Zum Tod von Pierre Brice: Die «First Nations» im Film

Adieu Pierre Brice, adieu Monsieur «Winnetou»: Zum Tod des berühmtesten Indianerhäuptling-Darstellers zeigen wir die sieben wichtigsten Filme des Genres. Natürlich darf der «edle Wilde» keinesfalls fehlen. Der grosse Apachen-Häuptling starb bereits vor 50 Jahren, als er einer Kugel seine Brust hinhielt und so das Leben seines Freundes Old Shatterhand rettete. Am Samstag ist ihm jener […]

Pierre Brice als stolzer Apachenhäuptling Winnetou – die Rolle seines Lebens.

Adieu Pierre Brice, adieu Monsieur «Winnetou»: Zum Tod des berühmtesten Indianerhäuptling-Darstellers zeigen wir die sieben wichtigsten Filme des Genres. Natürlich darf der «edle Wilde» keinesfalls fehlen.

Der grosse Apachen-Häuptling starb bereits vor 50 Jahren, als er einer Kugel seine Brust hinhielt und so das Leben seines Freundes Old Shatterhand rettete. Am Samstag ist ihm jener Darsteller gefolgt, der die Rolle des Winnetou sein Leben lang mit sich trug: Der französische Schauspieler Pierre Brice starb im Alter von 86 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung in Paris.

Brice verkörperte jenen Typus des Indianers, der in der westlichen Kultur als moralisch überlegener, kulturell jedoch unterentwickelter «edler Wilde» stilisiert wurde. Zum Gedenken an Winnetou – die Entwicklung des Indianer-Bildes im Film.

1. Winnetou

Pierre Brice verdankte seine Lebensrolle einem Autor, der zumindest fürs deutschsprachige Publikum das Bild des Wilden Westens definierte, ohne selbst je in der Gegend gewesen zu sein. Der Sachse Karl May landete Ende des 19. Jahrhunderts als Aufschneider mehrere Male im Gefängnis, bevor er sich der Literatur zuwandte und einer der meistgelesenen deutschsprachigen Schriftsteller wurde. Auch als Autor trug May weiterhin dick auf und verfasste seine Reiseromane – zuerst als sein Alter Ego Kara Ben Nemsi in seinem «Orientzyklus», danach als Wildwest-Pionier Old Shatterhand – im Duktus der Kolportage, als berichte er aus eigener Anschauung.

Winnetou, seine berühmteste Schöpfung, beschrieb er in den hymnischsten Tönen als jenen Typus des «edlen Wilden», der fortan mehrfach im Kino wiederkehren sollte: «Seine königliche Haltung, sein freier, ungezwungener, elastischer und doch so stolzer Gang zeichneten ihn doch als den edelsten von allen aus. Wer auch nur einen einzigen Blick auf ihn richtete, der sah sofort, daß er es mit einem bedeutenden Manne zu thun hatte. (..) Solch‘ ehrliche, treue, lautere Augen, in welchen beim Zorne heilige Flammen loderten oder aus denen das Mißfallen vernichtende Blitze schleuderte, konnte nur ein Mensch haben, der eine solche Reinheit der Seele, Aufrichtigkeit des Herzens, Unwandelbarkeit des Charakters, und stete Wahrheit des Gefühles besaß wie Winnetou.»

Als Pierre Brice in den 1960er Jahren fürs deutsche Kino diese Filmrolle übernahm, verkörperte er diese Attribute makellos: von einer aristokratischen Eleganz waren die Gesichtszüge, mysteriös der in die Ferne schweifende Blick, uneingeschränkt selbstlos und der Gerechtigkeit geschuldet seine Taten. Sagenhafte zehn Mal spielte Brice den Apachen-Häuptling und zementierte damit jenen Gegensatz, als den der europäisch-koloniale Blick die «Wilden» kategorisierte: entweder als marternde Barbaren, oder als unverdorbene Altruisten, in denen der Naturzustand aus den Anfängen der Menschheit überdauerte.

2. «The Iron Horse» (1924)

Der Film von der Landnahme des urtümlichen nordamerikanischen Westens durch die Moderne, verkörpert durch die Eisenbahnstrecken der Siedler, ist ein Klassiker der Stummfilmjahre Hollywoods. 2011 in die Library of Congress als Kulturgut von nationaler Bedeutung aufgenommen, lancierte der Film jene Verklärung des Westens, die fortan für Jahrzehnte den Ton der Wildwestfilme prägen sollte: als mythologisch aufgeladenes Zivilisierungsprojekt des Weissen Mannes, der sich die wilden Lande untertan machte. Die Darstellung der Ureinwohner folgte diesem Narrativ: sie waren Teil der wilden Natur, die es zu bezwingen galt – weniger mit dem Evangelium als vielmehr mit dem Sechsschüsser. In «The Iron Horse» wurde die Erfahrung der brutalen Indianerkriege im 19. Jahrhundert, in deren Folge zahllose Stämme ausgerottet wurden, reflektiert und mit der Bildkraft des Kinos legitimiert. Dementsprechend erscheinen die Indianer stets als schemenhafte kollektive Bedrohung, von denen nur Böses ausgeht: Täuschung und Trug, Mord und Marter.

3. «Ramona» (1928)

Nur vier Jahre nach «The Iron Horse» kam mit «Ramona» ein weiterer Stummfilm ins Kino, der das andere Indianer-Klischee vorlebte: der Ureinwohner als zu Unrecht niedergemachte, schützenswerte edle Gestalt. Der Film basiert auf der gleichnamigen Romanvorlage aus dem 19. Jahrhundert von Helen Hunt Jackson, die einiges gemeinsam hat mit Harriet Beecher Stowes «Onkel Toms Hütte». Wie Beecher Stowe in paternalistischer Art den schwarzen Sklaven Tom zu einer demütigen, hilflosen Hiobsfigur stilisierte, reduzierte Jackson die Indianer aufgrund ihrer Leidensgeschichte als blosse Opfer. Jacksons verstand ihren Roman allerdings als aufklärerisches Werk und als literarische Fortsetzung ihrer historischen, drei Jahre zuvor verfassten Studie zur Geschichte der Ureinwohner Nordamerikas, in der sie das von den USA begangene Unrecht an den «Natives» aufs schärfste kritisierte. Der Roman war, wie «Onkel Toms Hütte», ein sofortiger Grosserfolg – allerdings nicht in erster Linie wegen der unterschwelligen politischen Anklage, sondern wegen der romantisierten Beziehung zwischen der Protagonistin Ramona, ein indianisch-schottisches «Halbblut», und einem jungen Indianer, die tragisch endet. Der Stoff wurde mehrfach verfilmt, besonders erwähnenswert ist die Version von 1928 mit Dolores Del Rio in der Hauptrolle: für die Regie verantwortlich war Edwin Carewe, selbst ein Nachfahre von Ureinwohnern aus dem Stamm der Chickasaw. Eine spezifisch gesellschaftskritische Saga ist seine lange verschollene und letztes Jahr restaurierte und neu aufgeführte Adaption nicht geworden, aber er hat mit der Herausstellung der starken, eigenständig agierenden weiblichen Hauptperson einen neuen Ton in den Stoff eingeführt. 

4. «Fort Apache» (1948)

Der amerikanische Wildwestfilm war, wie weit er auch in die Geschichte zurückreichte, immer ein Spiegelbild der jeweiligen politischen Verhältnisse. In den späten 40er und den 50er Jahren erlebte die Darstellung der Ureinwohner eine graduelle Wandlung: Nach dem Zweiten Weltkrieg und dem sich anbahnenden Kalten Krieg waren männliche Heldenfiguren weiterhin gefragt, wofür sich der stramme Antikommunist John Wayne entweder als Cowboy oder Kavallerie-Angehöriger stets passend zur Verfügung stellte. Die Ureinwohner – deren Nachkommen in den Kriegen im Pazifik und in Europa gekämpft hatten – taugten neben den Deutschen, Japanern und neu den Sowjets jedoch nicht mehr als Feindbilder: die Nation hatte, inklusive der «First Nations», gegen die neuen Gegner zusammenzustehen. Ambivalent bis anonym war daher ihre Darstellung, wofür «Ford Apache» exemplarisch steht: Sie tauchen im Hintergrund weiter auf als unverzichtbare Kulisse des Wildwestfilms, jedoch quasi attributlos als Objekte, die nur reagieren, wenn der Weisse Mann etwas mit ihnen vor hat. In «Fort Apache» wird aufgrund Neid und inneren Ränken in der US-Kavallerie ein unrechtmässiger Krieg gegen die Indianer vom Zaun gebrochen, die sich daraufhin blutig zur Wehr setzen. Vom Heldentum erzählt der Film, auch von jenem, das in eine sinnlose Schlacht hinterherinterpretiert werden muss, um die Ehre der Streitkräfte zu retten. Den Blutzoll dafür zahlten, einmal mehr, die faktisch rechtlosen Ureinwohner.

5. «Little Big Man» (1970)

In den Siebziger Jahren änderte sich der Western erneut, und erneut drückte die Erfahrung eines tatsächlichen Kriegs im Film durch: in Südwestasien tobte der Vietnamkrieg, in den die USA seit der Präsidentschaft von John F. Kennedy involviert war, und das Bewusstsein, dass hier ein so ungerechter wie unnötiger Krieg geführt wurde, drang langsam in die amerikanische Öffentlichkeit. Die 68er-Bewegung und die Bürgerrechtsbewegung der 50er und 60er Jahre trugen das ihre zu einem aufmerksameren Blick auf die amerikanischen Minderheiten bei. Filme wie «A Man Called Horse» oder das Epos von der Schlacht am Little Big Horn, an der eine Allianz von Indianerstämmen unter der Führung der legendären Häuptlinge Sitting Bull und Crazy Horse das Kavallerieregiment des berüchtigten Generals Custer vernichtend schlug, versuchten sich in einer realistischeren Innenansicht der Geschichte und des leidvollen Alltags der Ureinwohner. 

6. «Der mit dem Wolf tanzt» (1990)

Nach einer Durststrecke von fast zwanzig Jahren fand der Indianerfilm zu einer unverhofften neuen Blüte. Ausgehend vom kritisch-verklärenden Blick der frühen 70er Jahre, war der Oscar-Abräumer «Der mit dem Wolf tanzt» mit Kevin Costner an der Regie und in der Hautprolle eine Form der Wiedergutmachung am tatsächlichen wie filmischen Unrecht an den «Natives». Costner setzte auf Dialoge in der Originalsprache der Lakota, bemühte sich um historische wie kulturelle Präzision und servierte dafür als Kompensation prachtvolle Prärielandschaften, die man lange nicht mehr im Kino gesehen hatte. Der Kassenschlager löste eine Welle an «korrekten» Indianerfilmen wie Daniel Day-Lewis‘ Darstellung als «Der letzte Mohikaner» oder das Biopoc über den letzten kämpfenden Apachen-Häuptling «Geronimo» aus, und stiess sogar im Independent-Film auf Resonanz, wovon Jim Jarmuschs poetischer Anti-Western «Dead Man» zeugte. Der Wildwestfilm war ein Vehikel zur Entheroisierung des nordamerikanischen Kolonialisierungsunternehmens geworden. Von den barbarischen Wilden aus der Frühzeit des Kinos war nichts mehr übrig. In dieser Perspektive blieb für die Indianer nur die Rolle jener, die unter die Räder kamen: der Opfer. 

7. «Smoke Signals» (1970)

Ob Winnetou oder der letzte Mohikaner – bis in die jüngste Vergangenheit waren es in der Regel Weisse, die für das Bild des Indianers im Film sorgten. Was noch fehlte, war der Blick der Betroffenen selbst. Erst Ende des 20. Jahrhunderts kamen jene Stoffe ins Kino, die «indianisches» Leben aus der Sicht der Nachfahren der hingemetzelten oder zwangsassimilierten Ureinwohner erzählten. «Smoke Signals», inszeniert vom Cheyenne Chris Eyre und geschrieben von Sherman Alexie vom Stamm der Spokane, stellte in dieser Hinsicht einen Durchbruch dar. Der humorvolle, in der Gegenwart angesiedelte Roadmovie erzählt von zwei jungen Indianern, die ihr Reservat verlassen, um die Asche eines verstorbenen Ahnen heimzuholen. Auf ihrem Trip durch mehrere Bundesstaaten werden sie mehrmals mit den Vorurteilen, Verklärungen und Stereotypen konfrontiert, die die Bevölkerung der USA gegenüber ihrer indigenen Minderheit hegt – und begegnen ihnen mit Erstaunen und bissiger Ironie. «Indianer sind im Film immer politische Symbolträger, Vehikel für Spiritualismus oder Unterdrückung», beklagten die Filmemacher, nachdem sie am renommierten Sundance-Festival für «Smoke Signals» den Publikumspreis erhalten hatten, «hier dürfen sie endlich ganz normale Menschen spielen.» Ohne Lederschürze und Pfeilköcher, und ohne abschliessendes «Hough».  

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