Gefangen in den Freibergen

Die Natur der Freiberge lädt zum Verweilen ein. Unser Autor wäre beinahe in Saignelégier geblieben. Allerdings nicht der Natur wegen. Und alles andere als freiwillig.

Entspannung fürs Auge: Die weiten Felder rund um Saignelégier.

(Bild: Tino Bruni)

Die Natur der Freiberge lädt zum Verweilen ein. Unser Autor wäre beinahe in Saignelégier geblieben. Allerdings nicht der Natur wegen. Und alles andere als freiwillig.

Da liegt also alles auf dem Parkplatz am Rande der jurassischen Gemeinde Saignelégier: meine Trinkflasche, die Cervelats, die wir dann doch nicht gegessen haben, die zum Anfeuern gedachten JaMaDu-Hefte, spontan eingepackt im Coop der nächstgelegenen Ortschaft Le Noirmont, ein paar zerknitterte Papiertaschentücher sowie andere Papierchen, wie man sie in einem rege benutzten Wanderrucksack mit der Zeit einfach so mitschleppt, ohne dass irgendjemand wüsste, bei welcher Gelegenheit die ihren Weg da hineingefunden haben.

Sogar auf ein Schokoladen-Osterei bin ich in diesem, mir nun schier unendlich erscheinenden Schlund für Proviant und Gepäck gestossen, worüber ich mich vielleicht sogar noch gefreut hätte, wäre es nicht längst Sommer und das Ei nicht dermassen deformiert gewesen. Doch so konnte selbst Schokolade nicht darüber hinwegtrösten, dass etwas anderes fehlte, ohne das – wie mir unweigerlich bewusst werden musste – es unmöglich weitergehen konnte: der Autoschlüssel. Das ist umso ärgerlicher, als mir das zum Schlüssel passende Auto selbstverständlich gar nicht gehört, sondern bloss ausgeliehen ist. 

Gestrandet wie die Schulkinder

«Ab nach Saignelégier», hallen mir die spottenden Worte einer Schulklasse im Kopf nach, die am Bahnhof, dem Startpunkt unserer Wanderung, einem hämisch grinsenden Lehrer folgten. Der stellte sich vermutlich gerade vor, was seine Zöglinge aus der Stadt hier auf dem Lande in den nächsten Tagen Unerwartetes erleben würden – im Tipi übernachten zum Beispiel oder einen Ritt auf einem der Freiberger Pferde, die rund um die geschichtsträchtige «Halle du Marché-Concours de chevaux» weiden. Bei den mit Schlafsäcken bepackten Schülerinnen und Schülern, hat man den Eindruck, hält sich die Vorfreude in Grenzen.

Und jetzt, denke ich, sitzen auch wir hier fest, unfreiwillig, auf jeden Fall länger als erwünscht. Es sei denn, es fällt mir bald ein, wo dieser Schlüssel seinen Weg aus meinem Rucksack hinaus gefunden haben mag, und dort auch von jemandem gefunden wurde.

Ich rufe zuerst in der «Auberge du Peu-Péquignot» an. Dort hat uns die Speisekarte mit einer leckeren «Rösti Magique» die Lust auf die eben erst gekauften Cervelats weggezaubert und uns auf die Terrasse gelockt. Vielleicht ist mir da der Schlüssel aus der Seitentasche gefallen, als ich meine Zigaretten hervorholte?

Freundliche Menschen, hartes Pflaster

«Désolée, Monsieur», sagt mir die Stimme am anderen Ende, «je n’ai rien trouvé». Das gleiche Ergebnis beim Coop von Le Noirmont, wo ich immerhin mein Portemonnaie für die Cervelats aus dem Rucksack hervorholen musste. Wäre ja auch eine Möglichkeit gewesen. «Bonne journée», wünscht mir die Dame am Telefon trotzdem freundlich.

Dass ich den Schlüssel irgendwo auf dem rund vierstündigen Weg zwischen Saignelégier und unserem Ziel, Les Bois, verloren habe, erscheint mir unwahrscheinlich. Pausen machten wir eigentlich keine, da wir bei praller Sonne kaum je auf ein gemütliches Plätzchen im Schatten gestossen sind.

Und selbst wenn die entscheidende Rucksacktasche die halbe Zeit offen gestanden haben sollte, hätte ich es vermutlich gehört, wenn der Schlüssel rausgefallen wäre. Denn leider führten weite Teile der Strecke über Asphalt. Insofern wäre übrigens die durchaus schöne Juragegend auch eher für eine Velofahrt oder eine Tour mit einem Trottinett, das man in der Gegend mieten kann, zu empfehlen.

Doch zurück zum verlorenen Schlüssel beziehungsweise zum Startpunkt unserer Wanderung, dem Bahnhof von Saignelégier, meiner letzten Hoffnung. Denn dort hatten wir unsere Rucksäcke vor Abmarsch auf einer Wartebank kurz deponiert, um uns die Schuhe richtig zu schnüren und uns mit einem Apfel zu stärken. Doch auch da oder am Schalter: nichts.

Ab nach Hause

Etwas ratlos setzen wir uns auf jene Wartebank und überlegen uns die nächsten Schritte. Da erst fällt mir auf, dass meine Begleiterin den exakt gleichen Rucksack trägt wie ich. Habe ich etwa beim Verstauen des Schlüssels …? Ich schaue nach. Und prompt liegt der Schlüssel in exakt jenem Fach, in dem ich ihn die ganze Zeit erwartet habe. Bloss im falschen Rucksack.

So ist das nun mal: Die einen suchen nach einer Wanderung lieber ein hübsches Café mit schönem Kuchen – ich meinen Autoschlüssel. Für den Kuchen, beschliessen wir, nehmen wir uns nächstes Mal Zeit. Dann, wenn wir mit Zug und Velo da sind. Jetzt, wo wir es endlich können, wollen wir nur noch nach Hause.

  • Anreisen: Am besten mit dem Zug. Von Basel aus ist Saignelégier in gut anderthalb Stunden zu erreichen.
  • Anschauen: Pferdeflüsterer staunen ob der unabgeriegelten Weiden, alle anderen ob der weiten Felder.
  • Anbeissen: Die Rösti-Teller in der «Auberge du Peu-Péquignot» auf halber Strecke sind gut gebuttert und geben Kraft für den Rest.

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