Der Mann hinter den Funk-Klassikern

Sein Name überstrahlte alle anderen auf der Affiche des diesjährigen Basler Bluesfestivals: Allen Toussaint. Nach 50 Jahren gab er sein erstes Gastspiel auf Basler Boden. Der Altmeister aus New Orleans erzählt im Interview, wie der Hurrikan Katrina sein Hab und Gut vernichtete – und ihn auf die Bühne katapultierte.

Der Altmeister des Rhytm&Blues aus New-Orleans: Allen Toussaint. (Bild: Marc Krebs)

Sein Name überstrahlte alle anderen auf der Affiche des diesjährigen Bluesfestivals: Allen Toussaint. Der Altmeister aus New Orleans erzählt im Interview, wie der Hurrikan Katrina sein Hab und Gut vernichtete, ihn dies auf die Bühne katapultierte – und warum New Orleans nie so sein wird wie New York oder Detroit.

Allen Toussaint empfängt uns im Galeriesaal des Basler Volkshauses und wir wirken – trotz Kittel, Hemd und Lederschuhen – abgetakelt an seiner Seite. Denn dieser Mann hat eine Aura und eine Grandezza, die man sich nicht überziehen kann. Anzug, Krawatte, Haltung, Ausstrahlung, alles stimmig bei ihm, der zugleich ganz unprätentiös wirkt, ja, bescheiden gar.

Keine Frage: Allen Toussaint ist ein Gentleman alter Schule. Er hat andere zu Stars gemacht und das Scheinwerferlicht nicht selber gesucht, ist kein Managertyp – das Geschäftliche sei nie sein Ding gewesen, sagt er – er ist Musiker, Songwriter und Produzent aus Leidenschaft. Und vertritt das mit einer Würde, die einen fast ein bisschen ehrfürchtig werden lässt.

Den meisten Menschen mag sein Name noch immer unvertraut sein. Seine Arbeit aber kennen alle: Er hat das Stück «Lady Marmalade» (besser bekannt durch den Refrain «Voulez-vous coucher avec moi?») der Frauengruppe Labelle vor 40 Jahren zur Blüte und in die Charts gebracht. Er hat The Meters entdeckt und folgedessen den Funk entscheidend mitgeprägt. Und zuvor schon lancierte er die grosse Karriere des Sängers Lee Dorsey, dem er Soulklassiker zuschrieb. Beispiel gefällig?

Das ist Toussaint am Flügel, wie er am Freitag am Bluesfesitval Basel zu hören war. Der Südstaatler hat schon viele Musiker kommen und gehen sehen. Hat Platten produziert, arrangiert (auch für Paul McCartney oder Paul Simon), komponiert und blieb doch vielen unbekannt. Bis Katrina kam, keine Frau, sondern ein Wirbelsturm. Ein Hurricane, der 2005 New Orleans überschwemmte und Toussaints Studio zerstörte. Er zog – homeless, wie er über Nacht geworden war – nach New York. Und rief Charity Gigs für seine Heimatstadt im Süden der USA ins Leben. Fans von ihm, wie etwa der britische Musiker Elvis Costello, unterstützten und pushten ihn, schoben ihn quasi vom Studio ins Rampenlicht. Und siehe da: Seit einigen Jahren ist Allen Toussaint, diese graue Eminenz des Südstaaten-Soul, plötzlich auch live on stage zu erleben. So wie am Freitag im Volkshaus Basel, wo er am Bluesfestival vor ausverkaufter Kulisse aufspielte. Kurz zuvor konnten wir ihn zum Interview treffen.

Mister Toussaint, schön, Sie hier zu haben. Sind Sie auf Europa-Tour?

Auf einer Mini-Tour. Ich reise von der Schweiz weiter, für Konzerte in Rom, Amsterdam und London. Dann geht es wieder über den Atlantik, nach Hause.

Das letzte Mal, als Sie in der Schweiz waren, spielten Sie in Montreux am Jazz Festival. Ist fünf Jahre her. Bis dahin aber waren Sie kaum in Europa zu erleben. Warum? 

Ich war mein Leben lang ein Studiomensch. Habe Stücke, arrangiert, produziert, aufgenommen und Musiker gecoacht. Damit war ich beschäftigt, bis Katrina kam.

Der Hurrikan Katrina, der 2005 New Orleans verwüstete, hat Ihr Leben dermassen verändert?

Oh ja! Katrina raubte mir fast mein ganzes Hab und Gut, zwang mich, meine Heimatstadt und damit auch meine «Comfort Zone» zu verlassen. Im Nachhinein war das für mich persönlich ein Segen. Denn all das führte dazu, dass ich den Weg auf die Bühne fand und auf einmal einen Kontakt zu den Leuten aufbauen kann, der mir zuvor fremd war. Wenn man wie ich im Studio an Songs arbeitet, will man selbstverständlich die Leute damit erreichen. Doch dieses direkte Feedback, das man auf einer Konzertbühne erlebt, kannte ich eigentlich gar nicht.

Seltsam und bemerkenswert, dass Sie als Hitproduzent erst spät die Bühne, die Livemusik wieder für sich entdeckten. Hatten Sie zuvor zu viele Studiojobs?

(lacht) Ich habe sie ja nicht mal wieder entdeckt, sondern überhaupt erst entdeckt, die Liveshows! Ich sah mich immer als Mann im Hintergrund, der Songs schrieb, Musiker unterrichtete und als Bindeglied von Ton-Ingenieuren und Musikern arbeitete. Das tat ich, seit ich ein Teenager war und ich war sehr zufrieden und erfüllt damit. Glücklich, dass die Musikindustrie mir den Beruf, den ich liebte, tatsächlich ermöglichte. Ich sah daher gar keinen Grund, live aufzutreten. Auch, weil ich der Ansicht war, dass die Interpreten da ihren Job machen sollten, so wie ich meinen im Studio tat. Als ich auf einmal selber auf die Bühne ging, musste ich daher noch einiges lernen. 

Tatsächlich?

Mir stellten sich Fragen wie: Spiele ich für mich? Wende ich mich an das Publikum und wie tue ich das? Viele Fragen! Doch mit den Auftritten kam das Feedback, das mir bis dahin völlig fremd war. Das Publikum rief mir etwa Songwünsche zu – von Titeln, bei denen ich nie gedacht hätte, dass die wissen, dass die von mir geschrieben wurden!

Waren Sie nervös, als Sie im Alter von annähernd 70 Jahren plötzlich zum Konzertmusiker wurden?

Oh ja! Heute kann ich es ja zugeben: Ich war sehr aufgeregt, denn vor mir hatten das ja Giganten getan! Leute wie Bo Diddley, The Doors oder die Pointer Sisters hatten meine Songs auf die Bühne gebracht! Ob es da überhaupt noch Platz für mich selber gab? Das fragte ich mich nächtelang – und war umso erfreuter, als ich feststellte, dass mich das Publikum akzeptierte.

Sie haben über 800 Songs geschrieben, auch zahlreiche produziert – allen voran «Lady Marmalade (Voulez-vous coucher avec moi ce soir)» von Labelle.

Gehören Sie auch zu jenen Songwritern und Produzenten, die von der Musikindustrie in diesen goldenen Jahren um ihre Urheberrechte betrogen wurden?

In meinen jungen Jahren machte ich mir gar nicht erst die Gedanken, ob ich fair behandelt werde oder nicht. Ich war völlig unschuldig, hatte eine super Zeit als Musiker und Komponist, war dankbar, dass ich überhaupt Geld erhielt dafür. Zum Glück stellte sich dann im Lauf der Jahre heraus, dass die Chefs der Plattenfirma, die mich beschäftigten, faire und ehrenwerte Menschen waren. Sie gaben mir den Credit und ich kam stets angemessen über die Runden, denke ich.

Allerdings löste sich Ihr materielles Vermögen in Luft auf, als der Hurrikan Katrina New Orleans erreichte. Stimmt das?

Ja. Ich habe alles verloren. Alles in meinem Haus, die Memorabilia, die Bilder, die Aufnahmen. Das einzige, was mir blieb, waren die Kleider, die ich an jenem Tag trug. Und einige alte Videos.

Sie haben einige Videos gerettet?

Ja, Videos. Seit ich ein Teenager war, liebe ich es, Aufnahmen zu machen. Ich habe für mich selber immer Filme gemacht, von meinen Eltern, von Freunden, etc. Nach der Sturmwarnung, am Abend bevor Katrina New Orleans erreichte, war ich in einem Hotel. Ich hatte die Videos dabei, wollte die Zeit nutzen und mal wieder alte Aufnahmen sichten. Ich hatte Glück: Denn so rettete ich Filmaufnahmen, etwa meiner Eltern, die für mich das Wichtigste überhaupt waren. Auf den Rest, goldene Schallplatten etc., konnte ich verzichten. 

«Katrina war eine grosse Lektion in Sachen Demut!»

Berührend. Verrückt auch und unvorstellbar für uns hier!

Wissen Sie, so schlimm diese Katastrophe auch war und so viele Menschen sie auch in den Tod riss: Katrina hat auch positives bewirkt. Uns vor Augen geführt, wie fragil unsere Existenz ist – und dass wir nicht alles kontrollieren können, auch wenn wir Menschen das gerne täten. Das war eine grosse Lektion in Sachen Demut, die uns Menschen gut tun kann. Er weckte das Mitgefühl für andere, die verlieren und lehrte uns, wie wertvoll das Leben an sich ist. 

Sie sind – wie viele andere auch – nach New Orleans zurückgekehrt. Wie hat sich die Stadt seit Katrina verändert?

Positiv! Wir mussten die Stadt neu bauen, viele Leute haben Muskeln gezeigt, von denen sie gar nicht wussten, dass sie sie haben! Die Leute in New Orleans haben sich angestrengt, selbst Sozialbauten erscheinen plötzlich in einem Glanz, den sie vorher gar nie hatten. 

Seit über 50 Jahren vertreten Leute wie Sie den typischen New-Orleans-Sound. Hört man sich Ihre Songs an, fällt auf, wie wichtig die Synkopen sind, die Phrasierungen. Richtig?

Ja, die Synkopen sind elementar für den New-Orleans-Sound. Der Humor auch. Diese zwei Elemente sind sehr wichtig. Vieles hat sich aus den Second-Line und Brass-Bands herausentwickelt, die sehr wichtig sind für den typischen Sound, mit ihren Rhythmen und ihren Schlägen zwischen den Vierteln.

Vor unserem Gespräch habe ich mal wieder meine Alben von The Meters angehört, jener Funk-Band, die Sie in den 60er- und 70er-Jahren zur Blüte gebracht haben. Dabei fiel mir wieder auf, wie stilbildend deren Grooves für den Hip-Hop waren. Vielleicht fast so wichtig wie James Brown …

Das stimmt. Aber der Vergleich mit James Brown ist gewagt. Denn an ihn kommt und kam einfach nichts und niemand heran. Er war der Pavarotti des Soul. Er nahm seine Sache so ernst wie kein anderer, man mag von seinen Texten halten was man will, aber ich werde meinen Hut immer vor James Browns Leistung ziehen. Abgesehen davon aber haben Sie sicher recht, die Synkopen, die Rhythmen, die hier in New Orleans entstanden sind, trugen sicher ihren Teil zum Hip-Hop bei. 

Warum hat die Musikstadt New Orleans eigentlich nie den selben Bekanntheitsgrad erreicht wie zum Beispiel Detroit? Fehlte es an einer Persönlichkeit wie sie Detroit mit dem Motown-Chef Berry Gordy hatte? 

Sie bringen es auf den Punkt: Es fehlte ein Verkäufer unseres Sounds. Wissen Sie, es ist ziemlich typisch für New Orleans, dass die Leute hier lieber eine gute Zeit haben, mit ihresgleichen das Leben geniessen, als an «the big picture» zu denken. New Orleans funktioniert auch immer ein wenig langsamer als der Rest Amerikas. Wir haben nie so Gas gegeben wie andere Städte – das zeigt sich auch in der Architektur. Wir waren die letzten in den USA, die damit begannen Wolkenkratzer zu bauen. Auch die Industrie haben wir nie ganz so ernst genommen. Und in der Musik: Als andere den E-Bass einbauten, spielte man in New Orleans noch Kontrabass. Wir waren immer ein bisschen langsamer als der Rest der USA.

Aber das ist ja auch sympathisch. New Orleans zeigt, dass sich nicht alles ums Geschäft drehen muss.

Das stimmt, ja. New Orleans war immer ein bisschen abseits der Verkehrsachsen, der Massenmedien, der Aufmerksamkeit. Wir liegen im Süden und haben – im Unterschied zu Nashville Tennessee oder Austin Texas – bis heute nicht wirklich gelernt, aus unserer Musik Kapital zu schlagen. Wir sind nicht an ein Business angeschlossen. Es fehlt einfach auch an den Geschäftsleuten, die das tun wollen. Vielleicht klingt unsere Musik deshalb noch immer so, wie sie klingt. Authentisch und unverwässert.
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Aktuelles Album: Allen Toussaint – «Songbook», Universal.

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