Für Christoph Weckerle, Co-Autor des Kreativwirtschaftsberichts 2016, steht die künftige Arbeitswelt im Zeichen einer neuen Wertschöpfungsdiskussion.
Bis zu 50 Prozent der bestehenden Arbeitsplätze könnten von Maschinen übernommen werden, lauten Prognosen. «Mehr sinnvolle und selbstbestimmte Tätigkeiten sind möglich», schliessen die Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens daraus. Doch auch jenseits ihrer Kreise ist man sich darüber einig, dass Globalisierung und Digitalisierung unsere Arbeits- und Lebensweise gehörig umkrempeln. Die unterschiedlichsten Branchen sind gefordert, innovative Lösungen für die Zukunft zu entwerfen.
Wo es guter Ideen bedarf, bleibt der Mensch gefragt. Doch was bedeutet es eigentlich genau, kreativ zu sein? Christoph Weckerle, Direktor des Departements Kulturanalysen und Vermittlung der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK), untersucht im internationalen Kontext die Dynamiken kreativer Ökonomien. Im jüngsten Kreativwirtschaftsbericht kommt er zum Schluss, dass es für das Verständnis von Wert-Schöpfung grundlegend neue Konzepte braucht.
Christoph Weckerle, was zeichnet für Sie generell eine kreative Leistung aus?
Bis zum Aufkommen des Begriffs Kreativindustrie in den 1990er-Jahren war klar, dass in erster Linie Künstler kreativ sind. Mittlerweile hat sich diese Wahrnehmung stark verschoben: Die ganze Welt will kreativ sein, ob Bäcker oder Managerin, jeder muss sich unverwechselbar machen. Ich behaupte, dass Kreativität in erster Linie mit einer Herangehensweise zu tun hat. Es bedeutet, die Lösung eines Problems nicht linear aus dem Status Quo abzuleiten, sondern sich zu fragen, wie es auch anders noch sein könnte. Man schreibt die Dinge nicht fort, sondern kombiniert sie neu und sprengt so die Dimensionen des Bestehenden. Ausgangspunkt ist dabei immer auch eine Kritik an der Gegenwart.
Sie plädieren für eine Loslösung des Begriffs von bestimmten Berufen oder Branchen.
Für den Kreativwirtschaftsbericht 2016 haben wir mit zahlreichen Akteuren ausserhalb des kulturellen Sektors Gespräche geführt. Wir wollen nicht aufspringen auf die Debatten, wonach jeder kreativ sein kann. Aber wir stellen fest, dass es vielerorts Funktionen und Positionen gibt, in denen man sich mit alternativen Zugängen beschäftigt. Nehmen Sie das Beispiel eines Chemikers, der im Labor ein neues Medikament entwickelt. Wir schlagen deshalb ein Modell von Creative Economies vor – und setzen diese bewusst in den Plural. Das statische Verständnis einer Kreativwirtschaft wird den zahlreichen situativen Konstellationen, in denen kreative Leistungen erbracht werden, nicht gerecht.
Gegenstand der Debatte in Basel war auch die Abgrenzung zwischen Wirtschafts- und Kulturförderung. Wie lassen sich angesichts der Überschneidungen noch Wert und Wirkung von kreativen Leistungen messen?
Die Erfahrung zeigt, dass es fatal ist, wenn Kreativwirtschaft und Kulturförderung gegeneinander ausgespielt werden. Die beiden Bereiche gehorchen unterschiedlichen Logiken, welche nur bedingt kompatibel sind. Sie können jedoch gewinnbringend aufeinander bezogen werden.
Inwiefern?
Wir gehen davon aus, dass Wertschöpfung im Zusammenspiel verschiedener Akteure geschieht. Ein Beispiel: Eine Künstlerin oder Designerin befindet sich immer im Spannungsfeld zwischen Singularität und Mainstream. Sie will auf der einen Seite unverwechselbar sein, etwas kreieren, das vor ihr noch niemand geschaffen hat; auf der anderen Seite will sie mit ihrem Werk auch Wirkung erzielen, einen Wert schöpfen. Dafür muss sie sich mit Zielgruppen, mit Verwertungsstrukturen usw. auseinandersetzen. In solchen Spannungsfeldern zu agieren, bedeutet, stets das gesamte System im Auge zu behalten.
Kann man überhaupt lernen, mit kreativen Ansätzen auf unsichere Zeiten zu reagieren?
Das ist die Sache jedes Einzelnen. Als Forscher können wir die Herausforderungen präzise beschreiben und Vorschläge machen.