In Workuta, einer Stadt 150 Kilometer vom Nordpol entfernt, mitten in der russischen Tundra, wird jeden November ein ungewöhnlicher Feiertag begangen: Am Rentierzüchtertag fahren Nomaden aus den umliegenden Regionen mit ihren Rentieren nach Workuta. Der Höhepunkt des Feiertags: Ein Rentierrennen durch die Stadt. Zu gewinnen gibt es, passend zu den klirrend kalten Wintern in dieser Region, ein Schneemobil. Die Tradition des Rennens ist noch relativ jung. Ein Bürgermeister rief die Veranstaltung vor etwas mehr als zehn Jahren ins Leben.
Die Teilnehmer des Rennens leben als Nomaden meist weit voneinander entfernt in der Tundra, deswegen ist das Rentierrennen für sie eine rare Gelegenheit, andere Züchter und Familienmitglieder zu treffen. Der Zeitpunkt des Rennens wurde bewusst gewählt: Im November ziehen die Nomaden weiter nach Süden, und dabei kommen sie auch an Workuta vorbei. Für die Rentiere ist das Rennen übrigens nur bedingt Anlass zur Freude, denn die Züchter verkaufen in Workuta meist einen Teil ihrer Herde – zum Schlachten.
Einst eine grosse Häftlings-Kolonie
Allerdings hat die Stadt eine düstere Vorgeschichte. In den 1930er-Jahren legten Geologen in der Gegend des heutigen Workuta eine Siedlung an, wenige Jahre später entstand dort eines der grössten Lager des stalinistischen Gulag-Systems. 1951 waren in dem Lager mehr als 70 000 Häftlinge inhaftiert, die unter widrigsten Bedingungen Zwangsarbeit leisten mussten, laut der Menschenrechtsorganisation Memorial vor allem in der Kohleförderung und im Grubenbau.
Unter den Häftlingen waren vorwiegend Opfer des stalinistischen Systems – aus der Sowjetunion, aber auch aus anderen Ländern. Auch Deutsche aus der damaligen DDR landeten in Workuta, zum Beispiel wegen angeblicher Militärspionage. In späteren Jahren waren auch deutsche und österreichische Kriegsgefangene in Workuta inhaftiert, zum Teil bis in die 1950er-Jahre hinein: 1955 erreichte der damalige deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer die Freilassung der letzten deutschen Kriegsgefangenen aus Workuta.