Zwischen Kino und Kunst: 7 Filme von Chantal Akerman

Als Wegbereiterin des feministischen Films wurde die belgische Regisseurin Chantal Akerman gefeiert – das Stadtkino widmet ihr nun eine Retrospektive. Als Wegbereiterin des feministischen Films wurde die belgische Regisseurin Chantal Akerman gefeiert – als Künstlerin, deren Arbeiten gesellschaftliche Strukturen aufbrechen, um gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen, verstand sie sich selbst. Vor einem Jahr beging Akerman im Alter […]

Als Wegbereiterin des feministischen Films wurde die belgische Regisseurin Chantal Akerman gefeiert – das Stadtkino widmet ihr nun eine Retrospektive.

Als Wegbereiterin des feministischen Films wurde die belgische Regisseurin Chantal Akerman gefeiert – als Künstlerin, deren Arbeiten gesellschaftliche Strukturen aufbrechen, um gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen, verstand sie sich selbst. Vor einem Jahr beging Akerman im Alter von 65 Jahren Suizid. Das an der Universität Basel angegliederte Eikones Forum widmet ihr zusammen mit dem Stadtkino Basel kommendes Wochenende eine Retrospektive.

Was man von ihr gesehen haben muss – ein Überblick in sieben Schritten.

1. «Saute ma ville» (1968)

In einer scheinbar alltäglichen Einöde in einer tristen Neubaugegend nimmt eine junge Frau die Post aus dem Briefkasten, summt vor sich hin, kocht Nudeln. Und leert alles Putzmittel, das sie finden kann, auf den Boden, schmiert sich die Beine mit Schuhcreme ein und klebt die Küchentür luftdicht ab. Dann zündet sie ein Stück Papier über dem Herd an, dreht das Gas auf und legt sich unbeweglich auf den Herd drauf. Ende.

18 Jahre alt war Chantal Akerman, als sie diesen ersten Kurzfilm drehte, ein Jahr zuvor brach sie die Filmschule in Brüssel nach nur einem Semester bereits wieder ab, aus der Einsicht, dort nichts lernen zu können. Tatsächlich zeugen die wenigen Minuten von «Saute ma ville» bereits vom Willen zum Bruch, indem konventionelle Haushaltsverrichtungen aus dem Ruder laufen und schliesslich in die mutmassliche Katastrophe münden. Es dauerte zwei Jahre, bis «Saute ma ville» Anerkennung fand – so lange musste sie den Film im Labor liegen lassen, weil sie kein Geld hatte, um ihn auszulösen.

Als der Laborleiter sie schliesslich drängte, ihn zu holen, bat sie ihn um seine Meinung zum Film. Er fand nicht nur Gefallen daran, sondern vermittelte den Film dem belgische Fernsehen für eine Sendung über den alternativen Film, wo «Saute ma ville» ausgestrahlt, wohlwollend rezensiert und an den renommierten Kurzfilmtagen in Oberhausen gezeigt wurde. So wurde die Studienabbrecherin quasi über Nacht zu einer Filmemacherin.

2. «Je, tu, il, elle» (1974)

Ihr erster Spielfilm entstand quasi aus der Not: Um nach einem zweijährigen Aufenthalt in New York bei der belgischen Filmförderung Anträge auf Förderung für grössere Projekte eingeben zu können, musste sie ihr bisheriges Werk erweitern. So entstand in einer Woche «Je, tu, il, elle», eine dreiteilige Skizze über eine junge Frau (Akerman selbst), die sich aus einem Zimmer aufmacht zu einer verregneten Autobahn, wo sie ein Lastwagenfahrer mitnimmt. Schliesslich kommt sie im Haus einer anderen jungen Frau an, wo sich eine Liebesbeziehung zu entwickeln scheint.

Gezeigt wird der Lebensausschnitt einer ziellosen jungen Frau – sie liegt nackt auf dem Sofa und wartet, bis das Leben eintritt, schreibt Briefe an ein imaginäres Gegenüber und hat Sex mit dem Lastwagenfahrer, der völlig an ihren Bedürfnissen vorbeizugehen scheint. Erst im Bett mit der Freundin – eine Szene, die Akerman in ausführlichen zehn Minuten zeigt – findet sich Nähe und damit so etwas wie Erfüllung nach all den vorherigen trostlosen Interaktionen.

3. «Jeanne Dielman, 23 quai du Commerce, 1080 Bruxelles» (1975) 

Das Thema von «Saute ma ville» wird in Akermans erstem Schlüsselwerk «Jeanne Dielman» erneut aufgegriffen – wieder sieht man eine Frau, diesmal eine verwitwete Prostituierte, die mit ihrem Sohn in einem scheinbar gutbürgerlichen Haushalt lebt – bei eingeübten Haushaltshandlungen. Kartoffeln kochen, Müll entsorgen, nach dem Kundenkontakt sich in der Badewanne waschen.

Mit rund 200 Filmminuten zeigt Akerman nahezu in Echtzeit einen auf Rituale zusammengeschrumpften Alltag, in dem jede Tätigkeit in eine strenge Struktur eingebettet ist. Mit den in die Länge gezogenen, starren Kameraeinstellungen macht Akerman das Zwanghafte dieser Handlungen überdeutlich, die einem sinnentleerten Leben Ordnung geben sollen. Bis am Ende, als die Routine jäh durchbrochen wird, die Hauptdarstellerin radikal den Status quo ante wiederherstellt.

Die Handlungen in ihrer notwendigen Länge zu zeigen, bedeute, den Alltagsraum dieser Frau zu respektieren, einen Alltag, den sie mit vielen Hausfrauen der damaligen Zeit teile, sagte Akerman einmal in einem Interview. Es war filmisches Neuland: Das «erste Meisterwerk des Femininen in der Filmgeschichte» nannte die «New York Times» den Film zum Zeitpunkt der Veröffentlichung.

4. «Dis-moi» (1980)

«Dis-moi» ist Akermans erste frontale Auseinandersetzung mit dem Schicksal ihrer Eltern als Überlebende des Holocausts. Den Fokus richtet sie jedoch nicht auf die Familiengeschichte, sondern auf drei jüdische Frauen aus Osteuropa, die den Schrecken der Vernichtungslager überlebt haben.

Um eine Chronik aus den Lagern geht es nur am Rande, stattdessen imaginiert Akerman durch die Porträts der drei älteren Frauen ihre eigene Grossmutter, die im KZ umgekommen und die Akerman nie kennen gelernt hat. Der kauzige Humor kommt dabei nicht zu kurz, wie Szenen zeigen, in denen die Frauen Akerman zum Essen auffordern («ansonsten erzähle ich nicht weiter!») oder sich vom Interview und den Anforderungen der Filmcrew gelangweilt zeigen und lieber fernsehen wollen.

5. «Toute une nuit» (1982)

Es ist eine heisse Sommernacht in Brüssel, und die Menschen finden keinen Schlaf. So ziehen sie raus aus ihren Häusern, auf die Strassen, in Bars und Clubs, und wenn sie Glück haben, machen sie eine verheissungsvolle Begegnung – auf diesem schmalen Gerüst hat Akerman mit «Toute une nuit» ein Melodram der Jagd nach nie stillbaren Genüssen geschafft.

Ohne eigentliche Geschichte oder sich entwickelnde Charakterstudien und sich damit um klassische Erlebensgewohnheiten des Spielfilms foutierend, konzentriert sich Akerman in zahlreichen Einzelstudien vollständig auf die Codes und Gesten, auf die Menschen im Paarungsverhalten zurückgreifen. Die humoristischen Elemente treten dadurch quasi zwangsweise hervor, schärfer bleibt hingegen der Wiedererkennungseffekt: Es mögen nicht unsere Leben sein, die wir in «Toute une nuit» sehen. Aber bestimmt unsere Sehnsüchte, Wünsche und unsere Nervosität vor dem ultimativen Schritt.

6. «Un divan à New York» (1996)

In den Neunzigerjahren öffnete sich Akermans Kino hin zu einem grösseren Publikum, das zu ihrem früheren Experimentalwerk kaum Zugang fand. «Un divan à New York» war, betreffend Setting und Cast, schon fast hollywoodesk: Die Hauptrollen spielen Juliette Binoche und William Hurt als Tänzerin aus Paris und Psychoanalytiker aus New York, die über eine Annonce ihre Wohnungen tauschen, um ihren festgefahrenen Leben zu entfliehen – und sich damit geradewegs in ihre gegenseitigen Knörze hineinziehen.

Am Schluss verlieben sie sich, dazwischen gibt es einige charmante Irrungs- und Wirrungsszenen, aber auch in diesem leichten Werk verliert Akerman die Geschlechterfrage nicht aus den Augen: Es ist Binoche, die in der Kurzzeitrolle als Analytikerin-Aushilfe den ernüchterten Profi, der seine Patienten nicht mehr ertragen kann, wieder aus der Erstarrung löst.

7. «No Home Movie» (2015)

Kurz vor ihrem Tod drehte Chantal Akerman ihren vielleicht persönlichsten Film: ein Porträt ihrer betagten Mutter Natalia, festgehalten in Gesprächen via Skype oder am Küchentisch in der Brüsseler Wohnung. Formell gibt es Referenzen an die Vergangenheitsgespräche in «Dis-moi», visuell an «Jeanne Dielmann», wenn Akerman in langen, statischen Shots geduldig den Alltag der Mutter in ihrer Wohnung festhält.

Aber «No Home Movie» greift auf eine ganz andere Art ans Herz: Herausgeschält wird eine sehr persönliche, sehr zarte Beziehung zwischen Mutter und Tochter, die sich in den Skype-Gesprächen kaum je dazu durchdringen mögen, aufzuhängen – eine Beziehung, die durch den Schatten des nahen Todes von Natalie an Traurigkeit gewinnt. Langsam entschwindet die Mutter aus den gemeinsamen Lebenszusammenhängen, schläft viel, wirkt abwesend.

Kurz nachdem Akerman das Material abgedreht hat, stirbt die Mutter 2014. Die Tochter folgte ihr ein Jahr später.

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Symposium «Zur Schwierigkeit des Vergessens – Das Kino von Chantal Akerman», 20. bis 22. Oktober, Eikones Forum und Stadtkino Basel.

Filmreihe im Stadtkino: «Im Bann des Kinos von Chantal Akerman».

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