«Bei einem Drittel der Patientinnen klappt das Kinderkriegen grundsätzlich nicht»

Immer mehr Paare benötigen Unterstützung vom Universitätsspital Basel bei der Fortpflanzung. Es sei eine ungesunde Entwicklung, dass die Leute bis zum letzten Moment zögern würden mit dem Kinderkriegen, findet Christian De Geyter, Chefarzt der Klinik für gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin.

Christian De Geyter muss immer wieder Paare ablehnen. (Bild: Nils Fisch)

Vergangenes Jahr fanden 700 künstliche Befruchtungen im Universitätsspital Basel statt. Es sei eine ungesunde Entwicklung, dass die Leute bis zum letzten Moment zögern würden mit dem Kinderkriegen, findet Christian De Geyter, Chefarzt der Klinik für gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin.

Seit 30 Jahren hilft Christian De Geyter Paaren dabei, ihren Kinderwunsch zu erfüllen. Der Chefarzt und sein 25-köpfiges Team haben alle Hände voll zu tun. Denn immer mehr Paare suchen das Universitätsspital Basel auf, weil sie Probleme haben, ein Baby zu bekommen. Die Patientenzahl steigt jährlich um zehn Prozent. So fanden 2014 in der Klinik für gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin rund 700 künstliche Befruchtungen statt – 100 mehr als im Jahr zuvor. Zwölf Prozent der Patientinnen und Patienten stammen aus dem Ausland, vorwiegend aus Frankreich oder Deutschland, was laut De Geyter auf die Lage Basels zurückzuführen ist.

Herr De Geyter, weshalb steigt die Nachfrage nach künstlichen Befruchtungen derart?

Immer mehr Paare lernen sich erst spät im Leben kennen. Mit steigendem Alter der Frau nimmt das Risiko für Probleme bei der Entstehung einer Schwangerschaft zu. Eine Frau ist mit 27 am fruchtbarsten, danach nimmt die Fruchtbarkeit kontinuierlich ab. Die Herausforderung ist, dass das Durchschnittsalter unserer Patientinnen momentan bei 37 liegt. Es ist eine ungesunde Entwicklung, dass die Leute bis zum letzten Moment zögern mit dem Kinderkriegen. Erstaunlicherweise gehen gerade sehr gebildete Frauen oftmals davon aus, dass ihre Eierstöcke mit 37 oder 38 noch vollumfänglich funktionieren.

«Einer Frau musste ich soeben mitteilen, dass sie keine Kinder bekommen wird, da sie bereits in der Menopause ist – mit 22. Das ist sehr tragisch.»

Nicht immer liegt die Ursache für einen unerfüllten Kinderwunsch aber bei der Frau. Wie oft ist der Mann «schuld»?

Die Ursachen sind zur Hälfte beim Mann und zur Hälfte bei der Frau zu finden. Beim Mann ist meistens die Spermienproduktion nicht ausreichend, um auf natürliche Weise ein Kind zu zeugen. Und bei den Frauen ist zurzeit die häufigste Ursache eben die, dass sie zu spät zu uns kommt und ihre Eierstöcke bereits geschwächt sind.

Ohne Ihre Arbeit würde es viele Babys gar nicht geben. Wie gross ist der Druck, der auf Ihnen lastet?

Der Erwartungsdruck ist hoch, ich leide mit den Paaren mit. Es geht mir schon sehr nahe, wenn es nicht klappt. Umgekehrt freue ich mich auch sehr über positive Nachrichten. Meine Arbeit muss mich berühren. Wäre mir alles egal, wäre ich im falschen Job. Es braucht viel Hingabe. Nur so bekommen unser Team und ich gute Ergebnisse hin.

Wie gross ist die Erfolgsquote bei einer künstlichen Befruchtung?

Das variiert zwischen 37 und 42 Prozent. 18 Prozent dieser Schwangerschaften enden aber leider in einer Fehlgeburt. Je höher das Alter der Frau, desto grösser das Risiko einer Fehlgeburt.

Wie viel kostet eine künstliche Befruchtung im Unispital?

Als Depot zahlt man uns 6800 Franken. Je nachdem, wie viele Medikamente man braucht, erhält man nach der Behandlung Geld zurück oder zahlt drauf.

Das ist ein hoher Betrag, wenn man bedenkt, dass es keine Erfolgsgarantie gibt.

Ja, leider kommt es oft vor, dass auch wir nicht helfen können. Einer Frau musste ich soeben mitteilen, dass sie keine Kinder bekommen wird, da sie bereits in der Menopause ist – mit 22. Das ist sehr tragisch. Man kann sich nicht vorstellen, wie schwer es für diese Paare ist, mit diesem Schicksal leben zu müssen. Kinder zu haben ist für viele das Wichtigste im Leben.

Wie oft müssen Sie Paaren mitteilen, dass Sie nichts mehr machen können?

Ich würde sagen, bei einem Drittel der Patientinnen klappt das Kinderkriegen grundsätzlich nicht. Bei zwei Dritteln geht der Kinderwunsch in Erfüllung – sei es mit einer aufwendigen Therapie oder romantisch, wie wir das nennen.

«Wenn ein Paar, das auf die 60 zugeht, noch ein Kind will, finde ich: Das geht zu weit und ist nicht richtig.»

Romantisch?

Auf natürliche Weise. Manchmal kann das Problem auch ohne aufwendige Therapie behoben werden.

Lehnen Sie auch öfters Wünsche ab?

Ja, immer wieder. Etwa, wenn ein Paar, das auf die 60 zugeht, noch ein Kind will. Das geht zu weit und ist nicht richtig. Wir helfen dann auch nicht dabei, dass der Wunsch im Ausland in Erfüllung geht.

Die 65-jährige Deutsche, die Vierlinge erwartet, liess sich in der Ukraine künstlich befruchten. Wo liegt für Sie die Schmerzgrenze fürs Kinderkriegen mit dieser Methode?

Ich bin Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin. Und wir haben die Grenze bei der Frau bei 45 Jahren festgelegt – beim Mann bei 55. Ich habe allerdings noch nie erlebt, dass jemand mit 45 noch schwanger geworden ist und ein Kind bekommen hat. Es gibt aber jährlich einige wenige Frauen, die mit 44 noch Kinder bekommen.

Seit Juli 2013 können Sie und Ihr Team bei einer Befruchtung gezielt einen weiblichen oder männlichen Embryo entstehen lassen. Für die Behandlung sind nur Paare zugelassen, die schwere Erbkrankheiten auf ihren Nachwuchs übertragen könnten. Wie gross ist die Nachfrage?

Das ist ein Forschungsprojekt. Unsere Aufgabe ist es, diese Technologie, die inzwischen 20 Jahre alt ist, zu verbessern. Etwa sieben Paare haben das Angebot seit dem Sommer 2013 in Anspruch genommen, zwei Schwangerschaften sind daraus entstanden. Viele Anfragen von Paaren mit Erbkrankheiten haben wir nicht. Es gibt aber vereinzelt Anfragen von Personen, die lieber ein Mädchen oder einen Jungen haben möchten. Das machen wir natürlich nicht, das ist ganz klar gesetzlich verboten.

Geht die Aussortierung von männlichen und weiblichen Spermien nicht in Richtung Designer-Babys?

Das Forschungsprojekt hat nichts damit zu tun. Von Designer-Babys redet man, wenn das Baby blaue Augen haben soll oder schwarze Haare. Mit diesem Projekt ist dies nicht möglich. Es geht wirklich nur um vererbbare Schwerkrankheiten, die auf dem weiblichen Chromosom lokalisiert sind. Wir stellen dann sicher, dass das Kind ein Mädchen wird. Denn ein Mädchen kann Erbkrankheiten kompensieren mit dem anderen X-Chromosom. Beim Jungen ginge das nicht, weil er nur ein X-Chromosom hat. Die meisten Paare, die bei diesem Projekt mitmachen, haben bereits ein behindertes Kind – oder sie haben unter Umständen bereits eine Schwangerschaft deswegen abgebrochen. Ein Schwangerschaftsabbruch ist immer ein traumatisierendes Erlebnis.

Am 14. Juni stimmt die Schweiz über die Präimplantationsdiagnostik (PID) ab. Was erhoffen Sie sich von einer Gesetzesänderung?

Das jetzige Gesetz ist seit 2001 in Kraft und ist inzwischen nach 15 Jahren in grossen Teilen überholt. Denn die Therapieformen entwickeln sich rasant. Die Reproduktionsmedizin ist heute effizienter und sicherer, als das Gesetz es erlaubt. Wir hinken gegenüber anderen Ländern total hinterher.

«Es geht uns mit dem neuen Gesetz nicht darum, Embryonen zu selektieren oder Designer-Babys zu produzieren.»

Inwiefern?

Heute sind wir verpflichtet, alle Embryonen sofort zu übertragen – das sind zwei oder drei pro Therapieversuch. Dies führt dazu, dass viel zu oft Mehrlingsschwangerschaften entstehen, die wiederum mit Komplikationen verbunden sind. Es wäre sinnvoller, nur noch einen Embryo übertragen zu müssen, den anderen allenfalls in einem späteren Behandlungsversuch. Wir würden mit weniger befruchteten Eizellen pro Therapie mehr erreichen und weniger Komplikationen verursachen. Leider wird die Vorlage in der Presse nur unter der Rubrik Präimplantationsdiagnostik vermarktet – das ist aber nur ein Teilaspekt der Vorlage.

Ein sehr umstrittener allerdings. Künftig sollen Ärzte mittels Präimplantationsdiagnostik (PID) die defekten Embryonen eruieren und die lebensfähigen in den Mutterleib einpflanzen. Gegner fürchten sich vor Designer-Babys.

Es geht uns mit dem neuen Gesetz nicht darum, Embryonen zu selektieren oder Designer-Babys zu produzieren. Das wäre übrigens technisch gar nicht möglich, zumal eine Frau gar nicht so viele Eizellen produzieren könnte, wie sie für die Herstellung eines Designer-Babys benötigen würde. Der Begriff des Designer-Babys ist nur ein Schlagwort ohne Inhalt. Im Prinzip geht es bei der PID um nichts anderes als das, was bei der Pränataldiagnostik (PND) schon längst gemacht wird. Einziger Unterschied wäre, dass mit der PID die Resultate schon vor der Schwangerschaft bekannt wären – noch bevor der Embryo eingepflanzt und entwickelt ist. Es kommt dann nicht zu einem möglichen Schwangerschaftsabbruch, was sehr traumatisch sein kann. Geht die Vorlage bachab, ist es geschehen um die Reproduktionsmedizin in der Schweiz.

Sie malen schwarz.

Nein, dann werden wir im Vergleich mit anderen europäischen Ländern irgendwann in einer reproduktionsmedizinischen Steinzeit verharren. Falls die jetzige Gesetzeslage, die bereits Ende der Neunzigerjahre aufgestellt wurde und damals modern und zeitgemäss war, weiter besteht, werden wir mit weitaus geringerer Effizienz viel mehr Komplikationen verursachen. Die Schweizer Reproduktionsmedizin wäre nicht mehr konkurrenzfähig. Nur die Paare, die es sich leisten können, werden sich dann im Ausland behandeln lassen. Wie viele Paare, wissen wir nicht, da es hierzu keine Zahlen gäbe. Es würde jegliche Transparenz dazu fehlen. Das kann nicht im Sinne der Bevölkerung, der Betroffenen und auch nicht im Sinne der Behörden sein.

Wenn Kinderwünsche nur dank medizinischer Hilfe wahr werden

Basel ist als Ort für die künstliche Befruchtung äusserst beliebt. In unserem aktuellen Wochenthema gehen wir der Frage nach, wieso dies der Fall ist. Haben Sie Anregungen oder Hinweise? Schreiben Sie uns: dienstpult@tageswoche.ch.

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