Das Zürich Film Festival neigt sich dem Ende zu. Am Samstag gibts Preise – um welchen Preis?
Das Zürich Film Festival feiert. Was bestimmt nach zehn Jahren das Gesicht des Zürich Film Festivals? Die Partys? Die Stars? Der Hauptsponsor? Die Preise? Oder gar die Filme? Ein Filmfestival muss vor allem eines möglich machen: mit Film anregen, über die Welt nachzudenken. Lustvoll, provokant, unterhaltend und zeitverwandt.
Je besser ein Filmfestival, desto eingehender kann darüber geredet werden. Über künstlerische Provokationen, inhaltliche Gratwanderungen, formale Experimente. Während der Festival-Tage in Cannes kann man von den französischen Radiostationen fast rund um die Uhr Diskussionen über Film mitverfolgen. Ein Festival ist also auch stark von den Medien abhängig. Beste Voraussetzungen für Zürich. Zürich ist die Medienstadt der Schweiz.
Lässt sich ein Festival an Anderem messen? An der Anzahl der guten Filme, die alle sehen wollen? An der Vielfalt der Programmreihen? An der Wirkung auf den einheimischen Film? An der Schubkraft für die einheimischen Kinos?
Was fehlt: Auseinandersetzung. Die Master-Klassen sind schöne Huldigungen von Meistern, wirken aber eher wie Alibi-Veranstaltungen. Wenig Förderung des Nachwuchses wird sichtbar. Die Ausbildungsstätten von Lausanne oder Zürich oder Stuttgart bleiben aussen vor. Auch all die Schweizer Filmstudierenden, die an ausländischen Hochschulen studieren, hätten ein Forum verdient.
Das Gesicht des Festivals, das im Umfeld der höchsten Milliardärsdichte der Welt stattfindet, zeigt sich dem Filmgenuss offen, dem Filmschaffen gegenüber aber verschlossen. Das ZFF gibt sich inhaltlich noch immer mit Augenklimpern anstatt mit scharfem Blick – oder gar: mit gebleckten Zähnen:
Dass «Chrieg» im Wettbewerb läuft, ist immerhin etwas riskiert. Dass der Dokumentarfilm ein schönes Gewicht kriegt, beweist ein wenig Mut. Dass kaum Foren geboten werden, in denen debattiert wird, kann nicht nur dem Festival angelastet werden. Aber dass das ZFF eine hohe Modeldichte hat, viele Partygänger und wie ein Teil eines Einkaufszentrum wirkt, ist hausgemacht.
Das ZFF darf das Geld ruhig weiterhin für Glamour ausgeben. Aber warum nicht für Angela Jolie, die einen eintägigen Filmmarathon über die Lage der Kinder auf der Welt präsentiert? Als UNHCR-Botschafterin wäre sie flankiert von zehn jungen Frederick Wisemans, die für das FF ein Jahr lang die Kunst der Geldvermehrung in Zürich dokumentieren, in Banken, Begleit-Service-Zentren und den umliegenden Bars?
Das ZFF darf ruhig mehr Geld in Zürich für die Wirksamkeit der Schweizer Filme einsetzen. Für die inhaltliche Aufregung, die um Filme kreiert werden kann. Für die Förderung des Nachwuchses oder für die Belebung der Kinos der Stadt. Mehr Geld muss auch in Zürich nicht heissen: mehr Glamour. Banken wie die CS braucht das Filmfestival für ihre Klientel. Aber braucht das Filmfestival die CS?
Es bleibt viel Arbeit
Die Leitung des Festivals, Schildknecht/Spoerri, machen bereit jetzt vieles richtig. Das Zürcher Publikum durfte während mehr als einer Woche das beste Kinoprogramm der Welt geniessen. Es sind Filme zum ersten Mal in die Schweiz gekommen, die an Festivals weltweit seit Jahresbeginn Furore gemacht haben. Das macht Zürich neben all seinen tollen Kinos für ein paar Tage zu der Stadt mit dem führendem Kinoangebot in Europa.
Nadja Schildknecht und Karl Spoerri geben immerhin seit zehn Jahren der Stadt einen Endsommer-Event, der den Gusto der Stadt trifft: Hohes Staraufkommen, Models im Dichtestress und jede Menge Filme, die man verpasst, wegen all der umwerfenden Parties. Da darf man schon mal Cate und Catering verwechseln.
Über all dem Gratulieren aber sollten sie nicht vergessen: Film bringt immer Glamour. Aber der Glamour muss auch Film bewirken. Das Gesicht eines Festivals wird auf lange Sicht geprägt durch: Gute Filme, gute Kontakte unter Produzenten, gute Produktions-Anschübe, viele Start-Ups in der Produktion, guter Austausch mit anderen Filmschaffenden, gute Nachwuchsförderung, lokale Stärkung der Multiplikatoren. Ein Filmfestival, das sich ganz in Zürich ansiedelt, könnte so anfangen: Eine Masterclass der ZHdK gestaltet ein vierstündiges 360˚-Fresko über Marignano auf dem Sechseläuten-Platz. Es könnte damit enden, dass in der ganzen Stadt an ausgewählten Orten Gebäude mit historischen Filmprojektionen erweitert und erheitert werden.
Filme in der Schweiz bekannt zu machen, ist noch nicht Zürichs Kernkompetenz. Obwohl Zürich die Medien-Hauptstadt ist, neigen einheimische Verleiher, die Schweizer Filme präsentieren wollen, eher dazu, die Publizität für das Schweizer Schaffen am ZFF nüchtern einzuschätzen: Schweizer Film ist für Zürich meist nicht sexy genug, hat ein geringes Staraufkommen, und das Gedränge auf dem grünen Teppich ist meist sehr übersichtlich. Das liesse sich aber ändern.
Die Medien, die das Gesicht eines Festivals prägen sollten, bringen heute Coverfotos (gross) und interviewen Stars (schon kleiner) und berichten über Filme (ganz klein). Diskutiert wird da über Nadjas Abendrobe, Mauchs Lächeln oder eine betrunkene Ex-Miss-Schweiz. Da vergessen viele rasch: Zürich ist ein Festival, an dem es um Film geht.