Ein Museumsbau muss dem Inhalt dienen. Der architektonische Rahmen sollte aber zugleich so verbindlich sein, wie das Kunstwerk, das darin zu sehen ist, sagt Emanuel Christ, der den Erweiterungsbau des Kunstmuseums Basel entworfen hat, im Interview.
Das Bau- und Verkehrsdepartement lädt zur Besichtigung des neuen Erweiterungsbaus für das Kunstmuseum Basel. Es ist der Tag der Bauherren aus dem Hochbauamt. Der Architekt Emanuel Christ ist ebenfalls dabei, hält sich aber diskret im Hintergrund. Zusammen mit seinem Büropartner Christoph Gantenbein hat er ein Bauwerk entworfen, das nur schon aufgrund der Bedeutung der Institution Kunstmuseum weltweit Beachtung finden wird. Der 100 Millionen Franken teure Neubau wird Mitte April 2016 offiziell eröffnet.
Herr Christ, Sie können dieses Jahr mit den Erweiterungsbauten für das Kunstmuseum Basel und das Landesmuseum in Zürich gleich zwei wichtige Museumsbauten eröffnen. Erfüllt Sie das mit Stolz?
Natürlich. Dass wir gleich zwei Museumsbauten eröffnen können, ist aussergewöhnlich. Wenn man so lange Zeit an einem Projekt arbeitet – beim Landesmuseum sind es jetzt über zwölf Jahre –, ist es ziemlich ergreifend, wenn es an den Nutzer und an die Bevölkerung übergeht. Die beiden Eröffnungen finden in der Architekturwelt grosse Beachtung und sind ein riesiges Geschenk für uns.
Zurück zum Prestigecharakter von Museumsbauten. Museen möchten auch eine möglichst grosse Aussenwirkung erreichen, wollen, dass ihre Hülle strahlt und auffällt. Letztlich ist ein Museum doch aber ein Zweckbau. Ist es schwierig, diese beiden Erfordernisse unter einen Hut zu bekommen?
Es gibt eine Zweckmässigkeit im Innenraum – dies ist allein schon durch die logistischen Anforderungen bedingt. Der Zweck variiert aber von Museumstyp zu Museumstyp sehr. Im Landesmuseum werden geschichtliche Zusammenhänge oder gesellschaftliche Themen verhandelt. Das bedingt ganz andere Formen von Ausstellungsszenografien und Inszenierungen. Das Kunstmuseum ist in meinem Verständnis ein Ort, an dem die Kunstwerke eine andere Präsenz entwickeln. Die Räume sind klassisch und zurückhaltend.
Zurückhaltung bis zum White Cube?
In einem gewissen Sinne, ja. Die Wände sind weiss, ihre Farbe kann je nach Bedarf auch abgeändert werden. Aber es geht hier nicht um die weitestgehende Zurücknahme und Abstrahierung von Architektur. Es sind Museumsräume, die man durchaus als klassisch bezeichnen kann, mit schönen Materialien und klaren Proportionen. Uns schwebten Museumsräume mit einer sichtbaren Materialität vor, Räume, die spürbar sind. Ein Kunstwerk hat das Recht auf einen architektonischen Raum, der ebenso verbindlich ist wie das Werk selber: Das Original soll auf das Original treffen. Deshalb haben wir uns bemüht, den Räumen eine physische Präsenz zu verleihen und Materialität zu zeigen, unter anderem mit den markant strukturierten Betondecken. Das entspringt alles der Fragestellung: Was ist die richtige Architektur, um Kunst in den unterschiedlichsten Formen zeigen zu können?
Wie sieht es bei der äusseren Hülle aus?
Gegen aussen versuchten wir, dem anspruchsvollen städtischen Kontext gerecht zu werden. Mit der historischen St. Alban-Vorstadt auf der einen und dem Hauptbau auf der anderen Seite. Das Haus soll sich in diesen Kontext einfügen, in einen Dialog mit der Umgebung treten, gleichzeitig aber auch behaupten dürfen: Hier bin ich, und ich bin ein Bau des 21. Jahrhunderts. Das wird durch den Baukörper selber sichtbar, darüber hinaus durch den LED-Fries an der Fassade, der dem Haus eine subtile, aber letztlich auch intensive Strahlkraft verleihen wird. Hier tritt auch das Ikonische des Baus in Erscheinung.
«Ein Museum, das vor allem architektonisches Spektakel sein will, ist eine heikle Sache.»
Es gibt berühmte Beispiele, bei denen die architektonische Selbstbehauptung und der Zweck nicht so gut im Gleichgewicht stehen. Im New Yorker Guggenheim Museum von Frank Lloyd Wright sind kaum gerade Wände zu finden, an denen sich ein Bild richtig aufhängen lässt.
Ein Museum, das vor allem architektonisches Spektakel sein will, ist eine heikle Sache. Der Bau von Frank Lloyd Wright ist genial und verhängnisvoll zugleich. Ich war kürzlich wieder dort und hatte tatsächlich einen Eindruck, der ans Psychedelische grenzt: Man weiss nicht wirklich, ob die Bilder nun schräg hängen oder ob es sich nur um eine optische Täuschung handelt, die sich durch die Architektur ergibt. Das ist eine problematische Situation. Aber das Guggenheim in New York darf eine Ausnahme sein. Es ist letztlich ein wunderbares Museum, eine herausragende Architektur-Ikone. Aber ich hätte dieses Museum nicht bauen können, weil es letztlich impertinent ist gegenüber der Kunst oder bestimmten Formen von Kunst. Aber wenn man es schafft, sich auf die Räume einzulassen, können auch herausragende Ausstellungen entstehen. Ich bin gespannt, ob dies mit der eben angelaufenen Fischli-Weiss-Ausstellung funktionieren wird.
Wie frei waren Sie beim Entwurf für den Erweiterungsbau des Kunstmuseums?
Die Vorstellungen von Kunstmuseumsdirektor Bernhard Mendes Bürgi, was gute Ausstellungsräume sind, waren programmatische Vorgaben für uns. Auch, dass sich die neuen Räume mit den alten des Hauptbaus zu messen haben. Das war bereits eine Vorgabe im Wettbewerbsprogramm. Während des gesamten Planungsprozesses sprachen wir viel darüber, wie die Räume proportioniert sein müssen, wie sie sich bespielen lassen, bis zur Frage, wie viele Fenster möglich sind.
«Es gab Differenzen mit der Direktion des Kunstmuseums, aber stets innerhalb einer respektvollen und freundschaftlichen Auseinandersetzung.»
Auffallend ist die Grosszügigkeit und Weitläufigkeit der neuen Räume – ganz im Gegensatz zu den Kabinetträumen oder den Gemäldegalerien im Hauptbau, die sich nicht beliebig bespielen lassen.
Hier zeigt sich der Versuch, aus der Vorstellung von klassischen Museumsräumen heraus offenere Formate zu finden. Die Räume im neuen Haus wiederholen nicht einfach das, was es im Altbau auf der anderen Strassenseite bereits gibt. So sind die neuen Räume zum Beispiel deutlich grösser. Auch wenn die Kunst ab den 1950er-Jahren hier im Vordergrund stehen wird, müssen sich die Räume für alle Formen von Kunst bewähren: für raumgreifende Installationen ebenso wie auch für Werke zum Beispiel aus dem Rokoko.
Gab es auch Differenzen mit der Direktion des Kunstmuseums?
Das gab es schon auch, aber stets innerhalb einer respektvollen und freundschaftlichen Auseinandersetzung. Für uns Architekten war es wichtig, dass es im ersten Obergeschoss Fenster gibt, durch die man sich im Stadtraum orientieren kann, damit die Beziehung zur Umgebung auch von innen heraus spürbar wird. Andererseits sorgen Fenster auch für gewisse Konflikte im Ausstellungsbetrieb: Sie sorgen für Gegenlichtsituationen, sie können ablenken und sind auch unter konservatorischen Gesichtspunkten nicht immer ganz unproblematisch. Darüber haben wir lange diskutiert. Auch über den Boden waren wir uns lange nicht einig: Bernhard Mendes Bürgi wollte Holzboden, wir waren zuerst nicht so sicher, aber jetzt halte ich es für die denkbar beste Lösung.