Er gehört zu den stilprägenden Organisten unserer Zeit: Ton Koopman (68) tritt heute Abend in der Peterskirche Basel auf. Im Interview spricht er über seine Lieblingsorgeln, den Vorteil von Videoübertragungen und über den grössten Komponisten aller Zeiten.
Ton Koopman (68) ist ein Urgestein der Alte-Musik-Szene. Er ist berühmt für seine rasenden Tempi und seine opulenten Verzierungen auf Cembalo und Orgel; und seine CD-Einspielungen sind stilprägend – jüngst vollendete er die erste Gesamteinspielung des Werkes von Dietrich Buxtehude. Heute Montag spielt Ton Koopman auf Einladung des «Freundeskreis Orgelmusik St.Peter» und dessen künstlerischer Leiterin Babette Mondry an der Silbermann/Lhôte-Orgel in der Peterskirche Basel. Wir sprachen mit dem Organisten, Cembalisten, Dirigent und Musikwissenschaftler über seine Lieblingsorgeln, die schönsten Cembali, über Videoprojektionen im Kirchenraum, und weshalb Johann Sebastian Bach bei seinen Konzerten immer das letzte Wort hat.
Herr Koopman, Sie haben eben noch mit den Münchner Philharmonikern geprobt, jetzt gehen Sie auf eine kleine Europa-Tournee mit Orgelkonzerten …
…ja, nach Basel, anschliessend Holland, Spanien, Frankreich – und dann sind Ferien.
Schön, Sie machen Ferien?
Ja, ich bin ein Mensch, der auch Ferien macht. Viele Kollegen arbeiten weiter, spielen an Festivals. Aber wir haben schon lange entschieden: Wenn man eine Familie sein will, muss man auch Ferien machen.
Wie gross ist Ihre Familie?
Wir haben drei Töchter und mehrere Enkelkinder – die ganze Familie kommt zusammen. Wir werden sechs Wochen in Frankreich verbringen.
Wenn Sie als Dirigent mit einem Orchester arbeiten, kommen Sie dann überhaupt zum Üben an der Orgel?
Ja. Ich habe hier in München eine Kirche gefunden, in der ich jeden Tag Orgel üben kann. Das muss man aber immer gut organisieren. Blockflöte spielen ist einfacher.
«Man muss sich gut organisieren als Organist. Blockflöte spielen ist einfacher.»
Orgeln sind ja sehr verschieden. Was ist das Besondere an der Silbermann/Lhôte-Orgel in der Peterskirche Basel, auf der Sie heute Montag spielen werden?
Es ist eine alte Fassade, aber mit einer neuen Orgel darin, die sehr gut gelungen ist – ein schönes Instrument. Und auch die Kirche ist wunderschön. Überhaupt ist Basel eine schöne Stadt. Es macht immer Spass, da zu sein.
Was ist denn eine gelungene Orgel?
Es gibt Orgeln – vielleicht ist das kurios, wenn ich das so sage – bei denen man nach einigen Stunden Üben eine Kaffeepause braucht und eigentlich nicht so grosse Lust hat, wieder zurückzukehren. Und es gibt Instrumente, die inspirierend sind, die schöne Register haben, schöne Klangmischungen möglich machen – und wo man nach dem Kaffee gerne wieder weiter spielt. Und das ist bei der Peterskirchenorgel der Fall.
Sind denn solche Orgel-Konzertreisen für Sie auch so etwas wie Besuche bei Instrumenten, bei alten Freunden, die Ihnen lieb geworden sind?
Ja, ich komme oft zurück zu Instrumenten, die ich schon gut kenne. Und jeder fragt mich heute, welches denn die schönste Orgel sei, die ich je gespielt habe (lacht).
Haben Sie denn eine Lieblingsorgel?
Ja, ich habe einige Lieblingsorgeln, alles historische Instrumente. Zum Beispiel die zwei Chororgeln von Karl Joseph Riepp in Ottobeuren in Süddeutschland – wunderschön! Oder die Orgel in Houdan in Frankreich, eine zufällig erhaltene historische Barockorgel. Aber wenn Sie mich das morgen noch einmal fragen, erzähle ich vielleicht von anderen Orgeln. Es gibt einfach so viele Instrumente, bei denen ich denke: Ah, schön, wieder hier zu sein!
Viele Instrumentalisten haben eine ganz intensive Beziehung zu «ihrem» Instrument – man denke nur an Cellisten, die für ihr Cello im Flugzeug einen eigenen Sitzplatz buchen. Wie ist das Ihnen?
Ich war 27, als ich aufhörte, als Organist fest an einer Kirche engagiert zu sein – ich war einfach zu viel unterwegs. Aber beim Cembalo habe ich diese Beziehung – denn die Cembali hat man ja zu Hause. Ich habe neun Instrumente von Willem Kroesbergen, einem holländischen Cembalobauer. Das sind die schönsten Cembali, die es gibt!
2011 wählte die «Neue Zürcher Zeitung» über ein Konzert mit Ihnen den Titel: «Am Lebensabend in bester Form». Empfinden Sie sich als «Am Lebensabend» angekommen?
Nein, gar nicht. Kürzlich wurde ein Film über mich gedreht; er trägt den Titel: «Ich möchte 100 werden!» Wenn man einen Beruf hat, den man gerne macht, dann gibt es keinen Grund aufzuhören. Man muss natürlich gesund bleiben, das ist klar.
Was tun Sie, um sich für die Musik fit zu halten?
Ich bin ein fauler Mensch, mache eigentlich keinen Sport. Beim Orgelspielen habe ich genug Bewegung. Natürlich gehen wir oft spazieren. Meine Frau ist sportiv, meine Kinder auch – aber das haben sie nicht von ihrem Vater.
Für viele Menschen ist die Orgel ein Sinnbild für ruhige, meditative, ja auch religiöse Musik. Sie hingegen sind bekannt für Ihre raschen Tempi, für Ihr bewegtes Spiel. Ein Widerspruch?
Tatsächlich hat die Orgel diese Tendenz zum Seriösen, zum Intellektuellen. Aber es ist wichtig, dass man die heitere Seite nicht vergisst. Im 16. Jahrhundert wurde in Holland so viel Tanzmusik auf der Orgel gespielt, dass man sie bei der Reformation aus den Kirchen entfernen wollte!
Im 16. Jahrhundert wurde in Holland so viel Tanzmusik auf der Orgel gespielt, dass man sie bei der Reformation aus den Kirchen entfernen wollte!
Im Vergleich zum Publikumsandrang in den grossen Konzertsälen werden Orgelkonzerte meist vor einem vergleichsweise kleinen Kreis an Kennern veranstaltet. Was meinen Sie, weshalb gibt es weniger Interesse an der Orgelmusik als an anderen Sparten der klassischen Musik?
Wenn ich Laien frage, was sie von der Orgel halten, sagen sie oft, sie sei ihnen zu laut, sie würden die Persönlichkeit nicht spüren, die da spielt. Das ist ganz wichtig, dass man auf der Orgel die Kontraste herausarbeitet. Man muss gut dosieren: langsam, schnell, fröhlich, traurig…
Könnte es auch daran liegen, dass wir heute stark auf Sichtbares fixiert sind, man aber bei Orgelkonzerten in der Regel nicht sieht, wie gespielt wird?
Vielleicht. Aber es gibt immer mehr Orgelkonzerte, bei denen man einen Fernsehschirm in der Kirche hat.
Sie meinen eine Videoübertragung, so wie es auch bei Ihrem Basler Konzert sein wird?
Ja, da kann man sehen, dass der Organist arbeitet, dass er schwitzt, ob er Spass hat, ob er bei einem langsamen Choral traurig wird, man sieht, was er mit den Pedalen macht, welche Registrierungen er zieht, ob er mal neue Noten kaufen sollte und so weiter.
Sie verstehen diesen Wunsch des Publikums?
Nicht alle mögen das, manche sagen, es lenke ab – aber für mich ist das kein Problem. Ich lade immer die Leute ein, zu mir auf die Orgelempore herauf zu kommen, wenn sie möchten.
«Wenn die Leute wollen, können sie während des Konzerts zu mir auf die Orgelempore herauf kommen.»
In Basel spielen Sie ein sehr breit gefächertes Programm mit Werken von Cabanilles, Frescobaldi, Buxtehude, Bach. Gibt es da einen roten Faden?
Nein, bei mir gibt es nie einen roten Faden! (lacht) Mein roter Faden ist eigentlich die Abwechslung. Ich versuche einfach ein schönes Programm zu machen.
Gerade haben Sie die erste Gesamteinspielung des Œuvres Buxtehudes abgeschlossen. Ist Buxtehude ein unterschätzter Komponist?
Ja, leider immer noch. Die deutsche Musikwissenschaft hat die Welt in Grossmeister und Kleinmeister eingeteilt. Und weil man schon Bach, Händel und Schütz hatte, gab es keinen Platz mehr für die anderen. Doch unter den anderen gibt es grosse, wichtige Meister, die man viel zu wenig hört! Durch die Einspielungen ist meine Hochachtung gegenüber Buxtehude noch grösser geworden. Seine Musik ist nicht nur umfangreich, sondern auch unglaublich vielfältig.
Warum endet dennoch Ihr Basler Konzertprogramm nicht mit Buxtehude, sondern mit einer Fuge von Johann Sebastian Bach?
Bach ist der grösste Komponist unseres Kosmos, wir haben nie einen wichtigeren Komponisten vor oder nach ihm gehabt! Jedes meiner Orgelkonzerte endet mit Bach. Bach hat das letzte Wort, das Ja und Amen.
- Montag, 1. Juli 2013 um 19.30 Uhr in der Peterskirche Basel. Eintritt frei, Kollekte