Das Zürcher Obergericht hat einen bekannten Zürcher Psychoanalytiker vom Vorwurf der fahrlässigen schweren Körperverletzung freigesprochen. Der heute 73-Jährige hatte 2003 einer Frau, die einen Lehrer schwer verletzt hatte, eine Unbedenklichkeitserklärung ausgestellt.
Die psychisch angeschlagene Frau hatte im März 2004 in Hüntwangen ZH ihren Ex-Freund in dessen Wohnung aufgesucht. Sie hatte eine geladene Pistole in der Hand und schoss damit ihrem früheren Partner in den Bauch. Der Lehrer überlebte den Anschlag mit viel Glück.
Die Täterin wurde später vom Zürcher Geschworenengericht wegen versuchter vorsätzlicher Tötung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Die Strafe wurde zugunsten einer stationären Massnahme aufgeschoben.
Am Prozess kam heraus, dass die Frau bereits im April 2001 einen anderen Mann mit zwei Pistolen bedroht hatte. Daraufhin beschlagnahmte die Polizei die Waffen. Um wieder an die Waffen zu kommen, wandte sich die Frau an einen Zürcher Psychoanalytiker. Dieser erteilte der Täterin im Herbst 2003 eine Unbedenklichkeitserklärung. Gestützt darauf erhielt die Frau die Waffen zurück.
Fahrlässig schwere Körperverletzung eingeklagt
Nach dem Tötungsversuch in Hüntwangen leitete die Staatsanwaltschaft ein Strafverfahren gegen den Psychoanalytiker ein. Dabei warfen die Untersuchungsbehörden ihm nicht nur die Verletzung seiner Sorgfaltspflicht, sondern auch eine fahrlässig schwere Körperverletzung vor.
Die Anklage forderte eine bedingte Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu 240 Franken. Hinzu kam, dass der verletzte Lehrer ein Schadenersatzbegehren stellte.
Freispruch vor Obergericht
Der Psychoanalytiker war bereits im Mai 2007 vom Bezirksgericht Zürich ein erstes Mal freigesprochen worden. Allerdings war damit die Staatsanwaltschaft nicht einverstanden und zog den Fall weiter.
Im Januar 2010 wurde er aufgrund eines Gerichtsgutachtens eines Psychiaters vom Zürcher Obergericht schuldig gesprochen und zu einer bedingten Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu 200 Franken verurteilt.
Der Beschuldigte zog den Fall weiter ans Bundesgericht. Dieses wies den Fall zurück ans Obergericht, dort konnte der Psychoanalytiker jetzt erneut obsiegen. Wie das Obergericht am Freitag mitteilte, hat es den Mann nach dem Grundsatz «im Zweifel für den Angeklagten» freigesprochen.
Dem schriftlichen Urteil ist zu entnehmen, dass Aussagen des Gerichtsgutachters in wesentlichen Punkten spekulativ ausgefallen seien. «Unter diesen Umständen kann nicht zweifelsfrei ausgeschlossen werden, dass auch eine gewissenhafte Fachperson nach sorgfältiger Untersuchung der Täterin keine Drittgefährdung festgestellt und daher empfohlen hätte, die Waffen an sie herauszugeben», heisst es im Urteil.