Der Platz wird knapp in der Schweiz – und schuld daran sind die Einwanderer. Wirklich? So simpel, wie es die Befürworter der Masseneinwanderungsinitiative sehen, ist es zum Glück nicht.
Elf Millionen! So viele Menschen würden die Schweiz in 30 Jahren bevölkern, sollte es mit der Einwanderung so weitergehen wie heute, warnen die Befürworter der SVP-Masseneinwanderungsinitiative. Der Wohnraum würde knapper und teurer, Züge und Strassen noch verstopfter. Dichtestress!
Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht.
Ähnliches wurde bereits vor 50 Jahren prognostiziert: in den Sechzigerjahren, als in Basel noch 50 000 Einwohner mehr lebten als heute und die Schweiz eine markante Einwanderungswelle verzeichnete. Die Horrorvision einer Zehn-Millionen-Schweiz wurde damals vom St. Galler Professor Francesco Kneschaurek in die Welt gesetzt und hätte gemäss seinen Prognosen im Jahr 2000 Realität werden sollen. Tat sie aber nicht.
Und heute? Mitten im Abstimmungskampf um die Masseneinwanderung kursiert neben dem Überbevölkerungs- bereits ein Unterbevölkerungsszenario. Laut diesem beginnt die Zahl der Menschen ab 2060 zu schrumpfen, mit negativen Auswirkungen auf Wirtschaft und Sozialwerke. So betrachtet, müsste man heute froh um jeden Einwanderer sein …
Als ob alle profitieren würden
Müsste, könnte, sollte. Wer mit Zahlen und Statistiken arbeitet, der weiss, dass es zu Fehlprognosen kommt, wenn man monokausal von heute auf morgen schliesst. Das gilt auch für die Gegner der Initiative, die nicht müde werden zu betonen, dass die Einwanderung die Wirtschaft ankurble. Als ob das Wachstum immerwährend wäre. Und als ob alle davon profitieren würden: Das Bruttoinlandprodukt (BIP) der Schweiz ist dank der Zuwanderung zwar gewachsen, weil mehr Leute mehr produzieren. Entscheidend für den Wohlstand eines Landes ist aber das BIP pro Kopf, und hier wächst die Schweiz nicht so rasch wie zum Beispiel Deutschland.
Statt Zahlenhuberei zu betreiben, wäre es ehrlicher, dem Volk zu sagen, was eine Einschränkung der Personenfreizügigkeit und eine Rückkehr zu den obsoleten Ausländerkontingenten konkret brächten: viel unnötige Bürokratie, Personalengpässe (vor allem in Grenzgängerkantonen wie Basel-Stadt) und Ärger mit der EU. Im schlimmsten Fall träten die bilateralen Verträge ausser Kraft – und das hätte langfristig fatale Folgen für unseren Wohlstand.
Artikelgeschichte
Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 17.01.14