«Bla bla Blockchain!» – ein Eingeweihter erklärt uns Laien den neusten Hype

Die Blockchain soll die nächste digitale Revolution werden. Doch was ist eine Blockchain? Und ein Smart Contract? Und ein ICO? Lucas Sommer, angehender Neuroinformatiker und Mitarbeiter in einem Tech-Start-up, erklärt seiner Freundin die Grundlagen. 

Lucas Sommer stellt sich einem Gespräch, das die Autorin eigentlich nie führen wollte.

Freitagabend auf dem Sofa. Mein Freund ist wie so häufig in letzter Zeit auf Twitter und murmelt vor sich hin. Er verpasst den Film. Irgendwann reichts mir. «Was murmelst du da?», frage ich ihn.

Er zeigt mir Tweets von Menschen, die ich nicht kenne. Spricht von Dezentralisierung, ICOs, Bitcoin. Aha, denke ich, er spricht Krypto. Es ist Freitagabend, also höre ich weg.

Wochen und viele Tweets später schreibe ich einen Artikel über ein Start-up, das eine Versicherungs-App entwickelt hat. Lucas ärgert sich: «Wieso schreibst du lediglich über die? Es arbeiten so viele Menschen an etwas wirklich Bahnbrechendem!» Er meint die Blockchain-Technologie. Dieses Mal höre ich genauer hin. Und von da an begegnet mir der Begriff überall. Ich fange an zu lesen – und verfange mich im Buzzword-Jungel. Keine Chance zu verstehen, was sich genau tut.

https://tageswoche.ch/form/reportage/zu-besuch-im-crypto-valley/

Mein Freund heisst Lucas Sommer. Er ist 26 Jahre alt und Basler. Er studiert Neuroinformatik an der Universität Zürich und arbeitet beim Start-up PXL Vision. Sie beschäftigen sich mit Digitalisierung, maschinellem Sehen und digitaler Kundenidentifikation. Jetzt sind sie gerade an einer Blockchain-Sache dran. Kein Wunder, murmelt er so oft Dinge, die ich nicht verstehe. Das wollen wir ändern. Zeit für ein klärendes Gespräch. Aber diesmal in meinem Büro.

Ich hätte nie gedacht, dass wir dieses Gespräch jemals führen. Jetzt also doch: Ich will von dir wissen, was eine Blockchain ist. Und zwar langsam und in Deutsch. 

Schrecklich, wie eine Prüfung.

Eine, die du lieber bestehen solltest.

Also los. Eine Blockchain ist eine digitale, dezentralisierte und globale Datenbank. Sie speichert Transaktionen. Zum Beispiel Bitcoin-Transaktionen. Beim Speichern werden Datenpakete aneinander gehängt. Die nennt man Blöcke, darum Blockchain.

Bereits schwierig. Aber mach mal weiter. 

Das Geniale daran ist: Sind die Blöcke einmal aneinandergehängt, sind die Daten im Block unveränderbar und unwiderruflich.

Warum soll das genial sein?

Heute ist es so, dass zum Beispiel eine Bank oder eine Versicherung alle deine Daten hat und verwaltet. Mit einer Blockchain ist das völlig anders. Da gibts keine zentrale Stelle mehr, die Kontrolle über deine Daten hat.

«Vielleicht darf eine Frau kein Konto eröffnen. Es kann sie aber niemand daran hindern, ein Kryptokonto zu eröffnen.»

Wie jetzt? Bitte ein Beispiel.

Sagen wir eine Frau, Anila, lebt in einem Schwellenland und betreibt ein kleines Café, aufgrund der Gesetzgebung dort darf sie aber kein Bankkonto eröffnen. Es kann sie aber niemand daran hindern, ein Konto einer Kryptowährung zu eröffnen und sich für ihre Arbeit in Krypto-Coins bezahlen zu lassen. Anila muss sich nur die Zugangsdaten merken. Ihr Ehemann oder ihr Vater hat dann keine Chance mehr, über ihr Geld zu verfügen.

Und was garantiert, dass die Blöcke nicht im Nachhinein verändert werden? Im Sinn einer Rückbuchung oder des Abhebens von Geld durch den Ehemann in der Bank?

Die Blöcke verfügen über zwei Prüfnummern, Hashes genannt. Wild aneinandergehängte Ziffern, einmalig wie ein Fingerabdruck. Der eine Hash ist der eigene, und dann gibts noch den vom vorherigen Block.

Und wozu sind diese Hashes gut?

Wird an einem Block irgendetwas verändert, verändert sich sein Hash. Ist dies der Fall, werden alle darauf folgenden Blöcke ungültig, weil die Nummern nicht mehr übereinstimmen. Jetzt wirds demokratisch. Die Blockchain basiert nämlich auf Konsens: Anila verkauft beispielsweise einen Kaffee für einen Krypto-Coin. Sobald mindestens die Hälfte des Blockchain-Netzwerks den Block verifiziert hat, der diese Transaktion beinhaltet, ist diese abgelegt.

«Mit Geld wird das Interesse erhöht, das System nicht zu korrumpieren.»

Ich glaube, das macht Sinn. Gibt es sonst noch einen Anreiz, sich koscher zu verhalten und nicht an den Transaktionen rumzufummeln?

Ja, den ökonomischen.

Und damit meinst du was genau?
Dass mit Geld das Interesse erhöht wird, ehrlich zu sein und das System nicht zu korrumpieren. Sonst wirst du bestraft und verlierst Geld.

Wer verliert Geld?

Die Miner.

Die Miner. 

(Pause)

Die Miner?

Die Aufgabe der Miner ist es, alle getätigten Transaktionen in einen Block zu fassen, der vom Netzwerk akzeptiert wird.

Und wie verdienen beziehungsweise verlieren die jetzt Geld?

Mining ist mit sehr hohen Kosten für Energieaufwand und Rechenausstattung verbunden. Will ein Miner das Netzwerk zu seinen Gunsten angreifen, kostet dies sehr viel Geld. Ist er nicht erfolgreich, ist das Geld verloren. Verhält er sich hingegen ehrlich, erhält er eine Belohnung. Einen Anteil an den Transaktionskosten etwa. Plus je nach Blockchain eine zuvor definierte Menge Coins, die mit jedem neuen Block generiert werden. Bei Bitcoin nennt sich dies Coinbase. Die beträgt momentan 12,5 Bitcoins pro Block.

Ein Eichhörnchen! Hast du das gesehen? Entschuldige. Du bekommst eine Coin-was?

Coinbase, das ist im Protokoll so definiert.

Und wer hat das Protokoll geschrieben?

Satoshi Nakamoto, der Erfinder von Bitcoin, dessen Identität bis heute unbekannt ist. Mit der Lancierung von Bitcoin 2009 hat er gewisse «Spielregeln» aufgesetzt. Er hat eine Bitcoin-Obergrenze von 21 Millionen Stück festgelegt, um eine Inflation zu verhindern. Je länger das Bitcoin-Netzwerk läuft, desto weniger neue Coins werden als Coinbase an die Miner ausgegeben. Bis irgendwann das Netzwerk nur noch über Gebühren finanziert wird. Das wird voraussichtlich ab Mai 2140 so sein.

Momentan verdient ein Bitcoin-Miner also noch 12,5 Bitcoins pro Block?

Das, und er bekommt die Transaktionsgebühren von allen Transaktionen, die er in diesen Block packt.

Die ich zahle, wenn ich mit meinen Bitcoin eine Transaktion tätige?

Genau.

Diese Miner verdienen ja unglaublich viel Geld! 

Ja, und deshalb ist es auch so teuer, das Netzwerk zu attackieren. Hier habe ich vielleicht eine andere Meinung als viele andere, aber: Es ist vielleicht wahnsinnig teuer und braucht wahnsinnig viel Energie, die Kette zu bewirtschaften. Aber das Geld ist unter anderem genau das, was dem Netzwerk den Wert gibt und was es eben so schwierig macht, das Netzwerk anzugreifen. Das nennt man Proof of Work.

Ein kapitalistischer Anreiz sozusagen. Gib ihnen Geld und dann tun sie, was du willst.

Genau. Ein neuerer Ansatz nennt sich Proof of Stake. Da wird man nicht anhand der energieschluckenden Berechnung belohnt, sondern anhand der Grösse des eigenen Guthabens im System. Hat jemand mehr Coins, verliert er bei Fehlverhalten mehr.

Sommer findet nicht, dass der ökonomische Anreiz dem idealistischen Gedanken hinter der Blockchain widerspricht. «Es ist einfach sehr liberal.»

Interessant. Aber auch ziemlich entgegen der idealistischen Gedanken, die nach der Finanzkrise 2008 bei den Krypto-Heads aufkamen, nicht? Dass alles dezentral, öffentlich, demokratisch oder kurz gesagt: besser sein soll als bisher. Stichwort Umverteilung.

Überhaupt nicht. Es ist einfach sehr liberal.

So ein System ruft doch genau die Menschen auf den Plan, die bloss dick abkassieren wollen.

Das schon. Aber sie müssen sich so verhalten, dass das Netzwerk weiterlebt. Und das ist eben gerade das Schwierige. Das Problem des Vertrauens, an dem Programmierer bereits in den 90er-Jahren gearbeitet haben. Der Erste, der diesen Konsensmechanismus einbauen konnte, war eben Satoshi Nakamoto. Alle Lösungen, die heute präsentiert werden, bauen auf dieser Idee auf.

Ich muss zusammenfassen, damit ich verstehe, ob ich verstehe. 

Gute Idee.

Stellen wir uns das mal bildlich vor: Eine Blockchain ist wie das Kassenbuch in Anilas Café. Jede Zahlung wird auf einem Papier erfasst. Der Miner, ein gutbezahlter Buchhalter, nummeriert die Papiere, schweisst sie ein und legt sie chronologisch in einem Ordner ab, also dem Kassenbuch. Jeder Interessierte kann Einsicht in den Ordner nehmen – ob er bei Anila arbeitet oder nicht.

Genau.

Ich will jetzt nur ungern zugeben, dass ich das so ähnlich irgendwo gelesen habe.

(lacht) Herrlich.

«Du brauchst die teuren Zwischenhändler nicht mehr. Das Ausführen eines Smart Contracts kostet dich wenige Franken.»

Was man in Verbindung mit Blockchain auch immer wieder hört, sind diese ominösen Smart Contracts. Was soll ich mir bitte darunter vorstellen?

Ein Smart Contract ist ein digitales Protokoll, das Konditionen eines Vertrages automatisch auslösen kann. Wenn dieser Vertrag einmal in der Blockchain sitzt, kannst du ihn nicht mehr anpassen.

Aha. Das heisst?

Das heisst zum Beispiel, dass mir Anila verspricht, mir ihre Kaffeemaschine für zehn Franken pro Stunde zur Verfügung zu stellen. Der Vertrag wird mit unseren beiden Private Keys signiert, der digitalen Unterschrift sozusagen. Solange ich nun rechtzeitig zehn Franken an diesen Smart Contract schicke, kann ich die Maschine für eine weitere Stunde benutzen. Sobald kein Geld mehr ankommt, gibts keinen Kaffee mehr.

Smarte Kaffemaschinen, wie futuristisch. Und was ist jetzt das Smarte an dem Vertrag?

Du könntest auch einen Brief schreiben und diesen auf der Blockchain ablegen. Du kannst eigentlich jeden Inhalt auf die Kette schmeissen. Das wirklich Smarte daran ist die Automatisierung, die den ganzen administrativen Aufwand obsolet macht, der damit verbunden ist. Du brauchst die Zwischenhändler nicht mehr, die dich ein Vermögen kosten. Das Ausführen eines Smart Contracts kostet dich wenige Schweizer Franken.

Gut. Also nicht für die Kaffeemaschinen-Vermieter, falls es so etwas überhaupt gibt. Ein weiterer Begriff, der im Zusammenhang mit Smart Contracts oft fällt und mir Angst macht, ist ICO.

Ein Initial Coin Offering oder auch Token Generation Event also.

«Eigentlich kannst du jeden Inhalt auf die Blockchain schmeissen.»

Halt mal kurz an. Was ist der Unterschied zwischen Token und Coin?

Ein Token ist ein Vermögenswert, oft auf Basis eines Smart Contracts. Unter Coin wird mehrheitlich eine Einheit einer Kryptowährung verstanden. Diese basieren dann auf einer eigenen Blockchain.

Okay. Zurück zum ICO.

Also, das geht im Grunde so: Anila möchte nun richtig durchstarten und ihr Kaffeegeschäft zu einer grossen Kette erweitern. Mittels eines standardisierten Smart Contracts kann Anila Tokens verkaufen. Interessierte können nun diesen Vertrag ansteuern. Bezahlt wird mit Krypto- sowie herkömmlicher Währung. Im Gegenzug erhalten sie Tokens, zum Beispiel Anila-Tokens. Die Situation im Moment ist so, dass Firmen oder Start-ups Ideen haben und dafür wahnsinnig viel Geld reinholen wollen, um sie zu verwirklichen. Das tun sie mithilfe der Kryptowährungen, die sie für ihre Tokens erhalten und dann auscashen.

Dann ist ein ICO eine Art Crowdfunding-Plattform, nur ohne Crowdfunding-Plattform – also ohne dritte Partei?

Im Prinzip schon.

«Es gibt genügend Menschen auf der Welt, die dir Geld schicken, weil einfach wahnsinnig viel Geld da ist.»

Ich sende also Anila mein Geld und erhalte dafür was? Ein Versprechen, dass sie nicht einhalten muss?

Absolut. Es ist mehr oder weniger immer noch absolut unreguliert. Anila kann einfach sagen: Hey, schickt mir eure Ethers oder Bitcoins und ich baue euch dafür ein Kaffee-Imperium. Das Geld kann ich zwar auch für Lamborghini und Kleider ausgeben und ihr profitiert sehr wahrscheinlich nie davon, aber es klingt mega cool. Es gibt genügend Menschen auf der Welt, die dir Geld schicken – weil wahnsinnig viel Geld da ist. Auch Geld, von dem die Steuerbehörde nichts wissen soll.

Das klingt nach einem gefährlichen Hype.
Es ist ein riesiger Hype. Du hast Firmen, die mit Milliarden bewertet sind, obwohl sie noch gar kein Produkt auf den Markt gebracht haben. Es sind alles nur Versprechen.

So, wir haben die Blockchain etwas aufgedröselt. Jetzt die grosse Frage: Was ist das Revolutionäre an dieser Technologie? Ist die Blockchain das neue Internet?

Das neue Internet ist vielleicht etwas übertrieben – wobei es auch hier Ideen gibt. Grundsätzlich ist es die Tatsache, dass du Transaktionen abspeichern kannst und damit unwiderruflich machst. Deshalb gibt es so viele potenzielle Anwendungsbereiche. Im Bankenwesen, in juristischen Bereichen, in der Versicherungsbranche, beim Bund – überall, wo du administrative oder verwalterische Zwischenstellen hast, die eine Gebühr abzwacken. Mit einer Blockchain kannst du diese Schritte automatisieren. Dadurch wird auch mehr Vertrauen geschaffen, weil du dich nicht mehr auf eine zentrale Stelle verlassen musst.

«Wir haben den Punkt noch nicht erlebt, an dem viele Unternehmen kollabieren, weil sie das Gleiche machen wollen wie viele andere auch.»

Vertrauen ist ein gutes Stichwort. Ist die Blockchain-Technologie sicher?

Das ist die grosse Frage. Die Technologie ist an sich noch nicht marktreif. Sie existiert zwar schon seit fast zehn Jahren, doch zur Anwendung kommt sie kaum – ausser eben zum Beispiel bei Bitcoin. Wir haben den Punkt noch nicht erlebt, an dem viele Unternehmen kollabieren, weil sie das Gleiche machen wollen wie viele andere auch. Oder weil die Produkte nicht das liefern, was sie versprechen. Dieser Punkt muss meiner Meinung nach erst einmal erreicht werden.

Es braucht einen Crash.

Wenn man so will, ja. Es klingt absurd, aber: Die Netzwerke müssen angegriffen werden. Konkurrenten müssen versuchen, sich gegenseitig auszuschalten. Die Technologien, die sich da durchsetzen, werden künftig Bestand haben. Und erst dann kann man wohl behaupten, dass die Technologie sicher ist. Bitcoin zum Beispiel wurde schon oft angegriffen. Und immer wieder wurde behauptet, Bitcoin sei tot. Trotzdem steht das Netzwerk noch.

Wie bei Morgan Freeman, der im Netz alle paar Monate für tot erklärt wird. 

(lacht) Was in deinem Kopf wohl so vorgeht.

Was du mir mit all dem eigentlich sagen willst, ist: Die Blockchain-Technologie steckt noch in den Kinderschuhen. 

Absolut.

Was nicht heisst, dass sie nicht ein riesiges Potenzial hat.

Genau.

Aber es gibt noch viel zu tun.

Richtig.

Es ist klar, wieso die Blockchain für viele Unternehmen so interessant ist: Sie kann Abläufe vereinfachen, Zwischenstellen obsolet machen und damit Zeit und Geld einsparen. Doch was bringt sie denn jetzt im Moment dem Hans Wurst aus Basel?

Es ist schwierig. Es ist noch nicht so, als wäre die Technologie für die grosse Masse anwendbar. Es sitzen aber viele kluge Köpfe daran, auch in der Schweiz. Man kann davon ausgehen, dass in den nächsten fünf Jahren etwas kommen wird – auf regulierter Basis – das auch für den Otto Normalbürger einfach anwendbar ist. Etwas, das für ihn geschaffen worden ist.

Sagt das deine Glaskugel?

Es ist generell wichtig zu wissen: All diese Projekte sind nicht im Ist-Zustand. Die Ideen entwickeln sich permanent weiter, verbessern sich laufend. Das sehen viele, die sich nicht genauer mit der Materie auseinandersetzen, nicht.

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