Die Kritiker an Indiens radikaler Bargeldreform mehren sich. Der grosse Schlag gegen Schwarzgeld und Korruption überfordert die Banken. Analysten befürchten Wachstumsdellen.
Zahlreiche Analysten haben Indien wegen seiner radikalen Bargeldreform kurzfristige Wachstumseinbussen vorhergesagt. Auch der indische Ex-Premier und über Parteigrenzen hinweg geschätzte Ökonom Manmohan Singh schaltete sich in die Diskussion ein. Er widerspreche nicht dem Ziel der Reform – aber sie sei katastrophal schlecht umgesetzt. «Sie fügt den einfachen Bürgern extremes Leid zu und wird das BIP-Wachstum um zwei Prozentpunkte nach unten ziehen.»
Am 9. November hatte die indische Regierung ohne Vorwarnung alle Geldscheine im Wert von mehr als 100 Rupien (1,48 Franken) für ungültig erklärt. Neues Bargeld erhält nur, wer die alten Scheine vorher auf ein Konto einzahlt. Ziel der Aktion ist es, die bei Fiskus und Behörden nicht gemeldete Schattenwirtschaft einzudämmen.
Kurzfristige Aussichten negativ
Auch wenn viele Analysten damit rechnen, dass die Reform auf lange Sicht der indischen Wirtschaft helfen wird, sind die Prognosen für die kurzfristigen Auswirkungen hauptsächlich negativ. Ambit Capital, ein indisches Analysehaus, schreibt: «Der Bargeldmangel wird kurzfristig die indische Wirtschaft lähmen.»
Ein Grossteil der informellen Wirtschaft werde nun Marktanteile an den regulierten Markt verlieren. Dieser «Formalisierungseffekt» werde noch bis ins Jahr 2018 das Wachstum hemmen. Von Oktober 2016 bis März 2017 werde die indische Wirtschaft deshalb nur um 0,5 statt der zuvor angenommenen 6,4 Prozent im Jahresvergleich wachsen.
Auch die US-Investmentbank Goldman Sachs und das japanische Analysehaus Nomura kürzten ihre Wachstumsprognosen für Indien im laufenden Jahr – allerdings nur um jeweils rund einen Prozentpunkt.
Weniger Wachstum
Die Ratingagentur Moody’s schrieb, dass die Neuregelung «die Wirtschaft kurzfristig signifikant belasten und zu langsamerem Wachstum führen wird, aber langfristig die Steuereinnahmen ankurbeln kann».
Der Konkurrent Fitch meinte: «Ein deutlicher Rückgang beim Wachstum im aktuellen Quartal ist sehr wahrscheinlich, für das Gesamtjahr könnte er jedoch moderat ausfallen. Das hängt zu einem grossen Teil davon ab, wie lange die Bargeld-Knappheit anhält.»
Das indische Parlament ist wegen des Themas seit mehr als einer Woche de facto blockiert. Die am 16. November gestartete Sitzungsperiode ist bisher davon geprägt, dass die Opposition erfolglos eine Abstimmung über die Entscheidung fordert.
Grösster Kritikpunkt ist, dass die arme Landbevölkerung keine Gelegenheit zum Umtausch des alten Geldes habe. Die Mehrheit der ländlich lebenden Inder hat kein Bankkonto. Auch in den Städten herrscht immer noch Bargeldknappheit. Die meisten Bankfilialen sind überlaufen, die meisten Geldautomaten leer.