Die Kirche ist krank: Es fehlt ihr an Ideen, Profil, Glaubwürdigkeit und Nachwuchs.
Ich glaube nicht an nichts. Und ich habe auch ein offenes Ohr für religiöse Anliegen, solange diese nicht blindem missionarischem Eifer entspringen, ethisch fragwürdig sind oder die Freiheit des Denkens infrage stellen. Wissenschaftlich betrachtet, zähle ich zu den religiös «Distanzierten». Diese machen gemäss dem Nationalen Forschungsprogramm «Religionsgemeinschaften, Staat und Gesellschaft» mit rund 65 Prozent den Löwenanteil der Bevölkerung aus.
Und ihre Zahl wächst – wie auch die Zahl jener, die der Kirche ganz den Rücken kehren. Denn auf viele Fragen, die die Menschen heute beschäftigen, haben die Kirchen keine Antworten mehr. Oder andere «life coaches» sind an die Stelle der Geistlichen getreten: Psychologen, Gesprächstherapeuten, philosophische und – zum Teil dubiose – esoterische Lebensberater.
Für «Distanzierte» spielt die Religion keine Rolle im Leben. Kirchliche Fragen beschäftigen sie selten, Gottesdienste besuchen sie nie. Trotzdem zahlen sie Kirchensteuern. Vielleicht aus Solidarität mit Menschen, für die der Kirchenbesuch eine wichtige seelische Stütze darstellt. Vielleicht, weil sie sich der sozialen, kulturellen und historischen Bedeutung der Kirchen bewusst sind. Vielleicht auch, weil sie schon einmal Theologen begegnet sind, die sie beeindruckt und mit denen sie gute Gespräche geführt haben. Nicht über Gott, sondern über die Welt.
Und dann gibt es natürlich Kirchliches, das nervt. Der Unfehlbarkeitsanspruch und die rigide Sexualmoral des Papsttums zum Beispiel. Oder der menschenfeindliche Fanatismus gewisser Evangelikaler, die sogar die Evolutionstheorie ins Reich der Lügen verbannen. Solche Auswüchse sind Gift für die Kirche, deren Bedeutung in der Wissensgesellschaft zunehmend schwindet. Oder wie Abt Peter von Mariastein in unserer Titelgeschichte warnt: «Wenn unsere Glaubwürdigkeit ruiniert ist, dann gnade uns Gott.»
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 30.11.12