«Da mussten wir erst leer schlucken»

Janika Sprunger erklärt, wieso ihre Pferde nicht an Araber verkauft wurden, warum nur wenige Frauen an der Spitze mitreiten und wie ihre Chancen auf die Olympischen Spiele stehen.

Janika Sprunger mit ihrem besten Pferd im Stall, dem 11-jährigen Wallach Uptown Boy. (Bild: Stefan Bohrer)

Janika Sprunger erklärt, wieso ihre Pferde nicht an Araber verkauft wurden, warum nur wenige Frauen an der Spitze mitreiten und wie ihre Chancen auf die Olympischen Spiele stehen.

Janika Sprunger tätschelt Uptown Boy beruhigend den Hals. Es ist drei Tage vor dem Start des CSI Basel, der den Start der Springreiter in die Olympiasaison markiert. Und Uptown Boy fühlt sich auf dem Parcours bedeutend wohler denn als Modell. Der Wallach ist derzeit das beste Pferd im Stall der 24-jährigen Sprunger, die sich Hoffnungen auf eine Teilnahme an den Olympischen Spielen machen darf.

Dass Uptown Boy und Sprunger weiter ein Duo sind, ist nicht selbstverständlich. 2011 wurde von ausländischen Interessenten viel Geld für Schweizer Spitzenpferde geboten, die Rede ist von zwei bis fünf Millionen Franken pro Pferd. Auch für Uptown Boy gab es Interessenten.

Janika Sprunger ist in eine Pferdesportfamilie geboren worden. Lange ­führten ihre Eltern gemeinsam das Reitsportzentrum Galms in Lausen. Vater Hansueli ist amtierender Schweizer Meister im Springreiten und Sportchef am CSI Basel.

Janika Sprunger, wer hat mehr Chancen auf Erfolg: ein mittel­mäs­siger Reiter auf einem sehr guten Springpferd oder ein sehr guter Reiter auf einem mittelmäs­sigen Pferd?

Schwierige Frage. Ein sehr guter Reiter könnte aus einem nicht so talentierten Pferd das Beste herausholen. Das könnte weit reichen – aber nicht bis ganz nach oben. Ein mittelmässiger Reiter dagegen kann aus einem sehr guten Pferd nicht alles herausholen. Und trotzdem hätte er auf höchstem Niveau wohl die grössere Chance. Weil das Pferd auch mal improvisieren könnte, wenn der Reiter den falschen Absprungzeitpunkt wählt. Ein langfristiger Erfolg wäre sicher nicht möglich. Aber wenn ich mich zwischen Pferd und Reiter entscheiden muss, setze ich eher auf das Pferd.

Wie wichtig ist denn der Reiter bei einem Spitzenpferd noch? Weiss das Tier nicht selbst am besten, wann es wie springen muss?

Natürlich ist das Tier der Athlet. Aber der Absprungzeitpunkt ist ganz klar die Aufgabe des Reiters. Ich kenne die Distanzen und weiss, wo ich das Pferd vielleicht etwas zurücknehmen muss. Aber es gehört doch noch viel mehr dazu als bloss die Wettkämpfe. Das fängt bei der Auswahl der Tiere an, wo es darum geht, zu erkennen, wer die Anlagen hat, um einmal ein richtig gutes Springpferd zu werden. Danach folgt die jahrelange Ausbildung der jungen Pferde. Von Sprüngen über kleine Hindernisse mit drei bis vier Jahren bis zum Schritt zu den grossen Turnieren mit sieben, acht Jahren. Dazu kommt die Planung der Wettkämpfe und Ruhepausen.

Aber all die Arbeit bringt nichts, wenn Sie kein gutes Pferd zur Verfügung haben. Wie kommt man denn an gute Pferde, die ja auch einiges kosten?

Wenn man das Geld nicht selbst hat, braucht man jemanden, der einem die Pferde kauft und zur Verfügung stellt. Ich habe das Glück, dass ich mit Georg Kähny (ein Riehener Unternehmer, Red.) einen Sponsor habe, der mich unterstützt und der mich und meinen Vater auch sehr gut kennt. Er vertraut uns. Wenn wir ein Talent entdecken, von dem wir überzeugt sind, können wir zu ihm gehen und ihm vorschlagen, dass er das Pferd kauft. Ich muss allerdings zugeben, dass ich da meinem Vater den Vortritt lasse. Er hat in seinem Leben schon so viele Pferde gesehen, dass er das Auge dafür hat.

Was muss ein gutes Springpferd mitbringen?

Sehr viel. Natürlich muss es zunächst eine gute Sprungkraft haben. Es darf aber auch nicht nervös oder ängstlich werden, wenn es vor Publikum springt. Und es muss trotzdem einen gewissen Respekt vor den Stangen haben, damit es nicht einfach durch alles hindurch springt und alles abräumt.

Aus einem Ackergaul kann also auch der beste Reiter kein Springpferd machen?

Nein, definitiv nicht (lacht).

Wenn Ihnen die Pferde nicht selbst gehören, müssen Sie da nicht damit rechnen, dass Ihnen die Pferde sozusagen unter dem Hintern weg an einen anderen Reiter vergeben werden?

Das kann tatsächlich passieren. Ich komme eben aus Mechelen zurück, wo der Belgier Grégory Wathelet auf Copin van de Broy ein Weltcup-Springen gewann. Und gleich danach wurde ihm vom Pferdebesitzer mitgeteilt, dass das Pferd ab sofort von einem Deutschen geritten wird.

Sie selbst mussten nie zittern?

Nach Erfolgen im letzten Jahr wurden plötzlich Angebote für Palloubet d’Halong und Uptown Boy abgegeben, bei denen wir erst leer schlucken mussten. Es kamen Araber und wollten so viel bezahlen, dass wir mit Georg Kähny zusammensitzen und uns einen Verkauf überlegen mussten.

Wie viel war das?

Nein, dazu möchte ich jetzt wirklich nichts sagen. Nur so viel: Eigentlich war es unverantwortlich, nicht zu verkaufen. Wir haben sie trotzdem nicht abgegeben. Nicht jetzt, da der jahrelange Aufbau Erfolge bringt. Aber irgendwann wird der Zeitpunkt kommen, an dem auch wir ein Pferd verkaufen werden. Ich bin da allerdings in einer guten Position: Ich habe mit Palloubet d’Halong, Uptown Boy und Komparse drei Spitzenpferde – und dazu ein paar junge, die nachkommen.

Sie selbst leben seit drei Jahren als Reitprofi. Wie gross ist die Diskrepanz zur Reiterhof-Romantik, die in den Büchern und Heften verbreitet wird, die von Mädchen und ihren Pferden handeln?

Ich bin praktisch auf dem Reitsport-zentrum meiner Eltern aufgewachsen. Ich war täglich bei den Pferden, und mein Vater war mein grosses Vorbild. Ich wollte immer um die Pferde sein. Im Gegensatz zu meinem Bruder, den das nie interessiert hat. Aber klar, wenn du als Reiter wirklich etwas erreichen willst, gibt es auch einiges, das nicht nur Spass macht. Wenn du zum Beispiel im Winter in der Kälte reiten gehen musst.

Sie tragen auch eine grosse Verantwortung, wenn Ihnen teure Pferde zur Verfügung gestellt werden, die Ihnen nicht gehören.

Das stimmt. Und dann ist es ja auch nicht ganz billig, die Pferde zu halten. Ich habe drei Mädchen angestellt, die mir bei der Betreuung helfen. Sie sorgen dafür, dass jene Pferde trainiert werden, die nicht an den Wettkämpfen sind. Der Sport hat auch eine starke finanzielle Komponente.

Woran liegt es denn, dass im Weltcup viel mehr Männer mitreiten als Frauen? Dem Klischee entsprechend müsste es doch genau umgekehrt sein.

Wenn ich die Kinder anschaue, die bei uns reiten, dann entspricht das Klischee der Realität: Es kommen viel mehr Mädchen als Buben. Warum das dann bei den Spitzenreitern anders ist, habe ich mich auch schon gefragt. Es ist natürlich ein extrem ­tougher Sport, bei dem das Business eben einen sehr wichtigen Teil einnimmt. Vielleicht gibt es mehr Männer, die sich in so einem Umfeld wohlfühlen.

Auf dem Pferderücken selbst haben Männer keinen Vorteil?

Nein. Es gibt natürlich grosse, kräftige Pferde, bei denen Männer einen Vorteil haben. Aber es gibt ebenso feine, sensible Pferde, bei denen Frauen im Vorteil sind.

Pferde haben also einen eigenen Charakter?

Oh ja! Auf jeden Fall.

Gibt es demnach auch Pferde, die Ihnen unsympathisch sind, auf denen Sie nicht reiten möchten?

Es gibt sehr dominante Pferde, auch solche mit einem sehr schwierigen Charakter, die ich nicht unbedingt reiten müsste. Es kommt immer darauf an. Es gibt Pferde, bei denen könnte man sagen, dass sie eine Macke haben, eine Schraube locker. Aber wenn sie dann auf dem Parcours sind, können sie eben gerade deswegen etwas Spe­zielles abliefern. Mein Komparse zum Beispiel – der hat so etwas Übereifriges, Vorwitziges. Wenn ich den an der Hand führe, tritt er fast auf mich drauf, weil er mich gar nicht sieht. Aber auf dem Parcours hat er dann diese extremen Kämpferqualitäten. Er will einfach immer alles geben.

Wie bekommt man ein Pferd überhaupt dazu, über die Hindernisse zu springen? Von Natur aus würde es das Hindernis doch umgehen.

Das beginnt ganz jung. Da wird erst über eine am Boden liegende Stange geritten und schliesslich gesprungen. Danach wird sanft gesteigert.

Es gibt aber im Springreiten immer wieder Skandale, weil die Pferde mit anderen Mitteln dazu gebracht werden, höher zu springen. Anfang der 1990er-Jahre wurde der Deutsche Paul Schockemöhle gefilmt, als er seine Pferde beim Sprung absichtlich gegen Stangen schlagen liess.

Bei ihm ging es darum, dass die Pferde bei Auktionen möglichst hoch über die Hindernisse springen, damit sie einen hohen Preis erzielen. Ich glaube nicht, dass das Barren heutzutage noch angewandt wird. Von mir jedenfalls auf keinen Fall. Ich denke auch, dass es gar nichts bringen würde. Stellen Sie sich vor, ich würde bei einem viertägigen Championat mein Pferd barren. Dann springt es am ersten Tag möglichst hoch über die Stangen, es verbraucht mehr Kraft als sonst und wahrscheinlich schmerzen nach dem Springen seine Beine, weil der Winkel bei der Landung zu steil wird. Wie sollen wir da am vierten Tag noch ein gutes Resultat erzielen?

An den Olympischen Spielen 2008 wurden vier Reiter disqualifiziert, weil sie die Beine ihrer Pferde mit Capsaicin eingerieben haben sollen, um sie sensibler für die Berührung mit Stangen zu machen.

Die Crème, die bei den betreffenden Reitern gefunden wurde, wirkt wärmend. Ich benutze sie auch in meinem Stall. Sie wird an Pferden genauso angewendet wie wärmende Crèmes bei menschlichen Sportlern: um die Muskeln zu entspannen. Dadurch, dass sie die Durchblutung anregt, hat sie auch eine sensibilisierende Wirkung. Aber so würde ich sie nie anwenden. Ich glaube auch gar nicht, dass bei den heutigen Pferden so etwas noch nötig ist. Sie sind so sehr auf das Springen spezialisiert und trainiert. Wie die disqualifizierten Reiter die Crème angewandt haben, weiss ich nicht.

Was bleibt, sind die Diskussionen über das Wohl der Pferde. Insbesondere, nachdem das Spitzenpferd Hickstead Anfang November während eines Springens in Verona an einem Aorta-Abriss starb.

Von Hicksteads Tod kann nicht auf den Zustand des Reitsports geschlossen werden. Es sterben viel häufiger Pferde beim ganz normalen Ausritt an Herzversagen oder einem Aorta-Abriss als an Wettkämpfen.

Und wie steht es um die wachsende Belastung durch immer mehr Turniere?

Es stimmt, in letzter Zeit ist die Zahl von Fünfsterne-Turnieren rasant gestiegen. Und ich kann mir schon vorstellen, dass es Reiter gibt, die von den Pferdebesitzern Vorgaben bekommen. Zum Beispiel am Ende des Jahres unter den ersten zehn der Weltrang­liste zu sein. Und was machen Sie dann als Reiter? Sie starten so oft als möglich. Allerdings gibt es vor jedem Turnier einen Check durch den Veterinär. Pferde, die müde sind, bewegen sich nicht locker und dürfen nicht an den Start.

Wie gehen Sie selbst mit dem immer engeren Terminplan um?

Ich plane meine Starts so, dass ich sicher bin, dass meine Pferde genügend Erholungszeit bekommen. Ich denke, ein- bis zweimal kann man einem Pferd pro Jahr auch das Flugzeug zumuten – aber mehr nicht. Lieber weniger Starts und dafür dort gute Resultate erzielen.

Gute Resultate werden Sie auch brauchen, um für die Olympischen Spiele im Sommer selektioniert zu werden.

Darüber möchte ich mir derzeit gar nicht zu viele Gedanken machen. Entschieden wird anhand der Formkurve. Wenn ich konstant gut bin, habe ich sicher gute Chancen. Aber wenn ich Wellenbewegungen habe, dann ist es völlig natürlich, wenn der Nationaltrainer auf erfahrenere Reiter zurückgreift. Zumal das Reiten eine Sportart ist, die ganz extrem auf Erfahrung aufbaut.

Trotzdem – für das Heimturnier in Basel werden Sie sich hohe Ziele gesteckt haben.

Natürlich möchte ich ein paar Spitzenplatzierungen mit nach Hause nehmen. Im Grossen Preis vom Sonntag wäre ich mit einem Rang in den ersten sieben zufrieden. Für die Stechen auf höchstem Niveau fehlt es Uptown Boy an Geschwindigkeit. Und wenn ich zu viel Risiko gehe, passieren Fehler.

Kann man sich in ein Pferd verlieben?

Ich bin in jedes meiner Pferde verliebt.

CSI BASEL (13.1.–5.1.2012)

Die wichtigsten Springen
Freitag. 20.15 Uhr: S/A mit Stechen (60 000 Franken).
Samstag. 15.30 Uhr: Grosses Basler Jagdspringen (S/C, 40 000 Franken).
20.30 Uhr: Die Goldene Trommel (S/A mit Stechen, 50 000 Franken).
Sonntag. 13.30 Uhr: Grosser Preis H. Moser & Cie. (GP in zwei Umgängen mit Stechen, 450 000 Franken).

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 13/01/12

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