«Basel ist meine Heimat!»

Ein Gespräch mit der Geigerin Anne-Sophie Mutter über ihr nächstes Konzert in Basel, über Roger Federer und über den richtigen Zeitpunkt, aufzuhören.

Freut sich auf die «Heimkehr»: Anne-Sophie Mutter. (Bild: Deutsche Grammophon)

Ein Gespräch mit der Geigerin Anne-Sophie Mutter über ihr nächstes Konzert in Basel, über Roger Federer und über den richtigen Zeitpunkt, aufzuhören.

Mit 45 wolle sie aufhören, sagte Anne-Sophie Mutter vor einigen Jahren in einem Interview. Nun ist sie 49 – und tourt noch immer höchst erfolgreich durch die Konzertsäle dieser Welt. Am 18. Oktober spielt sie bei der Konzertgesellschaft im Stadtcasino Antonio Vivaldis «Vier Jahreszeiten» und das neue Violinkonzert ihres Ex-Mannes André Previn. Im Interview verrät sie, wie das klingen wird – und warum sie gern nach Basel kommt.

Anne-Sophie Mutter, Sie sind im badischen Wehr aufgewachsen. Sind Sie in Ihrer Kindheit oft nach Basel gefahren?

Ja, Basel war unsere erste grössere Anlaufstelle, was Konzerte und Kulinarisches anbelangt.

Was hat Sie denn kulinarisch nach Basel geführt?

Na, die Schokolade!

Erinnern Sie sich noch, welche Konzerte Sie hier gehört haben?

Natürlich! Ich habe hier mein grosses Vorbild hören dürfen: David Oistrach. Das hat bei mir einen sehr tiefen Eindruck hinterlassen. Basel ist meine Heimat! Auch durch Paul Sacher, mit dem ich eng befreundet war – ich bin die Patentante seines Sohnes. Ich habe noch viele Freunde aus meiner Kinderzeit in Basel.

Und die kommen alle ins Stadtcasino, wenn Sie hier spielen?

Das hoffe ich (lacht).

Sie spielen viel Musik unserer Zeit, kommen im Oktober mit einem ganz neuen Stück nach Basel. Bei Ihrer Liebe zur Neuen Musik – darf man Liebe sagen?

Ja, sicher!

Welche Rolle spielte da Paul Sacher?

Ihm ist es zu verdanken, dass ich mich so für zeitgenössische Musik interessiere. Er hat mich einfach vor diese Aufgabe gestellt und fragte nicht etwa zuerst: «Traust du dir das zu, möchtest du…» – nein, er knüpfte einfach die Kontakte zu den Komponisten, zu Krzysztof Penderecki, auch zu Pierre Boulez, auf dessen Violinkonzert ich übrigens immer noch warte (lacht). Paul Sacher hat unheimlich viele Werke für mich in Auftrag gegeben; erst in den letzten zehn Jahren mache ich das auch selbst.

Weshalb setzen Sie sich so für Neue Musik ein? Sind Ihnen all die anderen klassischen und romantischen Violinkonzerte mittlerweile zu langweilig?

Nein, das eine schliesst ja das andere nicht aus. Sich für Zeitgenössisches einzusetzen ist eine noble Pflicht. Sie ist ein Spiegel unserer Zeit, den wir beachten und betrachten müssen. Zudem kann ich mich in der zeitgenössischen Musik als Interpretin viel stärker einbringen. Die Komponisten lassen viele Freiheiten, diese Terra Nova zu erforschen und den stilistischen Weg zur Erstaufführung festzulegen. Die Werke aus dem 18. und 19. Jahrhundert sind da viel mehr durch Konventionen und Traditionen besetzt.

Sie spielen in Basel André Previns Violinkonzert Nr. 2. Verraten Sie uns etwas über das Stück?

Es ist im klassischen Stil geschrieben, ein dreisätziges Werk, sehr farbig, unglaublich vital, auch virtuos. Und es gibt zwei Cembalo-Interludien. Es ist sehr spannend zu erleben, wie ein heutiger Komponist mit einer barock geformten Streicherformation umgeht. Das ist unser Anknüpfungspunkt zu Antonio Vivaldis «Vier Jahreszeiten», die wir ebenfalls spielen werden – zwei ganz unterschiedliche Werke für die gleiche Besetzung.

Wie ist die Zusammenarbeit mit André Previn – ist er bei den Proben anwesend?

Leider nein, aber im Vorfeld habe ich ihn oft und gerne konsultiert. Die Zusammenarbeit ist nicht anders als bei anderen Komponisten. Dass wir einmal verheiratet waren, hat keinen Einfluss auf unser Musizieren. Vielleicht mache ich bei André mehr Detailvorschläge als bei anderen Komponisten.

Nimmt der Komponist während der Proben noch Änderungen an seinem Werk vor?

Manchmal. Hauptsächlich geht es aber um die Suche nach dem perfekten Tempo, nach Temporelationen, nach dynamischen Ausdrucksmöglichkeiten, Fragen der Orchestration werden geklärt. So ein neues Werk ist ein wunderbares grosses Spielfeld, auf dem man sich als Interpret bewegen darf, besonders bei einer Uraufführung, wenn das Stück noch nie zuvor gespielt wurde. Dann darf ich dem Werk ein Gesicht geben.

Sie sagten es schon: In Basel spielen Sie auch Vivaldis «Vier Jahreszeiten», ein äusserst populäres Werk, jede Kaufhauswerbung bedient sich daran. Was ist so speziell an dieser Musik?

Ja, es ist furchtbar, wofür diese Musik auch missbraucht wird. Aber sie ist einfach grossartige Klangmalerei. Haben Sie einmal die Sonette gelesen, die Vivaldi dazu schrieb? Für jede Jahreszeit hat er eines geschrieben, erzählt darin von Volksfesten im Sommer, von Hunden, die im Schlaf bellen, von der Jagd im Herbst, von brechendem Eis im Winter – all das ist in der Musik drin!

In Basel ist die historisch informierte Aufführungspraxis recht stark vertreten; Musik von Vivaldi hört man hier fast nur noch mit Barockorchestern. Gefällt Ihnen das ästhetisch?

Teilweise spricht es mich ästhetisch nicht an. Aber das ist nicht der Punkt. Es ist eine interessante Auseinandersetzung, ein Denkanstoss. Aber es darf nicht im Dogma verharren. Mozart berichtete in seinen Briefen begeistert von einem Orchester mit zwölf ersten Geigen – meist waren die Ensembles kleiner besetzt, weil man sich nicht mehr leisten konnte. Das heisst aber nicht, dass man Mozart heute nur mit kleinen Orchestern aufführen darf! Oder die Sache mit dem Vibrato: Leopold Mozart schrieb in seiner Violinschule vom italienischen Tremolo, dem Vorläufer des Vibratos – es stimmt also nicht, dass man damals nicht vibrierte! Jeder intelligente Musiker sollte einfach immer seinen Standpunkt reflektieren: Ist mein Zugang neu, kann ich das Werk frisch erstrahlen lassen oder verharre ich in einer Konvention?

Sie spielen in Basel mit den Trondheim Soloists…

… ja, ein tolles Ensemble! Es sind nur 16 Musiker, wie ein vergrössertes Streichquartett. Sie sind unglaublich agil, sehr virtuos, sehr enthusiastisch.

Sie treten ohne Dirigent auf. Weshalb?

Ich führe als Solistin, das ist bei dieser Besetzung auch historisch richtig so, gerade für Vivaldi. Okay, bei Previn wird es schwieriger, das ist metrisch sehr komplex.

Haben Sie keine Ambitionen, selbst zu dirigieren, auch sinfonische Werke?

Ambitionen habe ich sicher. Und wenn ich an Bruckner denke, schmilzt mein Herz! Aber der Tag hat nur 24 Stunden.

Sie spielen etliche Konzerte im Jahr, auf der ganzen Welt – ein sehr herausfordernder Beruf. Wie bleibt man da frisch?

Kinder halten einen enorm frisch, es ist immer was los, finden Sie nicht? (lacht)

Haben Sie einen Ausgleich, ein bestimmtes Hobby?

Nein. Ich liebe das Leben in all seinen Facetten. Vielleicht geniesse ich manches mehr, einen Kinobesuch, oder das Joggen durch den Park mit meinen Dackeln. Oder Löcher in die Luft starren, das mache ich manchmal auch ganz gerne (lacht).

Man liest immer wieder, Sie seien Fan von Roger Federer?

Wie kann man nicht Fan von Roger Federer sein? Er ist der grösste Sportler aller Zeiten, das Synonym für einen Athleten, ein Vorbild für die Gesellschaft – er engagiert sich ja auch sozial.

Spielen Sie selbst Tennis?

Ich würde so gerne, aber ich traue mich nicht, die Verletzungsgefahr für die Hände ist einfach zu gross. Aber das wäre ein Plan für die Zeit nach der Geige.

Die Zeit nach der Geige? Sie wollen aufhören?

Jeder, der seinen Beruf liebt, muss mit der Endlichkeit seiner Fähigkeiten leben. Ich empfinde diesen Gedanken nicht als abschreckend, er gehört vielmehr zu meiner Lebensphilosophie. Es wird der Zeitpunkt kommen, an dem ich den hohen Ansprüchen, den der Komponist an mich stellt, nicht mehr genügen werde. Und dann werde ich aufhören.

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