Zum 75. Geburtstag: Bruno Ganz in seinen Paraderollen

Adolf und Alpöhi – von den vielen Rollen, die Bruno Ganz in seinem Leben bekleidete, sind diese beiden die bekanntesten. Hitler mimte er in «Der Untergang» in einer Mischung aus Vergreisung, Paranoia und Umnachtung, als Heidis Grossvater ist er momentan im Kino zu sehen. Besonders im europäischen Autorenfilm erreichte seine Karriere auch andere Höhepunkte. Eine […]

Das Leinwandgesicht der Schweiz: Bruno Ganz, hier am Filmfestival von Venedig im vergangenen Herbst, feiert am 22. März seinen 75. Geburtstag.

Adolf und Alpöhi – von den vielen Rollen, die Bruno Ganz in seinem Leben bekleidete, sind diese beiden die bekanntesten. Hitler mimte er in «Der Untergang» in einer Mischung aus Vergreisung, Paranoia und Umnachtung, als Heidis Grossvater ist er momentan im Kino zu sehen. Besonders im europäischen Autorenfilm erreichte seine Karriere auch andere Höhepunkte. Eine Auswahl zum 75. Geburtstag am 22. März.

Adolf und Alpöhi – von den vielen Rollen, in denen Bruno Ganz in seinem Leben zu sehen war, sind diese beiden die bekanntesten. Den nationalsozialistischen Führer mimte er in «Den Untergang» in einer Mischung aus Vergreisung, Paranoia und Umnachtung, als Heidis Grossvater ist er momentan in der Verfilmung von Alain Gsponer im Kino zu sehen. Seine Karriere hielt aber besonders im europäischen Autorenfilm auch andere Höhepunkte bereit. Eine Auswahl zum heutigen 75. Geburtstag.

1. «Die Marquise von O …» (1976) 

Sitte, Moral und Verstossung in besseren Kreisen: Heinrich von Kleists Novelle über eine zu Unrecht gefallene Adlige, die von einem russischen Grafen vor dem Mob gerettet und anschliessend vergewaltigt wird, lieferte die Rahmenhandlung für Eric Rohmers Verfilmung. Rohmer, der moralische Ästhet des französischen Kinos, entkoppelte den Stoff von seiner melancholischen Dramatik und legte eine Moralklamotte vor, in der die Menschlichkeit über bürgerliche Konventionen siegt. So mimt Bruno Ganz in einem seiner ersten grossen Kinoauftritte den Grafen nicht eindimensional als geläuterten Unhold, sondern als Ehrenmann mit einem fast pathologischen Drang nach Sühne und Vergebung. Eine überzeugende Leistung, für die Ganz 1976 den Deutschen Filmpreis als bester Hauptdarsteller erhielt.

2. «Nosferatu» (1979)

Wo Klaus Kinski die Hauptrolle spielte, fanden andere Schauspieler normalerweise kaum Raum zum Glänzen. Anders in «Nosferatu». Star dieser zweiten Zusammenarbeit zwischen Werner Herzog und Kinski war nicht der für seine Exzesse berüchtigte Kinski, sondern der Film selbst – beziehungsweise dessen Vorgänger. Herzog orientierte sich für sein Remake derart stark an Friedrich Murnaus Dracula-Adaption aus der Stummfilmzeit, dass die einzelnen Darsteller in ihre vorgefertigten Rollen hineinwachsen mussten. Kinskis Darstellung des Vampirfürsten steht derjenigen seines Vorgänger Max Schreck kaum nach – und Bruno Ganz spielte Jonathan Harker quasi als Symbol für die ganze Unheimlichkeit des Films: als arglosen jungen Rechtsanwalt und loyalen Ehemann, der sich ganz unheldenhaft in die Angst, die Verzweiflung und schliesslich in den Wahnsinn schickt.

3. «Die Fälschung» (1981)

Beirut, 1980er-Jahre: Die Stadt brennt in einem jahrelangen Bürgerkrieg nieder, und durch die Ruinen, durch Kugelhagel und Feuersäulen hetzt der Kriegsreporter Georg Laschen (Bruno Ganz). Laschen rennt für seinen Job nicht das erste Mal durch eine zerstörte Stadt, und Regisseur Volker Schlöndorff («Die Blechtrommel») bedient sich hier mit beiden Armen der psychologisierten Stereotype des Kriegsreporters: auf der Flucht vor innerer Leere, vor alten Narben (betrügende Ehefrau) und getrieben vom Verlangen nach Nähe. Als er sich in der Dusche das eingetrocknete Blut eines von ihm niedergestochenen Arabers von der Haut kratzen will, schaut er derart dumpf in die Welt, als dämmerte es ihm gerade erst, dass dieses Leben ihm keine Besserung versprechen wird. Sonderbar unbeteiligt wirkt dieser Reporter, während draussen die Stadt auseinanderbirst – und zwar wahrhaftig. Schlöndorff hatte den Film tatsächlich in Beirut gedreht, in einer Phase, als der Krieg für eine Weile aus der Stadt gewichen war.


4. «Der Himmel über Berlin» (1987) 

Kaum ein anderer Regisseure trug mehr dazu bei, Bruno Ganz im internationalen Kino zu etablieren, als Wim Wenders. Drei Filme drehten sie zusammen, bedeutsame Erfolge waren sie alle. Aber keiner wuchs derart in die Höhe wie «Der Himmel über Berlin». Wenders‘ traumhaftes Werk über die beiden Engel Cassiel und Damiel, die verlorenen Menschen im geteilten Berlin zur Seite stehen, ist eine Menschlichkeitsstudie von meditativer Kraft, an deren Ende sich das Himmlische nach dem Irdischen sehnt. Bruno Ganz spielt Damiel mit der ganzen Ausdruckslosigkeit seines schon leicht verwitterten Gesichts als einen Boten, der seit Anbeginn der Zeit alles gesehen hat. Nun gibt er seine Entrückung auf und schickt sich in die Sterblichkeit, um ganz am Schicksal der Menschen teilzuhaben, am Schmerz, an der Verzweiflung, aber auch den Freuden genussvoller Augenblicke.

5. «Die Ewigkeit und ein Tag» (1998)

Ganz, der mitfühlende Stoiker: Wegen dieser Begabung hat ihn auch der griechische Autorenfilmer Theo Angelopoulos verpflichtet. Als krebskranker Poet, der vor der Einweisung in eine Klinik steht, hilft Ganz einem albanischen Flüchtlingsjungen, aus den Fängen von Menschenhändlern zu entkommen, und besucht ein letztes Mal das Haus am Meer, in dem er einst gewohnt hat. Dort findet er einen Brief seiner verstorbenen Frau, der ihn träumen lässt von einem Leben, in dem Dichtung und Ideale sich komplettieren. Angelopoulos‘ Film handelt, in Erfüllung des Titels, von einem einzigen Tag, an dem immergültige Grüblereien, schwer wie der allzeit präsente Nebel, hintersonnen werden: über Verantwortung, die Unwiderrufbarkeit fataler Entscheide und die Sehnsucht, für manche Momente doch eine zweite Chance zu erhalten.

6. «Pane e Tulipani» (2000) 

Nach all der mythischen Schwere ein Stück köstliche Romantik: Eine vernachlässigte Familienmutter wird auf der Urlaubsfahrt an der Raststätte vergessen und strandet schliesslich in Venedig, wo sie eine platonische, doch nicht minder charmevolle Beziehung mit dem älteren Kellner Fernando beginnt. Daraus entwickelt sich eine unspektakuläre Beziehungsklamotte voller liebenswert geschnitzter Charaktere, in der schliesslich diejenigen, die das Herz am rechten Fleck tragen, sich in die Arme fallen. «Pane e Tulipani» von Silvio Soldini sprüht vor Italianità, im Zentrum der Lebenswürdigkeit steht jedoch ausgerechnet der Schweizer Bruno Ganz. Er leiht Kellner Fernando das knorrige Gesicht, das sich nach einem verknorzten Leben zu späten Freuden noch einmal aufhellt.

7. «Vitus» (2006) 

Ganz der Grossvater: Für die Paraderolle in «Heidi» konnte Bruno Ganz sich in Fredi M. Murers rühriger Adoleszenzgeschichte über ein Wunderkind schon einmal warmlaufen. Der kleine Vitus ist ein Klaviergenie in spe und auch sonst ausserordentlich begabt, was seine Eltern zu allerlei hochfliegenden Plänen veranlasst. Der Junge sperrt sich jedoch gegen die Fremdbestimmung und findet schliesslich in seinem Grossvater einen Verbündeten, der ihm die richtigen Lektionen (und ein kleines Vermögen) auf den Weg gibt. Eine Disney-artige Geschichte ohne Kitsch hat Murer mit «Vitus» vollbracht und gleichzeitig einen leichtfüssigen Kommentar zu einer Erziehungspraxis der Totalobservanz und der Leistungskultur geliefert: Man soll sie ruhig machen lassen, die lieben Kleinen. Ganz glänzt in einer seiner doch eher seltenen «leichten» Rollen, aber der grosse Applaus gehörte für einmal dem Jüngeren. Teo Gheorghiu konnte Vitus nur derart frappant als Wunderkind spielen, weil er zur Entstehungszeit des Films selbst eines war: Damals studierte er schon seit fünf Jahren an der Purcell School in London, einer Musikschule für Hochbegabte. Heute ist er professioneller Konzertpianist.

Nächster Artikel