«Das Ozeanium ist nicht als weitere Vergnügungszone gedacht»

Das Ozeanium weckt nicht nur Begeisterung, sondern auch Vorbehalte. Projektleiter Thomas Jermann erklärt, weshalb man die Einwohner von Binnenländern wachrütteln muss, wie grosse Fische nach Basel kommen und wer einmal die Scheiben im Aquarium putzen könnte.

(Bild: © Zoo Basel)

Das Ozeanium weckt nicht nur Begeisterung, sondern auch Vorbehalte. Projektleiter Thomas Jermann erklärt, weshalb man die Einwohner von Binnenländern wachrütteln muss, wie grosse Fische nach Basel kommen und wer einmal die Scheiben im Aquarium putzen könnte.

Thomas Jermann, warum braucht ein Binnenland ein Grossaquarium?

(Bild: © Zoo Basel)

Gerade weil die Schweiz ein Binnenland ist, ist das Ozeanium notwendig. Denn die Leute hier machen die Verknüpfung nicht, dass auch sie etwas mit dem Ozean zu tun haben. Das ist ein grosser Trugschluss, zumal die Binnenländer mitschuldig sind an den Problemen im Ozean. Menschen, die an der Küste leben, wissen in der Regel mehr darüber, wie der Ozean funktioniert. Dort lernt man es schon in der Schule – so gehen die Kinder direkt ans Meer und sind mit den Fischern zusammen. Wir aber entwässern uns total ins Meer – in unserem Fall in die Nordsee. Dabei beeinflussen wir ebenfalls das Ökosystem. Man muss die Menschen ein bisschen wachrütteln.

Trotzdem stehen die bekannten Aquarien in Küstenstädten wie Genua, Barcelona oder Valencia…

Diese Aquarien sind oft im Hinblick auf Anlässe entstanden. So viel ich weiss, war für die Entstehung der Ozeanarien in Genua und Barcelona die Feier zur Entdeckung von Amerika ausschlaggebend. Das Aquarium in Lissabon wurde im Zuge einer Weltausstellung gebau. Man meint zwar, dass es am Meer liegt, die Stadt liegt aber an der Flussmündung. Das Aquariumwasser besteht also nicht aus natürlichem Meerwasser, sondern aus künstlichem – wie es bei uns der Fall sein wird. Das ist überhaupt bei vielen Grossaquarien so.

Wie wird künstliches Meerwasser eigentlich hergestellt?

Wir werden es genau so herstellen, wie wir es beim Vivarium bereits machen. Wir kaufen eine Meersalzmischung –  pharmazeutisch reine Substanzen, in der Zusammensetzung genau so wie Meerwasser. Die Herstellung von Meerwasser ist relativ einfach. Wir haben das Glück, dass das Leitungswasser hier sehr gut ist und wir das Salz damit mischen können. Meine Kollegen aus Deutschland und Holland haben mehr Probleme, wenn sie Aquariumwasser herstellen wollen. Denn sie müssen dafür zuerst das Trinkwasser aufbereiten.

Sie sagten bei der Präsentation des Siegerprojekts, dass das Ozeanium nur dreimal mehr Wasser brauchen wird als das Vivarium. Das leuchtet nicht ganz ein, zumal die Aquarien dort ja riesig sein werden.

Vom Wasservolumen her ist das Ozeanium 15 Mal grösser als das Vivarium. Trotzdem werden wir nur dreimal mehr Wasser brauchen – falls nicht sogar noch weniger. Wir werden prozentual also gesehen weniger Wasser verwenden als im Vivarium, weil die Aquarien eben grösser sind. Das klingt Paradox, ist aber so, denn je grösser ein Aquarium ist, desto weniger Lebewesen pro Kubikmeter leben darin. Das hat zur Folge, dass die Verschmutzung des Wassers geringer und die Filtertation einfacher ist. Somit können wir das Wasser länger behalten.

Wie viele Aquarien wird es geben?

Wir haben vor, rund 30 Aquarien im Gebäude unterzubringen. Höhepunkt wird ein Aquarium sein, das einen Wasserstand von etwa 9 Meter hat. Man steht dann vom Gefühl her wirklich in einem Ozean. Die Aquarien sollen den Besuchern die Schönheit des Ozeans zu spüren geben. Unser Ziel ist, dass sie Wertschätzung gegenüber dem Meer entwickeln – aber auch eine gewisse Ehrfurcht kriegen.

Hand aufs Herz: Das Siegerprojekt «Seacliff» ist eines der – sagen wir mal – architektonisch wenig mutigen Projekten. Wieso so bescheiden?

Vom Gebäude her hätte es natürlich schon noch extravagantere gegeben. Aber wenn Sie sich im Zolli umschauen, dann stellen Sie fest, dass all unsere Gebäude ziemlich zurückhaltend sind. Denn sie sollen nicht in Konkurrenz treten mit dem Erlebnis. Wir wollen nicht primär ein Gebäude zeigen, sondern die Erfahrung. Das Siegerprojekt trifft diesen Charakter genau. Ein markantes Gebäude könnte sich kontraproduktiv auswirken: Wenn wir den Fokus der Besucher auf die Lebenswelten richten wollen, dann muss das Gebäude zurückhaltend sein. Wir sind sehr glücklich mit der Auswahl der Jury.

Apropos Auswahl. Nach welchen Kriterien werden die Tiere für das Ozeanium ausgesucht? Wieso wird es Haie geben aber keine Delphine?

Das Gebäude ist nicht dafür konzipiert, Delphine zu halten. Die Kriterien fürs Ozeanium sind dieselben wie fürs Vivarum. Wir wollen nur Tiere, die gesund und in ihrem gewohnten Verhaltensspektrum bei uns leben können. Die Tiere müssen die Besucher zum Stehenbleiben bringen und sie verzaubern können. Sie müssen in guter Form sein, damit sie die Botschaften überbringen können, die wir den Besuchern vermitteln wollen.

Und die wären?

Wir wollen die Faszination zum Lebendigen schaffen. Wir wollen die biologische Geschichte der Tiere so authentisch wie nur möglich zeigen – als Ausschnitt des Echten. Aber dieser Ausschnitt muss glaubhaft rüberkommen. In einem Aquarium geht das gut. Natürlich brauchen wir aber auch die attraktiven Tiere, die die Leute beim ersten Anblick faszinieren, aber um diese geht es nicht primär. Es geht auch um diejenigen, die beim zweiten Blick ins Aquarium zu entdecken sind.

Zum Beispiel?

Ich fabuliere jetzt, aber wir haben vor japanische Riesenkrabben zu zeigen. Die sind zwei Meter gross, imposant und attraktiv. Im gleichen Becken schwimmen dann aber zwischen ihren Beinen Schnepfenfische wie in der Natur. Die Leute werden es sehen und denken: «Oh, was ist das?» Sie werden sich die Infos anschauen und etwas neues erfahren, genau das wollen wir. Faszination durch die Abbildung der Natur.

Fressen und gefressen werden, gehört auch dazu: Werden Sie den Haien ihre Futterfische mit ins Becken geben?

Nein. Wir können nicht ausschliessen, dass gejagt wird. Aber es ist nicht in unserem Interesse. Wir wollen weder zu viel Stress für die Tiere, noch könnten wir uns den Ersatz leisten.

Die Frage bleibt dennoch: Wie soll denn beispielsweise das geplante Korallenriff hinter dickem Glas auf das sterbende Great Barrier Reef aufmerksam machen?

Es gibt verschiedene Mittel. Wir wollen ja nicht nur die Aquarien zeigen. Das Ganze wird noch von – ich nenne es mal – «Info» begleitet. Wir verlinken auch auf Naturschutzprojekte. Und wir wollen punkto Nachhaltigkeit Partnerschaften mit Korallenriff-Gebieten eingehen, denen wir helfen wollen. Grundsätzlich ist die Sensibilisierung also ein mehrstufiger Prozess: Wir schaffen die Faszination mit dem Lebendigen, das weckt das Interesse und wir können Wissen vermitteln.

Sie sind nicht nur ein Befürworter der Zootierhaltung. Es gibt für Sie auch Tiere, die nicht für den Zoo geeignet sind. Im Gegensatz dazu stehen Sie ohne Einschränkung der Aquariumhaltung gegenüber…

…nicht ganz. In einem grossen, gut geplanten Aquarium, in dem die nötigen Mittel vorhanden sind, ist es aber einfacher, eine perfekte Tierhaltung zu machen als bei schwierigen Zootieren wie Beispielsweise Tiger und Eisbären. Um diese Tiere in Basel «richtig» halten zu können, müssten wir den halben Zoo opfern. Das haben wir eingesehen und deren Haltung auch aufgegeben. Aber wir müssen auch im Ozeanium realistisch bleiben – wir wollen nicht wie in anderen Aquarien Mantas oder Walhaie halten.

Es ist eine Zusammenarbeit mit Umweltschutzorganisationen geplant, werden die bei der Auswahl der Tiere mitreden können?

Wir hatten und haben schon viele Gespräche mit solchen Organisationen. Wir tauschen uns nicht gerade wöchentlichen aus, aber rege.

Die Kritik am Ozeanium ist bereits jetzt gross: Die Jagd der Tiere wird kritisiert, es wird moniert, dass beim Transport viele Tiere sterben. Sie haben bereits mehrfach erklärt, dass nur zertifizierte Händler in Frage kommen; und dass der Transport sicher sei. Wie sieht dieser aber überhaupt aus? Die Tiere werden ja kaum als Päckli ankommen.

Doch! (lacht) Das Päckli sieht aber anders aus, als man sich das vorstellt. Wenn es zum Beispiel ein Hai ist, der grösser ist als einen Meter, kommt er nicht im Styropor-Päckli, sondern im Container. Darin sind ein paar Tausend Liter Wasser und ein komplettes Lebenserhaltungssystem: CO2-Absorber, Filteranlagen, Sauerstoff. Kurz: Es wird dafür gesorgt, dass dem Hai nichts passiert, schon alleine weil der Aufwand so gross ist. Innerhalb von 36 Stunden muss der Transport über die Bühne gehen – also wahnsinnig schnell.

Sind die Tiere sediert, also ruhig gestellt?

Das kann durchaus vorkommen, dass ist auch nicht schlimm, sondern mindert den Stress.

Der Standort des Ozeaniums wurde bereits diskutiert. Hatte der Zoo überhaupt eine Alternative?

Wir hatten natürlich eine Option: die Markthalle. Diese Pläne dort sind ja gescheitert. Die Stadt hat uns dann die Heuwaage als Alternative angeboten. Für uns ist sie auch besser: Wir können das Ozeanium von Grund auf konzipieren, können den Ort gestalten – das ist ideal. Und die Lage ist optimal für uns. Es liegt ausserhalb des Zoos, aber nicht weit weg. Es ist etwas städtisches, ein urbaner Ort. Ein Ort, der auch für die Jungen attraktiv ist und lockt. Er ist sensationell angebunden an den öffentlichen Verkehr. In der unmittelbaren Umgebung liegen zwei Parkhäuser…

…wird das reichen? Sie rechnen immerhin mit über 500’000 zusätzlichen Besuchern zu den 1,7 Millionen, die jedes Jahr den Zoo besuchen.

Wir verzeichneten bisher immer einen Zuwachs der Besucher. Viele kommen mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, wenn Sie nach draussen schauen: der Zolli-Parkplatz ist klein. Die Anbindung ist einfach wirklich gut: Busse, Tram, Zug, Parkhäuser.

Sie wünschen sich sowieso, dass die Leute mehr oder weniger «zufällig» Ozeanium kommen. Es soll auch ein neuer, stadtnaher Treffpunkt werden, wie Zoo-Direktor Oliver Pagan bei der Präsentation sagte.

Jein, es geht natürlich schon darum, dass mindestens subkutan etwas vom Ozeanium hängen bleibt. Die Leute sollen nicht einfach Bier trinken, es soll auch etwas vermittelt werden. Es sind nicht irgendwelche Produkte, die konsumiert werden. Sie sollen nachhaltig sein. Das Ozeanium ist nicht als weitere Vergnügungszone gedacht. Es ist ein spezieller Ort und soll auch anders wahrgenommen werden – das ist zumindest unsere Hoffnung.

Das Ozeanium soll selbsttragend sein. Gibt es eigentlich schon Überlegungen zu den Eintrittspreisen?

Die Idee bleibt dieselbe wie beim Zolli: Die Eintritte müssen günstig bleiben, damit alle Bevölkerungsschichten sich den Besuch leisten können. Das Ziel war und ist im Zolli, dass wir nicht teurer sind als das Kino. Das wird auch beim Ozeanium angestrebt. Es gibt sicher ein Kombiticket für Zolli und Ozeanium, das teurer wird. Aber beide Institutionen sollen auch einzeln besucht werden können. Es muss ein Ort bleiben für alle. Die Schulen werden – wie bisher im Zolli – freien Eintritt geniessen. Das gehört aber auch dazu, wenn wir es als ausgewiesenen Bildungsort ausserhalb der Schule sehen – was es werden soll.

Haben Sie nicht Angst, dass das Image des Zollis beschädigt werden könnte, sollte das Ozeanium scheitern?

Nein, das glaube ich nicht. Es ist ein Versuch. Wir sind willens etwas zu tun. Wenn wir irgendwie scheitern sollten – wovon ich nicht ausgehe zur Zeit – werden wir keinen Image-Schaden davon tragen. Jedes Unternehmen scheitert mal mit einem Plan, wir müssten es dann einfach sportlich nehmen. Es wäre wahnsinnig schade, aber ich glaube wirklich nicht an ein Scheitern – dafür sind die Pläne zu gut.

Die letzte Frage habe wir unserem Kollegen Matthias Oppliger versprochen. Er würde gerne mitschwimmen und tauchen im Ozeanium. Ich überlasse es Ihnen, Matthias zu enttäuschen…

…es ist nicht mal sicher, ob wir ihn enttäuschen müssten. Es ist noch nicht klar, wie wir es wirklich machen, aber in vielen Grossaquarien ist es so, dass abends für die teuren Unterhaltsarbeiten wie Scheibenputzen die örtlichen Tauchvereine zum Einsatz kommen. Vielleicht ist das auch für uns eine Option.

Wenn nicht, müssen Sie ihm zumindest die erste Reportage aus dem Tank versprechen…

(lacht) Das sollten wir hinkriegen.

Thomas Jermann ist Kurator des Vivariums im Zoo Basel. Der Meeresbiologe ist gleichzeitig Projektleiter des Ozeaniums.

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