Die Region Vidarbha im Bundesstaat Maharashtra in Zentralindien, einst bekannt für den reichhaltigen Ernteertrag von Baumwolle, sorgt in letzter Zeit immer wieder für negative Schlagzeilen, weil sie zum Synonym für jene Region geworden ist, die die meisten Baumwollbauern Indiens in den Tod treibt. Denn weit über 200’000 Baumwollbauern haben sich im Laufe des letzten Jahrzehnts im Bundesstaat Maharashtra das Leben genommen – 70 Prozent davon in Vidarbha.
Eine nach unten gerichtete Preisspirale und sinkende Ernteerträge treiben die Bauern in die Verzweiflung. Dabei ist der Selbstmord der Baumwollbauern nur ein Symptom, ein äusserst tragisches und dramatisches, für den Überlebenskampf, dem sich die indischen Baumwollbauern gegenübersehen.
Fallende Preise
Denn Baumwolle, einst noch als weisses Gold bezeichnet, wird immer mehr zum Synonym für Preisdumping und Preisverfall. Indien lässt seit 1998, auf Drängen der WTO, den Import von Baumwolle zu. Seitdem fallen die Baumwollpreise stetig. Zudem hat sich Indien aus dem staatlichen Ankauf von Baumwolle zurückgezogen. Ab 1970 hatte der indische Staat den Baumwollproduzenten einen vom Weltmarkt unabhängig festgelegten Preis garantiert. 1998 ist diese Regulierung weggefallen.
Zudem wurde 2002 genmanipulierte BT-Baumwolle zugelassen. BT-Baumwollsaatgut ist teurer: 1900 Rupien pro Kilogramm kostet es. Das traditionelle schlägt mit gerade mal 200 Rupien zu Buche. BT-Baumwollsaatgut muss zudem jedes Jahr neu gekauft werden, während das traditionelle wieder verwendet werden konnte. Ausserdem erfordert BT-Baumwolle einen viel höheren Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln, was die Produktionskosten extrem in die Höhe treibt.
Der Einsatz von BT-Baumwolle hat dazu geführt, dass die Produktionskosten bis ins Zehnfache angestiegen sind –
und der Ernteertrag gleichzeitig geschmälert wurde.
Fehlende Bewässerungssysteme
Ursachen dafür gibt es viele. Die wichtigste für den dramatischen Ernterückgang liegt im nicht vorhandenen Bewässerungssystem. 90 Prozent aller Felder sind vom Regen abhängig. BT-Baumwolle ist nicht für Regionen geeignet, die über keinerlei Bewässerungssystem verfügen. Zudem wurden mit der genmanipulierten BT-Baumwolle neue, in Indien bisher unbekannte Schädlinge wie die Schmierlaus eingeführt, die ganze Felder zerstört.
Seit 2002 ist der Anbau von BT-Baumwolle in Indien stetig gestiegen. Während es 2002 noch 50’000 Hektar waren, sind es im Jahr 2011 schon mehr als 12,1 Millionen Hektar Anbaufläche. Damit zählt Indien zu den Ländern mit der grössten Anbaufläche von BT-Baumwolle – noch vor China.
Mittlerweile gibt es nur noch BT-Baumwollsaatgut zu kaufen (alle indischen Saatguthersteller sind vom amerikanischen Unternehmen Monsanto aufgekauft worden). Es ist nahezu unmöglich auf das traditionelle Baumwollsaatgut auszuweichen. Die Bauern sind gezwungen, jedes Jahr aufs Neue das BT-Baumwollsaatgut zu den von den Konzernen festgelegten Preisen zu kaufen. So werden sie mehr und mehr in die Abhängigkeit von Saatgutherstellern und Chemiehändlern getrieben.
Zuflucht in den Metropolen
Die Region Vidarbha ist aufgrund der fehlenden Bewässerungssysteme für den traditionellen Anbau von Baumwolle ausgelegt. Ohne den Baumwollanbau würde die ganze Region aussterben. Zwar bauen viele Bauern mittlerweile Sojabohnen an, aber das ist nur ein Zusatzgeschäft. Schon jetzt sehen sich viele Bauern durch die ausfallenden Ernteerträge gezwungen, Zuflucht in den Metropolen Indiens zu suchen und sich als Tagelöhner zu verdingen. Oder aber sie betätigen sich in Vidarbha als Feldarbeiter.
Mit dem Erhalt der Baumwollplantagen in Indien steht also ein ganzer Berufsstand zur Disposition. Machen die Baumwollbauern weiterhin Verluste – und dafür spricht einiges – dann verliert Indien seine Bauern. Das dürfte verheerende Folgen für den Subkontinent haben, der zu 60 Prozent landwirtschaftlich geprägt ist.
Ich habe in Vidarbha, in der Region um Wardha, Baumwollbauern aufgesucht, die Witwen und Hinterbliebenen einiger verstorbener Baumwollbauern besucht und ihre dortige Lebenswelt dokumentiert.