Junge Männer und Frauen in Tarnanzügen durchstreifen den Wald, robben durch das Dickicht, werfen den Gegner zu Boden: Einmal im Jahr treffen sich Mitglieder der ukrainischen Jugendorganisation «Junger Nationaler Kongress» (MNK) zu einem 60-stündigen Kampfspiel in den Tiefen der westukrainischen Wälder.
340 junge Männer und Frauen nahmen im Mai an dem Spiel teil. Dieses folgt strengen Regeln: Waffen sind verboten, der Verlauf wird von einem Schiedsrichter überwacht. Wer die Gegner niederringt und die Fahne des gegnerischen Teams ergattert, ist der Sieger.
Ein Soldat spaltet die Nation
Im Zentrum des Spiels steht das Gedenken an den umstrittenen westukrainischen Nationalistenführer Stepan Bandera. Bandera war ein Widerstandskämpfer gegen die Rote Armee und kollaborierte teilweise mit den Nationalsozialisten, um einen ukrainischen Staat zu gründen. Welche Rolle seine «Organisation Ukrainischer Nationalisten» (OUN-B) bei Massakern an Juden und der polnischen Zivilbevölkerung in Wolhynien und Galizien gespielt hat, ist unter Historikern bis heute umstritten. Nach der Ausrufung eines unabhängigen ukrainischen Staates wurde Bandera in einem KZ interniert, er kam später aber wieder frei. In der Westukraine als Freiheitskämpfer verehrt, wird er im Osten der Ukraine und in Russland, aber auch in Polen und Israel als Nazi-Kollaborateur geächtet.
Bandera spaltet auch immer wieder die politischen Lager der Ukraine: Während ihn Viktor Juschtschenko nach der Orangen Revolution zum Nationalhelden geadelt hatte, wurde Bandera dieser Titel von Viktor Janukowitsch wieder aberkannt.
Schauplatz des jährlichen Kampfspiels des MNK, das an Bandera erinnern soll und das im Jahr 2010 unter die «zehn besten Jugendveranstaltungen des Jahres» gewählt wurde, ist der Wald zwischen Gurba und Antoniwtsi an der Grenze der beiden westukrainischen Regionen Ternopil und Riwne. Genau hier kesselte die Rote Armee im April 1944 rund 5’000 Kämpfer der «Ukrainischen Aufständischen Armee» (UPA) ein, des militärischen Flügels der Bandera-Organisation OUN-B. Die UPA-Kämpfer konnten sich damals unter grossen Verlusten auf beiden Seiten befreien.
Nicht Nazis, sondern Nationalisten
Die Mitglieder des «Jungen Nationalen Kongresses» sehen sich in dieser Tradition – nicht als Nazis, sondern als Nationalisten, wie sie betonen. In diesem Jahr bekommt ihr Kampfspiel allerdings eine neue Bedeutung – die Teilnehmer haben ein klares Bedrohungsszenario vor Augen: eine russische Militärintervention in ihrem Land. «Dieser Wettkampf ist eine wichtige Vorbereitung für die Fitness und den Heimatstolz unserer Jugend, wenn es zu einer möglichen Militärintervention unseres östlichen Nachbarlandes kommt», steht auf der MNK-Website.
«Dieser Wettkampf ist eine wichtige Vorbereitung für die Fitness und den Heimatstolz unserer Jugend, wenn es zu einer Militärintervention kommt.»
In der Ukraine konkurrieren heute neben dem «Jungen Nationalen Kongress» mehrere Gruppen um das Bandera-Erbe. So sehen sich sowohl die Partei «Swoboda» als auch der «Rechte Sektor» in der Tradition der OUN-B. Das Andenken an Bandera habe vor allem in der Westukraine eine «hohe Bedeutung für die ethnische Selbstidentifikation», schreibt der deutsche Politologe Andreas Umland. «Dabei wird die OUN-B weniger als eine faschistische Partei denn als Höhepunkt der nationalen Befreiungsbewegung verstanden.»
In diesem Sinne sei auch das MNK-Kampfspiel zu sehen, sagt der ukrainische Rechtsextremismus-Experte Anton Schechowtsow: «Es ist eine Organisation, die patriotische Pfadfinder-Spiele organisiert.» Für die Rechtsextremen in der Ukraine sei die Jugendorganisation «völlig unbedeutend».
Insgesamt wurde die Rolle rechtsextremer Gruppen in der Ukraine zuletzt oft überbetont. Der «Rechte Sektor» hatte neben anderen Gruppen zwar eine entscheidende Rolle beim Umsturz auf dem Maidan gespielt, doch bei den Präsidentschaftswahlen am Sonntag kamen die beiden Kandidaten von «Swoboda» und «Rechtem Sektor» zusammen auf weniger als zwei Prozent der Stimmen.