Boris Becker: «Weder Novak noch ich hätten uns das erträumt»

Boris Becker spricht im Interview über seine Rolle als Trainer des weltbesten Tennisspielers. Und über die Rivalität zwischen Novak Djokovic und Roger Federer.

epa05102600 Novak Djokovic (L) talks to his coach Boris Becker during training in the Margaret Court Arena, prior the Australian Open Grand Slam tennis tournament at Melbourne Park, in Melbourne, Australia, 15 January 2016. The Australian Open tennis tournament runs from 18 January until 31 Januray 2016. EPA/FILIP SINGER

(Bild: Keystone/Filip Singer)

Boris Becker spricht im Interview über seine Rolle als Trainer des weltbesten Tennisspielers. Und über die Rivalität zwischen Novak Djokovic und Roger Federer.

Boris Becker (48) ist der erfolgreichste deutsche Tennisspieler. Der in London lebende Becker gewann sechs Grand-Slam-Titel und insgesamt 49 Turnierpokale. Vor 25 Jahren, nach dem ersten seiner beiden Australian-Open-Siege, wurde er die Nummer eins der Welt. Seit Dezember 2013 ist Becker Chefcoach beim Weltranglisten-Ersten Novak Djokovic. In die Zeit des Gespanns Becker/Djokovic fallen fünf der zehn Major-Titel des Serben.

Herr Becker, Novak Djokovic gewann 2015 fast alles, was es zu gewinnen gibt im Welttennis. Er war am Ende die klarste Nummer eins aller Zeiten. Was tut man, um das wiederholen zu können?

Boris Becker: Ganz entscheidend ist, eine echte, wirkliche Pause zu nehmen. Total abzuschalten. Nicht bei irgendeinem Schauturnier anzutreten. Er hat im letzten Jahr 80 Matches auf höchstem Niveau gespielt, das war gigantisch. Aber auch verschleissend. Deshalb galt: Ruhe, Entspannung, eine Auszeit von der Tour. Und, ganz wichtig: Sich selbst freuen über das, was du geschafft hast. Das kommt im Alltagsstress zu kurz. 

Wenn Sie auf Ihren Start als Djokovic-Trainer vor zwei Jahren zurückblicken, was ist da von Ihren Erwartungen eingetroffen?

Ganz ehrlich: Weder Novak noch ich selbst hätten uns das erträumt. Da habe ich mich selbst manchmal gefragt: Passiert das hier wirklich? Wir wollten auf Platz eins zurück, Grand-Slam-Turniere gewinnen. Aber diese Dominanz in den letzten 18 Monaten, die war ebenso ungewöhnlich wie bemerkenswert. Viel besser als Novak zuletzt kannst du eine Saison kaum spielen, in dieser Qualität und Ausdauer. Es ist eine wunderbare Reise mit ihm. Ich erlebe ungeahnte Glücksmomente.

Hat Djokovic nie Motivationsprobleme?

Es geht ihm wie allen Grossen im Sport: Wenn du diesen Lauf hast, wenn du gewinnst, willst du mehr. Immer mehr. Er hat eine fabelhafte Einstellung, ordnet fast alles dem Tennis unter. Er weiss, was er mit wem und wie zu tun hat, um erfolgreich zu sein. Im Spitzentennis geht es darum, in den letzten Detailfragen besser zu sein als die anderen Guten und sehr Guten. Und darin ist er ein Meister. Er kitzelt die letzten paar Prozente stets heraus.



Serbia's Novak Djokovic listens to his coach Boris Becker, right, during a practice session ahead of the Australian Open tennis championships in Melbourne, Australia, Friday, Jan. 15, 2016.(AP Photo/Mark Baker)

Auch die überragende Nummer 1 kann noch von jemandem lernen, der im Sport so viel erlebt hat wie Boris Becker. (Bild: Keystone/Filip Singer)

Nun fragen sich ja alle immer wieder gern: Wie macht Becker einen wie Djokovic noch besser?

Ich habe nie gern über mich und meinen Erfolgsanteil bei Djokovic geredet. Fakt ist: Ich hatte eine gute Tenniskarriere, kann meine Erfahrungen weitergeben. Und Novak ist jemand, der da zuhört, der daraus Erkenntnisse schöpfen will. Er will immer lernen, Tag für Tag. So sind Champions.

Was haben Sie eigentlich aus den Jahren mit Ihren Trainern mit in diese Arbeit genommen?

Ich hatte wunderbare Trainer und Lehrmeister. Ion Tiriac, Günther Bosch, Bob Brett, Nick Bollettieri oder Niki Pilic – alle sehr verschiedene Charaktere mit ihren eigenen Fähigkeiten. Davon profitiere ich heute ungemein. Alles, was ich selbst gelernt habe von diesen tollen Coaches, fliesst heute in meine Arbeit ein. Saisonplanung, Taktik, Gegnerbeobachtung, das psychologische Spiel.

Haben Sie als ehemalige Nummer eins, als Majorsieger, mehr Überzeugungs- und Argumentationskraft?

Es ist nun mal so, dass man als mehrfacher Grand-Slam-Gewinner einen anderen Zugang hat. Man hat alles selbst erlebt, die Höhen und Tiefen, die Comebacks, die verrückten Matchsituationen, die Regenpausen in Wimbledon oder anderswo. Für Novak ist es wichtig, mit jemandem sprechen zu können, der seine Lebenserfahrung einbringen kann, eine Autorität aus eigenem Erleben. Das stützt ihn. Und hilft ihm, eine Krise wie nach Paris zu überwinden.

«Djokovic ist ein Strassenkämpfer, der sich mit aller Macht durchsetzen will.»

Sie haben sich wiederholt beklagt, dass Djokovics Erfolge in der Öffentlichkeit nicht ausreichend gewürdigt worden seien. Hat das Jahr 2015 da etwas verändert?

Eindeutig, ja. Und zwar vor allem, wie er nicht nur mit den Siegen umgegangen ist. Sondern auch mit dieser einzigen schmerzhaften Niederlage in Paris. Seine Ansprache damals, diese Emotionen, die Tränen, das gehörte zu den bewegendsten Momenten, die ich überhaupt je im Tennis erlebt habe. Ich glaube, die Menschen kriegen einfach mit, was für ein grossartiger Champion er ist. Bescheiden im Erfolg, keiner, der Siege arrogant vor sich her trägt. Einer, der dem Tennis als Führungsfigur einfach gut tut.

Andererseits haben Sie noch als TV-Kommentator einst angemerkt, es gehe Ihnen an der Spitze zu kuschelig zu. Djokovic steht jetzt auch nicht gerade für Konfrontation, für Konflikt.

Aber auf dem Centre Court kann er schon ein Krieger sein. Ein Strassenkämpfer, der sich mit aller Macht durchsetzen will. Denken wir nur mal an das US-Open-Finale, ein paar Hundert Serben auf der Tribüne, aber 24’000 Amis frontal gegen Djokovic und für Federer: Wenn du so eine Prüfung bestehst, bist du wirklich ein Grosser. Das schaffst du nur, wenn du Rückgrat hast, nicht ängstlich bist und eine klare Position zeigst. Für mich war es das Spiel des Jahres von ihm. 

Die Rivalität zwischen Djokovic und Federer ist ja auch das prägendste Merkmal im Herrentennis.

Es sind zwei verschiedene Charaktere, die da aufeinander treffen. Das macht den Reiz aus, die Spannung, den Thrill. Es ist Schwarz gegen Weiss, aber nicht Gut gegen Böse. Ich habe oft Prügel bekommen, weil ich angeblich etwas gegen Roger gesagt habe. Dabei habe ich in Wahrheit nur Position pro Novak bezogen. Es ist verrückt, dass die Leute das nicht begreifen: Ich bin Team Djokovic, ich habe mich um seine Erfolge zu kümmern. 

Vermutlich hat Federer das selbst am besten verstanden.

Absolut. Es gibt auch gar keine Probleme mit Roger. Wir sehen uns jede Woche in der Umkleidekabine, geben uns die Hand. Meine Familie und ich haben Riesenrespekt vor seiner Lebensleistung. Aber ich habe einen Job, in dem es um die Frage geht: Wie kann ich ihn schlagen?

«Die wenigsten wissen doch, was in meinem Leben passiert.»

Sind Sie heute, als erfolgreicher Trainer, glücklicher als vor zwei Jahren?

Nein, ich war damals auch glücklich. Ich mache Glück nicht abhängig von beruflichen Erfolgen. Bei mir geht die Gleichung eher andersrum: Bin ich privat und mit meiner Familie im Reinen, kann ich gut arbeiten. Und das war 2013 nicht anders als 2016.

Die gängigste These zum Trainer Becker lautet: Er ist wieder bei sich angekommen. Im Tennis, wo er sich immer noch am besten auskennt.

Die wenigsten wissen doch, was in meinem Leben passiert, heute wie vor 30 Jahren. Deshalb gibt es auch immer wieder die unmöglichsten Theorien zu Boris Becker – was er warum tut. Zum Thema Becker wird nur in Extremen gedacht, es gibt keine Grauzone. Wieder im Tennis angekommen? Nein, ich war ja nie weg. Ich habe halt nur aufgehört, Tennisspieler zu sein. Ich habe als Experte und Kommentator gearbeitet.

Füllt Sie das, was Sie im Tennis tun, mehr aus als andere berufliche Projekte?

Mein Leben wäre ärmer gewesen, wenn ich nicht andere Herausforderungen angenommen hätte. Ich habe vieles probiert, vieles hat auch geklappt, anderes nicht. Wem geht das nicht so? Nur wird das bei Becker gleich zum Drama gemacht, zum Scheitern überhaupt. Wie gesagt: Es gibt nur Triumph oder Tragödie. Aber ich bereue nichts. Denn was wäre die Alternative gewesen: Ab 32 Jahren und dem Karriereende nur noch die Legende sein. Ich bin nicht zum Grüssaugust geboren.

«Er ist perfekt. Mit ihm lohnt sich jede Minute Arbeit.»

Was kann als Trainer im Tennis noch kommen, wenn man die Nummer eins trainiert hat – einen so überragenden Frontmann wie Djokovic?

Tennis ist ein Geschäft des Gewinnens. Wir, Novak, das Team und ich, waren da sehr erfolgreich. Und deshalb wollen wir alle auch noch gern weitermachen, denke ich. 

Wird es den Trainer Becker nach dem Job bei Djokovic noch geben?

Ich hatte andere Anfragen vor Djokovic. Aber ich habe das abgelehnt. Weil es ein sehr reisenintensiver Sport ist. Weil ich es selbst schon 20 Jahre gemacht habe. Bei der Nummer eins konnte ich nicht Nein sagen. Weil ich wusste, was für ein Typ Spieler er ist: Einer, der alles fürs Tennis gibt. Motivation, Leidenschaft, Intelligenz – er ist perfekt. Mit ihm lohnt sich jede Minute Arbeit. Ich weiss nicht, ob es eine ähnliche Partnerschaft noch einmal geben könnte. Ich werde ja auch nicht jünger, möchte mehr Zeit mit der Familie verbringen. Ich sehe meine Kinder und meine Frau schon jetzt zu wenig.

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