Bundesrätin Doris Leuthard steckt allen Effort in die zweite Gotthardröhre. Dabei trägt das wenig zur Lösung der Verkehrsprobleme bei.
Der durchschnittliche Tagesverkehr am Gotthard beträgt etwa 17’000 Fahrzeuge. In Muttenz (Hagnau) werden täglich 131’000 Fahrzeuge gezählt – das sind fast achtmal mehr. Die Verkehrsprobleme in den Agglomerationen sind um einiges grösser als am Gotthard. Dennoch legt Bundesrätin Doris Leuthard nun allen Effort in den Bau einer zweiten Gotthardröhre.
Diese soll aus dem Strassentopf finanziert werden, so wie all jene Strassenprojekte, welche die Verkehrsprobleme in den Agglomerationen lösen sollen. Die Gelder aus diesem Topf sind unter den Kantonen und Regionen umkämpft, zumal beim Bund Sparprogramme angesagt sind, die immer auch Infrastrukturprojekte stark tangieren.
Wenn die Stimmbevölkerung am 28. Februar Ja sagt zur zweiten Röhre durch den Gotthard, kann es deshalb ein böses Erwachen geben für all jene, die täglich im Stau stehen und nicht nur an Ostern und Pfingsten.
Die zweite Röhre steht in direkter Konkurrenz zur dringend geforderten Beseitigung von Engpässen in unserer Region.
Zusammen mit dem Finanzdepartement von Bundesrat Maurer warnt Bundesrätin Leuthard die Verkehrskommission des Ständerates angesichts der bevorstehenden Sparmassnahmen vor fehlenden Mitteln. Am gleichen Tag behauptet sie auf einem Abstimmungspodium locker, die Mittel für die A2, also den Rheintunnel in Basel und den Ausbau Hagnau-Liestal, seien beschlossene Sache. Das muss man erst mal fertigbringen.
In der NAF-Vorlage (Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrs-Fonds) wird indessen lediglich ausgeführt, welche Mittel im Strategischen Entwicklungsprogramm geplant sind. Der NAF ist weder von den Räten verabschiedet noch sind diese Mittel vom Parlament gesprochen, geschweige denn werden Infrastrukturen von Sparübungen ausgenommen.
Die Regierungen beider Basel werden Bundesrätin Leuthard dereinst gerne an ihre Aussage und ihre Versprechen erinnern. Wenn es ernst wird, dürfte sie allerdings kaum mehr im Amt sein. Für mich steht fest: Die zweite Röhre steht in direkter Konkurrenz zur dringend geforderten Beseitigung von Engpässen in unserer Region.
Doris Leuthard bewegt sich nicht nur politisch, sondern vor allem auch rechtlich auf dünnem Eis.
«Wir bauen ja kaum zwei Tunnel und lassen je eine Spur leer», liess Bundesrätin Leuthard vor vier Jahren verlauten. Schon vor zehn Jahren hatte auch der Bundesrat festgehalten: «Im Falle von Staus am Gotthard würde rasch eine Öffnung der beiden bisherigen Fahrspuren in der bereits vorhandenen Röhre gefordert; das neue Verkehrsregime würde somit unter einen starken politischen Druck aus dem In- und Ausland geraten.»
Heute macht Frau Leuthard geltend, mit der neuen Gesetzesbestimmung sei dies ausgeschlossen, weder vom In- noch vom Ausland sei deshalb Druck zu erwarten. Sie bewegt sich damit nicht nur politisch, sondern vor allem auch rechtlich auf dünnem Eis. Denn zwischen dem Bestreben, eine Kapazitätserweiterung zu vermeiden, um damit den Vorgaben des Alpenschutzartikels zu entsprechen, und jenem, die Bestimmungen des Landverkehrsabkommens mit der EU einzuhalten und auf mengenmässige Einschränkungen zu verzichten, besteht kaum Handlungsspielraum.
Hinzu kommt, dass die Erweiterung um eine zweite Tunnelröhre – um den Tunnel auf je einer richtungsgetrennten Spur betreiben zu können – im Resultat ohnehin bereits eine Kapazitätserweiterung darstellt. Mit anderen Worten: Es braucht eine Verfassungsänderung und Anpassungen beim Landverkehrsabkommen, um zu verhindern, dass die EU die Öffnung zusätzlicher Spuren erzwingen kann. Gestützt auf das Landverkehrsabkommen und den Grundsatz der Nichteinführung mengenmässiger Beschränkungen wäre ihr das heute möglich.
Wenn die Situation so gefährlich ist, wie Bundesrätin Leuthard sie darstellt, müsste sie den Tunnel umgehend schliessen.
Die Mehrheit der Bevölkerung glaubt jedenfalls nicht, dass es ausreicht, in einem Gesetzesartikel festzuschreiben, dass eine zweite Tunnelröhre gebaut, pro Röhre aber nur eine Fahrspur betrieben werden kann.
Vor ihr wohlgesinntem Publikum argumentiert Bundesrätin Leuthard vor allem mit der Sicherheit. Wenn die Situation so gefährlich ist, wie von ihr dargestellt, müsste sie den Tunnel umgehend schliessen. Ihre Argumentation erweist sich denn auch als reine Stimmungsmache, denn der Bundesrat selber schreibt, der Gotthardstrassentunnel sei einer der sichersten Abschnitte im Nationalstrassennetz.
Die Prophezeiung von Bundesrat Hürlimann im September 1980 ist heute widerlegt und wird mit dem Bau einer zweiten Röhre definitiv zur Makulatur.
Es ist zudem davon auszugehen, dass bis zur erfolgten Sanierung die Gefahr von Unfällen dank des technischen Fortschritts wie Spurhaltesystemen, die schon heute in Neuwagen zur Standardausrüstung gehören, erheblich vermindert werden wird.
«Dieser Tunnel ist kein Korridor für den Schwerverkehr», verkündete Bundesrat Hans Hürlimann am 5. September 1980 anlässlich der Einweihung des Gotthardstrassentunnels. Diese Prophezeiung ist heute schon widerlegt und wird mit dem Bau einer zweiten Röhre definitiv zur Makulatur.
_
Der Autor ist SP-Ständerat (Baselland) und Vizepräsident der Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen des Ständerats (KVF-S). Claude Janiak ist der einzige Vertreter aus Baselland und Basel-Stadt in einer der Verkehrskommissionen.