Scuol im Unterengadin hat dramatische Tage hinter sich: Nach starken Gewittern gingen am Mittwoch und Donnerstag 13 grosse Rüfen auf dem ausgedehnten Gemeindegebiet nieder, zwei donnerten durch Siedlungen. Ein Weiler ist weiterhin von der Umwelt abgeschnitten.
«Es war ein Jahrhundertereignis», sagte Jon Carl Stecher, Leiter des Scuoler Bauamtes, am Freitag auf Anfrage der Nachrichtenagentur sda. Eine solche Kumulation von Rüfen habe es seit mindestens hundert Jahren nicht gegeben. Insgesamt seien Schlamm, Geröll und Felsbrocken mit dem Volumen von 100’000 Kubikmetern oder 100 Einfamilienhäusern niedergegangen.
Nach wie vor nur mit Helikoptern erreichbar ist der Weiler S-charl, eine Ansiedlung am Ende des gleichnamigen Seitentales. Die 13 Kilometer lange Zufahrtsstrasse wurde von sieben grossen Rüfen verschüttet. 80 bis 100 Personen sind laut Stecher eingeschlossen, mehrheitlich Feriengäste.
Die Eingeschlossenen werden per Helikopter mit Lebensmitteln versorgt, wer abreisen wolle, werde ausgeflogen. Die Strasse werde frühestens am Dienstag wieder passierbar sein, sagte der Bauamtchef. Immerhin haben die Eingeschlossenen seit Freitagvormittag wieder Strom – der war am Mittwochabend ausgefallen.
100 Kinder evakuiert
Weiterhin ohne Strom war am Freitagmittag der drei Kilometer von Scuol entfernte Weiler Pradella. Am Mittwochabend war eine Stein- und Schlammlawine zwischen den Häusern der kleinen Ansiedlung am Inn hindurchgedonnert. Die Rüfe riss unbesetzte Autos mit und streifte drei Wohngebäude.
In diesen Häusern waren die Teilnehmer von Ferienlagern untergebracht. 100 Kinder und 40 Erwachsene aus der ganzen Deutschschweiz wurden laut Polizei sicherheitshalber evakuiert. Sie übernachteten in einer Zivilschutzanlage und reisten am Donnerstag nach Hause.
Auto von Schlammlawine mitgerissen
Viel Glück hatte ein Autofahrer am Donnerstagabend in Scuol. Sein Auto wurde von einer Schlammlawine mitgerissen, als er über eine Brücke den Clozza-Bach am oberen Ortsrand überquerte. Der Lenker konnte sich im letzten Moment retten.
Die felsdurchsetzte Schlammlawine mit eine Volumen von zehn Einfamilienhäusern rauschte im kanalisierten, tiefen Bett des Clozza-Baches quer durch den Unterengadiner Hauptort. Das Auto wurde mitgerissen und durch die Stadt gespült. Erst ausserhalb Scuols blieb der total zerstörte Wagen in Bäumen hängen, kurz oberhalb der Einmündung des Baches in den Inn.
Auch ein Bagger fiel den Auswirkungen der Unwetter zum Opfer. Beim Wegräumen von Geröll im Delta eines Inn-Seitenbaches gegenüber von Scuol versank das Fahrzeug langsam metertief im angespülten Schlamm. Am Schluss ragte nur der Baggerarm und das obere Viertel der Führerkabine aus dem Schlick. Der Baggerführer hatte genug Zeit, die Maschine zu verlassen und sich in Sicherheit zu bringen.
Bachbette ausgewaschen
Der Schlamm und die Felsen der beiden Schlammlawinen im bewohnten Gebiet stammten aus den zwei überfluteten Seitenbächen. «Das viele Wasser hat die Bachbette ausgewaschen», erklärte Bauamtchef Stecher der sda. Da seien sogar Findlinge mitgerissen und durch Scuol und Pradella gespült worden.
«Zum Glück sind wir verschont worden, und es gab keine Verletzten», zeigte sich Stecher erleichtert. Häuser seien nur in Pradella beschädigt worden, aber der Schaden an der öffentlichen Infrastruktur sei erheblich. Beschädigt seien Strassen, Brücken und die Stromversorgung.