Es ist der Herbst 1980, ich trampe gen Süden. Von Wuppertal geht es über München, durch Österreich und Jugoslawien, bis nach Athen, dann weiter mit dem Schiff nach Kreta. In einer österreichischen Gaststätte, es ist bitterkalt, legt mir ein Sannyasin die Karten. Eine sticht heraus: «The Hermit», der Einsiedler, die Suche nach dem eigenen Lebensweg.
Ich habe Glück und erwische einen holländischen LKW, der nach Griechenland fährt. Hank, der Fahrer, ist nett, er lädt mich zum Essen ein, lässt mich mit in der Fahrerkabine schlafen, hinter den Sitzen, zwei Betten, übereinander. Morgens frisch gebrühter Kaffee, Musik aus dem Kassettenrecorder.
Eine schier endlose Fahrt durch Jugoslawien beginnt, über den mörderischen, völlig überlasteten Autoput. Der gesamte Verkehr nach Asien, Türkei, Iran, Naher Osten und Griechenland läuft über diese streckenweise nur zweispurige Landstrasse. Ständige riskante Überholmanöver – unser Lkw hat Chemikalien geladen – alle paar Kilometer zerstörte, manchmal ausgebrannte Autowracks am Fahrbahnrand.
Im Gegensatz zur zurückliegenden Tortur, erscheint die nordgriechische Grenze fast wie das Tor zum Paradies.
Völlig übermüdete Familienväter in überladenen Autos, auf dem Weg in die Türkei, dann starker Regen, schlechte Sicht. Bei einbrechender Dunkelheit kreuzen kleine Fiats mit kaputten Scheinwerfern und unbeleuchtete Pferdefuhrwerke unseren Weg, Angst nicht anzukommen.
Pausen auf dreckigen, schlecht beleuchteten, unfreundlichen Parkplätzen. Wir essen sozialistisches Einerlei der staatlich betriebenen Raststätten, in manchen WCs schiessen Wasserfontänen aus den Wänden, weil die Waschbecken und Pissoirs oft zerschlagen oder geklaut sind. Auf dem Autoput ist ziemlich alles so, wie es der Name nahelegt.
In Mazedonien, damals noch ein Teil Jugoslawiens, wird es ruhiger, der Asienverkehr ist abgebogen, jetzt nur noch der Griechenlandverkehr. Zwischen Bergrücken mäandert die Strasse wunderschön an einem Fluss entlang.
Im Gegensatz zur zurückliegenden Tortur, erscheint die nordgriechische Grenze fast wie das Tor zum Paradies. Es ist warm geworden, die Luft ist gut, es duftet nach Zypressen, bald taucht leuchtend blau das Meer auf. Ab jetzt nur noch nagelneue Autobahnen, gutes Essen und freundliche Menschen.
Die Aufnahme in die Europäische Gemeinschaft steht kurz bevor. Durch Wirtschafts- und Strukturhilfen und den zunehmenden Tourismus geht es wirtschaftlich aufwärts, das Land macht sich mit viel Hoffnung auf in die 1980er-Jahre. Nach der dunklen Zeit der Militärdiktatur und den Jahren des Übergangs, kommt jetzt der grosse Sprung nach vorne. Endlich, Griechenland!