Die Abflusskanäle, die von den Italienern vor dem Zweiten Weltkrieg angelegt wurden, werden heute auch für die Entsorgung von Abfall benutzt. 2010
(Bild: Hans Peter Jost)
«Hans Peter Jost lässt uns nicht lange in Erinnerungen schwelgen, befriedigt nicht nur die Neugierde an Historie, sondern konfrontiert uns mit der Realität, die wir in den letzten 20 Jahren geschaffen haben», schrieb Fatos Lubonja, einer der kritischsten Journalisten Albaniens zu dem Werk des Fotografen, der seit dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes in Albanien unterwegs ist.
Diese Einschätzung gilt auch für seine aktuelle Arbeit, die er den Frauen Albaniens widmet. Sensibel, aber auch ironisch, mit respektvollem Abstand und gleichzeitig grosser Neugierde beschreibt er die vielen Parallelwelten der Sisters of Rozafa, die sich seit Jahrtausenden an der Nahtstelle von Ost und West, zwischen Rom und Byzanz, zwischen Islam und Christentum, zwischen Kommunismus und Kapitalismus zurechtfinden müssen.
In der männlich dominierten Öffentlichkeit Albaniens kaum wahrgenommen, sind die Frauen die unermüdliche Kraft einer Gesellschaft, die nach jahrzehntelanger Diktatur und Isolation unvermittelt in die vermeintliche Freiheit katapultiert wurde. Seitdem erleben sie Aufbruch und Hoffnung, Instabilität und Korruption, rechtliche Gleichstellung und die Restriktionen überkommener mittelalterlicher Verhaltensregeln, die immer noch jeden Bereich des Lebens regeln. Die Familie und deren Stabilität stehen dabei immer noch im Vordergrund. So wie für Rozafa, ein weibliches Idol aus mythischer Vorzeit: Sie liess sich zur Rettung ihrer Familie in die Burgmauer einmauern. Aber nur unter einer Bedingung: Eine Brust, eine Hand und ein Bein mussten frei bleiben: um den kleinen Sohn zu stillen, zu streicheln und seine Wiege zu schaukeln.