Kasachstan: Unbequeme Bilder

Fotografie abseits von Steppenromantik und Gebirgsidylle ist in Kasachstan nicht gern gesehen. Visuelle Abweichungen geraten schnell in den Verdacht schlechten Geschmacks und politischer Agitation – gerade nun vor den Wahlen.

Das Hotel Kasachstan überragt die kasachische Metropole Almaty. Das Gebäude wurde 1970 errichtet und gilt als Wahrzeichen der Stadt. Sowjetischer Pomp und eine marode Bausubstanz erinnern die Bewohner an die Sowjetzeit, als Almaty noch Alma Ata hiess und weltweit als Stadt der Äpfel bekannt war. Im Kreml, so heisst es, wurden ausschliesslich Äpfel serviert, die an den Hängen des Tian Shan Gebirges wuchsen. Heute sind die meisten Plantagen klotzigen Neubauten gewichen. Kasachstan ist rohstoffreich und prosperiert. Kritik an den Schattenseiten des Aufstiegs duldet das System von Präsident Nursultan Nasarbajew nur geringfügig. Bilder von Hinterhöfen und grauen Vorstädten sollen nicht an die Öffentlichkeit gelangen. (Bild: Nils Bröer)

Geschlossene Gesellschaft: Die neureichen Eliten des Landes schotten sich vom Rest der Bevölkerung ab. Private Wachdienste sorgen dafür, dass sich keine ungebetenen Gäste in die besseren Stadtviertel «verirren». (Bild: Nils Bröer)

In den Vororten von Almaty ist es schnell mit der Idylle vorbei. In den Hinterhöfen findet man verlassene Baustellen und Müllabladeplätze. Der Grossteil der Bevölkerung kann sich keine Wohnung in der Stadt leisten. Viele Pendler leben in den Dörfern und nehmen jeden Tag zweistündige Fahrten in überfüllten Bussen auf sich, um zur Arbeit zu kommen. (Bild: Nils Bröer)

Viele Kasachen heiraten vergleichsweise früh. Frauen in den späten Zwanzigern gelten auf dem Heiratsmarkt bereits als schwer vermittelbar. Die Scheidungsraten sind hoch und oft bleibt die Mutter allein mit dem Nachwuchs zurück, wenn sich ihr Mann eine Jüngere wählt. Wirtschaftlich erfolgreiche Männer gelten für viele junge Frauen als gute Altersvorsorge. Mehrere Geliebte sind für viele Männer Statussymbole. (Bild: Nils Bröer)

Präsident Nursultan Nazarbajew grüsst von einem Plakat anlässlich des 20. Jubiläums der kasachischen Unabhängigkeit. Der 74-Jährige regiert das Land seither mit harter Hand. In vielen Städten zieren Statuen und Büsten des Herrschers das Stadtbild. Bei den vergangenen Wahlen 2011 erhielt er 95,5 Prozent der Stimmen. Die Wahl wurde von Beobachtern als demokratisch höchst fragwürdig kritisiert. Dennoch ist Nazarbajew bei der Mehrheit der Bevölkerung sehr beliebt. (Bild: Nils Bröer)

Zuletzt hat die Regierung grosse Anstrengungen unternommen, um das marode Bildungssystem zu modernisieren. Gleiche Zukunftschancen für Alle sind in Kasachstan aber dennoch nicht realisiert. Korruption und Vetternwirtschaft sorgen dafür, dass vielen Kasachen höhere Bildung oder eine lukrative Stelle versagt bleiben. Für sie bleibt oft nur die Arbeit in kleinen Handwerksbetrieben oder Gelegenheitsjobs. (Bild: Nils Bröer)

Für viele kasachische Familien spielen Traditionen eine wichtige Rolle. In dem mehrheitlich muslimischen Land sind familiäre Bande sehr wichtig. Die kasachische Gastfreundschaft ist berühmt. Obwohl der Alltag für viele Familien beschwerlich ist, sind Herzlichkeit und Zuvorkommenheit gegenüber Fremden eine Selbstverständlichkeit. (Bild: Nils Bröer)

Mit zunehmendem Wohlstand ist Kasachstan zu einem neuen Absatzmarkt geworden. Vor allem westliche Konsum- und Luxusartikel stehen bei den Kasachen hoch im Kurs. Aber auch Spielwaren werden importiert, meist aus China. (Bild: Nils Bröer)

Die kasachische Steppe ist weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Für viele westliche Abenteuertouristen ist sie ein Sehnsuchtsort. Die Steppe ist das Zuhause der kasachischen Nomaden, die seit Jahrhunderten ihre Herden in den weiten Ebenen hüten. (Bild: Nils Bröer)

In einem Vorort überragen neue Gebäudekomplexe die Überreste der einstigen Siedlung auf dem Bauland. Findige Händler haben sich in unmittelbarer Nähe zur Grossbaustelle auf Baustoffe spezialisiert. Was auf der Baustelle fehlt, wird in der Nachbarschaft feilgeboten. Dass die Händler damit dem Niedergang Vorschub leisten, stört sie nicht. Zu lukrativ sind die Geschäftsaussichten. (Bild: Nils Bröer)

Kasachische Hochzeiten sind bedeutende Veranstaltungen. An diesem Tag werden weder Kosten noch Mühen gescheut. Kein Wochenende vergeht in Almaty, ohne dass die Strechlimousinen die zahlreichen Brautpaare durch die Stadt chauffieren. (Bild: Nils Bröer)

Die ehemalige Sowjetrepublik Kasachstan feiert am 9. Mai den ruhmreichen Sieg der sowjetischen Truppen über Nazideutschland. Der Tag des Sieges ist ein nationaler Feiertag. Die Erinnerung an den Krieg ist tief im kulturellen Gedächtnis verankert. (Bild: Nils Bröer)

Weil der öfffentliche Raum in Kasachstan streng bewacht wird und die Lebenshaltungskosten hoch sind, ziehen sich viele Kasachen in die eigenen vier Wände zurück. Hier können sie auch mal kritisch über die Politik ihres Landes diskutieren. (Bild: Nils Bröer)

Kasachstan wählt am 26. April, doch der Sieger steht eigentlich schon fest: Präsident Nursultan Nasarbajew ist bei den vergangenen Wahlen 2011 mit über 90 Prozent gewählt worden, dieses Mal dürfte es kaum anders ausfallen. Der Herrscher kontrolliert gerne und bestimmt auch das Image, das vom Land transportiert wird – auch auf Bildebene. Ein Jahr lang lebte Fotograf Nils Bröer in Kasachstan. Ihn erstaunte, wie schnell Fotografien dort als Nestbeschmutzung wahrgenommen werden, wie er erzählt:

«Trotz immenser Rohstoffvorkommen und wachsendem Wohlstand ist es Kasachstan 24 Jahre nach der Unabhängigkeit noch nicht gelungen, sich aus den Fesseln der Vergangenheit zu befreien. Gefangen zwischen Sowjetnostalgie und Turbokapitalismus sucht die junge Nation nach ihrem Platz in der Welt. Im System des Präsidenten Nursultan Nasarbajew ist dabei wenig Platz für Kritik.

Einschränkungen gibt es auch bei der Darstellung des Landes nach aussen. Bilder von Hinterhöfen, grauen Vorstädten und jenen, die im Strudel der rasanten Veränderungen auf der Strecke bleiben, sollen unter dem Kitt von Kitsch und Harmonie verschwinden. Die Regierung blockiert Blogs von ausländischen Fotojournalisten und stellt ihnen bei Recherchen einen ‹Schatten› zur Seite. Dieser greift zwar nicht ins Geschehen ein, aber äussert seinen Unmut in geschliffenem Englisch, wenn der Weg abseits der Hauptstrassen in die Hinterhöfe führt.

Die Frage, warum man seine Kamera auf die Widersprüche richtet, die die Transformation vom sowjetischen Satellitenstaat hin zur modernen Industrienation produziert, wird Fotografen in Kasachstan ständig gestellt. Genauso häufig kommt der Vorwurf, man schade dadurch dem Ansehen der Nation im Ausland. Dabei ist das Gegenteil der Fall. Dringende Fragen werden nicht gelöst, wenn man sie im Unsichtbaren lässt.»

Wir zeigen aus aktuellem Anlass die «unbequemen Bilder» von Nils Bröer:

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