Der «Hassias» Serdar Somuncu predigt den Hass, damit die Menschen wieder lieben lernen. Hinter der vulgären Maske des Allesdiffamierer steckt ein grosser Humanist.
«Hatenight» von Serdar Somuncu, eine beliebige Folge. Da sitzt einer im Auto hinter dem Steuer und fährt, während ihm die Handykamera ins Gesicht wackelt und seine Elogen des Hasses filmt. Der Mann teilt aus, und das nicht allzu subtil: gegen Bionadetrinker und Alkoholiker, gegen Juden und Schwarze, gegen Behinderte und vorsichtige Autofahrer. Er beschimpft sie mit verachtungsvollen Worten wie «KZ-geilehurenjudenfotzensau». Der Mann meint das nicht ernst, aber man muss ihm das zuerst glauben: der Hassprediger – der «Hassias» – ist Serdar Somuncus radikalste Rolle als Kabarettist. Als Prophet des «Hassismus» zog er in über 100 «Hatenights» mit seinen vulgären Schimpftiraden über alle und jeden her und karikierte die, die ihm am schnellsten zustimmten: die dumpfen Rassisten und die heimlichen Wutbürger, die sich mit der Faust im Sack darüber freuen, dass einer mal sagt, was andere nur zu denken trauen.
Somuncu kennt sich aus mit dem Furor der Verachtung. Bekannt wurde er in den Neunziger Jahren, als er Hitlers «Mein Kampf» und die «Sportpalastrede» von Joseph Goebbels auf einer parodistischen Lesetour vorführte, bis seine Lesungen von Neonazis gestürmt wurden. Auf diesen Tourneen, vor allem im Osten Deutschlands, schaute er tief in die deutsche Seele hinein und registrierte, wie schnell Ressentimentsreflexe gegen Minderheiten erweckt werden können, wenn man nur genügend provoziert und herumkrakeelt. «Jede Minderheit hat ein Recht auf Diskriminierung», lautet der Leitspruch seiner Rolle als «Hassprediger».
Vor wenigen Wochen erschien sein «Hasstament», die Gesammelten Werke der «Hatenights» in Buchform, versehen mit einem Vorwort. Dort steht: «Indem er provoziert und polarisiert und sich dadurch Angriffen aussetzt, opfert sich unser Hassias in geradezu heldenhafter Manier für den Erhalt und Ausbau der humanistischen Werte, denn die Zügellosigkeit, Ziellosigkeit und das Zerstörerisch-Rücksichtslose sollen im Endeffekt konstruktiv wirken, indem sie beim Rezipienten Reflexionen auslösen oder auch nur entlarvende, unreflektierte Reaktionen provozieren». Es steckt ein altes, nobles Ideal hinter den kollektiven Hasstiraden, die Somuncu erweckt – die Selbsterkennung durch Katharsis, durch die der Mensch sich bessern möge. Hinter dem Hassprediger steckt ein verkappter Humanist.
Herr Somuncu, kürzlich ist Ihr finales «Hasstament» erschienen. Hat es sich damit ausgehasst?
Je länger man mit einer Rolle unterwegs ist, desto transparenter wird das Experiment. Vor drei Jahren waren die Publikumsreaktionen noch um einiges verwirrter. Heute wissen die meisten, was sie erwartet. Die Hassprediger-Rolle ist damit durch, ja. Ich freue mich, die gesamten Folgen nun als Zusammenfassung veröffentlichen zu können, obwohl mir eine DVD lieber gewesen wäre. Aber das ging wegen den in die Sendungen eingestreuten TV-Ausschnitten aus rechtlichen Gründen nicht. Es ist etwas ungewöhnlich, das Programm ohne das schauspielerische Element feszuhalten.
Ziel der Hassprediger-Rolle war ein kathartischer Effekt: durch das hemmungslose Herumgeschimpfe sollten die Zuschauer auf ihre eigenen, schlummernden Ressentiments aufmerksam gemacht werden. Stellt sich dieser Effekt nicht mehr ein?
Doch, aber der Aufwand wird immer grösser. Wenn ich auf die Bühne komme, jubeln die Leute, weil sie wissen: Da kommt nun einer, der vulgär rumschreit. Darauf freuen sie sich. Aber daneben hat mein Programm auch einen inhaltlichen, reflexiven Teil, den ich stetig habe ausbauen müssen, damit die Leute weiterhin mitdenken. Das erkläre ich jeweils im Programm: Ich will nicht Verbrämtheit anderer bestätigen, sondern demonstrieren, dass man noch verbrämter sein kann und damit die anderen nicht ernst nimmt. Das entkräftet jeden ernsthaften Hass: Ein grösserer Nazi sein als der Nazi selbst. Wenn man derart überspitzt, wird die Lächerlichkeit dieses Denkens deutlich.«Vor dem Internet graut es mich langsam.»
Im Vorwort des «Hasstament» werden die Hassisten als Bewegung hochstilisiert.
Das ist frei erfunden, allerdings gibt es eine verwandte Figur: den Wutbürger. Sprechen Sie diese besonders an?
Sie sagen es, und darüber bin ich auch erstaunt. Es gibt eine Bewegung von Leuten, die sich in irgendeiner Form von mir verstanden fühlen. In den letzten Jahren, vor allem durch die Möglichkeiten des Internet, trauen sich die Menschen, drastisch zu sein, und entdecken, das die Stimme des Einzelnen einen Wert haben kann. Da ist eine neue Form von Plebiszit eingeführt worden, die manches sehr schnell hochzukochen vermag und Debatten vom Zaun bricht, die aber ebenso schnell wieder verschwinden. Denken Sie nur an die Sexismus-Debatte in der deutschen Politik vor einigen Wochen. Die ist schon wieder durch. Der Hassimus verdeutlich, wie wertlos diese Erregungsdebatten im Endeffekt sind. Diese Entwicklung kommt mir natürlich zugute. Vor zehn Jahren wären die Leute aus allen Wolken gefallen, wenn einer auf die Bühne kommt und derart verkommen redet, das Publikum und den Gastgeber beleidigt.
Das finden Sie gut? Diese drastischen Erregungswellen, die gleich wieder verebben?
Nein. Ich finde sogar, dass der Einzelne fast zuviel zu sagen hat. Vor dem Internet graut es mich langsam. Bei fruchtbaren Diskussionen ertrage ich jede Meinung, aber die Online-Plattformen und sozialen Netzwerke sind nicht die erhoffte Gegenöffentlichkeit geworden, sondern eine Darstellungsplattform. Da will jeder den anderen übertrumpfen, und ab einem bestimmten Level wird nur noch gehasst.
Der Wutbürger ist eine Reaktion auf zunehmende Machtlosigkeit des Einzelnen in der Gegenwart. Korrekt?
Zu einfach. Ich komme ja immer gerne in die Schweiz, weil ich es spannend finde, wie die Debatten bei Ihnen ablaufen, beispielsweise um die Ausschaffungsinitiative oder die Boni für Manager. Da existiert ein grosser Unterschied in der Debattenkultur zwischen diesen beiden Ländern. In Deutschland agiert man eher aus der Deckung heraus, weil man noch immer glaubt – und hofft –, dass die Obrigkeit entscheidet. Man motzt zwar über die da oben, aber verlangt dennoch, dass sie die Dinge gerade rücken. Und daraus wächst Wut, weil man realisiert, dass die da oben doch nicht das Richtige machen. In der Schweiz ist das Bewusstsein der eigenen Stimme viel stärker, so kommt es mir jedenfalls vor. Vielleicht ist das aber auch zu romantisch.«Die Nazis hat das total überfordert, dass nun nicht ein moralisierender Oberlehrer kommt, sondern einer, der nur fragt.»
Helge Schneider, quasi ein Branchenkollege von Ihnen, hat auf der Bühne einmal den schönen Satz gesagt: Liebe ist wichtig, denn ohne Liebe gäbe es keinen Hass. Gild das umgekehrt als unterschwelliges Motiv Ihres Hasspredigers?
Ja, genau. Der Hassismus ist eigentlich eine Sehnsucht nach Liebe, und nur als Katharsis gedacht. Erst wenn man sich der Wut entledigt, kann man lieben.
Mit ihren Lesetourneen zu Hitlers «Mein Kampf» und zur «Sportpalastrede» von Goebbels sind sie mehrmals in Gespräche mit Neonazis geraten. Schon da haben Sie ungehemmt erboste Menschen getroffen, die diskriminieren, ohne zur Reflexion fähig zu sein. Gibt es Parallelen zum Wutbürger?
Da muss ich ausholen. Der Zusammenhang zwischen der Figur des Hasspredigers, die ich jetzt spiele, und der Figur, die «Mein Kampf» auf der Bühne vorlas, ist immanent. Bei «Mein Kampf» war es mir wichtig, Leute aus dem anderen Spektrum zu erreichen. Zu den Bösen zu gehen und offen bleiben für den Dialog – als Deutscher, der in der Türkei geboren ist. Das hat immer dann gut funktioniert, wenn ich das Überraschungsmoment pflegen konnte. Die Nazis hat das total überfordert, dass nun nicht ein moralisierender Oberlehrer kommt, sondern einer, der nur fragt. Daraus entstand meine Haltung, mutiger zu werden. Nicht einen Spassabend vorzugaukeln, sondern immer so weit zu gehen, dass die Zuschauer selbst entscheiden müssen, ob ich etwas nun lustig meine oder nicht.
Ihre «Hatenight»-Videos sind noch radikaler, weil der Inszenierungsrahmen eines Bühnenauftritts völlig wegfällt. Unvermeidbar, dass man Sie falsch versteht.
Natürlich. Es gab eine Folge, in der ich über Behinderte fluchte, was ja das Letzte ist. Darüber haben wir uns in der Redaktion lange unterhalten, ob wir das senden wollen. Auch da gibt es Zuschauer, die denken: gut, dass der das für mich sagt.
«Nie schreibt mir ein Schwuler, lass doch die Türken in Ruhe. Das wäre mal ein Fortschritt.»
Wer tatsächlichen Hass in sich trägt, kann Ihre Ausbrücke auch als Bestätigung hinnehmen.
Vermeintliche Intellektuelle werfen mir vor, ich «triggere» Leute an und ermutige sie in ihrer intoleranten Haltung. Aber ich bin nicht nur eine Bühnenfigur, sondern meine antifaschistische, aufklärerische Haltung habe ich in Debatten und Büchern regelmässig vertreten. Diese satirische Rolle derart konsequent durchzuziehen, wie es Martin Sonneborn mit «Die Partei» macht, der sich regelmässig politisch äussert und sich sogar für Wahlkämpfe aufstellen lässt, wäre mir viel zu angestrengt. Dass nun die intolerante Rechte und die ganzen Chauvinisten kommen und sagen, guck mal, der redet ja wie wir, lässt sich nicht vermeiden. Ich kann nicht allen Idioten erklären, dass ich nichts mit ihnen zu tun habe. Aber ich kann Argumentationen provozieren. Wenn ich auf der Bühne stehe und Judenwitze mache, lachen immer manche besonders dreckig. Da trete ich dann gleich auf die Bremse und sage: Aha, das gefällt euch, Ihr Nazis?
Und was geschieht dann? Sind sie peinlich berührt, ertappt – oder passiert mehr?
Die Toleranz endet immer, sobald man selbst angegriffen wird. In meinen antideutschen Passagen über die Kriegsverlierer bleiben die Deutschen stumm, aber die türkischen Zuschauer lachen sich kaputt. Aber mache ich einen Türkenspruch, lachen die Deutschen, und die Türken sind sauer. Das ist ein grosser Spass, aber es soll die Leute auch anregen.
Toleranz fordert man also immer nur von den anderen.
Ja. Es ist interessant, wie sich das durchzieht. Ich kann über Deutsche lästern oder Schwule oder Juden oder Fans des FC Bayern München, und sofort nehmen es die Betroffenen todernst. Intoleranz hat mit Perspektive zu tun, das hab ich gelernt. In der Reaktion sind die Gruppen alle gleich. Sie lachen nur, wenn andere beleidigt werden. Ich kriege nie Briefe von Leuten, die andere in Schutz nehmen, sondern immer nur sich selbst verteidigen. Nie schreibt mir ein Schwuler, lass doch die Türken in Ruhe. Das wäre mal ein Fortschritt.
Die Lesung zu «Mein Kampf» und die Gespräche mit Neonazis haben Sie zu einem Experten für Antirassismus gemacht. Hat sie überrascht, worauf Sie sich damals eingelassen haben?
Definitiv. Mittlerweile bin ich ja fast ein Neonazi-Experte, und damals war das nur eine spontante, intuitive Idee. Es ist kaum nachvollziehbar, wie Hitler die Leute heute noch beschäfigt und wie vor allem die Debatten immer wieder neu aufgerollt werden. Ich kann nicht aufzählen, wie oft ich die vergangenen 20 Jahre die Frage diskutieren musste, ob man über Hitler lachen darf. Und nie sagt einer: die Frage ist geklärt, über Hitler lachen heisst nicht, über Hitlers Opfer zu lachen. Diese Diskussion muss offenbar immer wieder geführt werden. Dasselbe ist das NPD-Verbot: Obwohl jeder weiss, dass Verbote keine Ideologien verhindern, kommt das immer wieder hoch.
«Weder Erwachsene noch Schüler lassen sich von Hitlers Text verführen. Nicht inhaltlich, nicht formell.»
2015 läuft das Urheberrecht zu «Mein Kampf» aus, danach kann es frei nachgedruckt werden. Was ist Ihr Eindruck, auch aus Ihren Gesprächen mit Neonazis – hat die Schrift noch eine unheilvolle Verführungskraft?
Ganz klar nein. Das hat sich immer auf der Bühne bestätigt. Schon allein die Anstrengung, diesen Text zu lesen, überfordert fast. Da ist es dem «Kapital» von Marx nicht unähnlich. «Mein Kampf» ist so verschwurbelt geschrieben und ein derart zusammengeleimtes Sammelsurium aus anderen Schriften, dass man den Text kaum versteht. Propagandistisch ist es eine schwache, kaum verwertbare Schrift. Daher waren meine Erfahrungen von Anfang an eindeutig: Weder Erwachsene noch Schüler lassen sich von Hitlers Text verführen. Nicht inhaltlich, nicht formell. Es sei denn, man ist sowieso schon auf dem Weg zu dieser Ideologie, aber auch da gibt es viel anderes, einiges leichter zu lesendes Material der rechtsradikalen Propaganda als Hitlers 700 Seiten.
Gegenwärtig finden in Deutschland die NSU-Prozesse statt. Was sagen die Morde von Neonazis an türkischstämmigen Kleinunternehmern in Deutschland über das Verhältnis zwischen Deutschland, seinen Neonazis und seinen Migranten aus?
Ganz ehrlich – nach meinen Lesungen in Deutschlands Osten war ich erstaunt, dass sowas nicht früher passiert ist. Man hat in Deutschland ja immer so getan, als wären Ausländer krimineller als die Deutschen auf der rechten Seite. Dabei war das dort wie im Wilden Westen. Die Nazis hatten das Szepter in der Hand, ohne dass Polizei oder Gesellschaft Regulative bildeten. Da ist es ein Hohn, wenn an der Fussball-WM 2006 der deutsche Innenminister sagt, bei uns gäbe es keine No-Go-Zonen. Tragisch, dass es die Morde brauchte, bis das Schweigen vorbei ist.
Es ändert sich was?
Man wird sehen. Deutschland hat realisiert, dass das immense Problem des Rechtsradikalismus immer unter den Tisch gewischt wurde. Noch die Anschläge in den Neunziger Jahren wurden als Einzelfälle betrachtet. Ich frage mich schon, warum Debatten zur Doppelbürgerschaft oder zu den Sarrazin-Thesen stets eifrig geführt werden, während man zu anderen Realitäten eisern schweigt? Dass Deutschland nun gezwungen ist, die Hosen runterzulassen und sich zu stellen, ist notwendig und gut. Zwischen Migranten und Deutschen ist viel Vertrauen zerstört. In diesem Land geht man nicht anständig miteinander um.