudigste Spieler auf dem Platz sein, ging zu Beginn seiner Karriere, als er bei Malmö oder Ajax in Holland spielte, lieber einmal zu oft ins Dribbling, als dass er den Pass spielte. Längst aber setzt Ibrahimovic seine Fähigkeiten zielorientiert ein. In den drei Saisons und 180 Spielen mit PSG erzielte er nicht nur 156 Tore, sondern bereitete auch 61 vor.
Steht Ibrahimovic im Fokus, funktioniert das «System Zlatan». Wo «Ibracadabra» erfolgreich war, drehte sich das Spiel um ihn, war er Dreh- und Angelpunkt und Vollstrecker zugleich, arbeiteten die Mitspieler für ihn und er für die Mitspieler. Beim FC Barcelona, bei dem es unter Pep Guardiola (dem «Philosophen ohne Eier») und im Team mit Lionel Messi (dem «Zwerg») anders war, endete sein Gastspiel vorzeitig. Trotz dem Fokus auf Ibrahimovic sagt Källström: «Der Vorteil mit Zlatan ist, dass wir einen der besten Spieler in unserem Team haben. Einen Nachteil gibt es nicht.»
Ob das reicht, um an der EM in der mutmasslich schwierigsten Gruppe E gegen Belgien, Italien und Irland zu bestehen? Nicht nur in Schweden hoffen es viele.