«Der Whisky offeriert uns Persönlichkeiten»

Whiskyspezialistin Yvonne Meyer erzählt im Interview, wie sie für jeden Typ den geeigneten Whisky findet, was die Faszination Schottland ausmacht und wieso der Schweizer Whisky noch in der Experimentierphase steckt.

Yvonne Meyer (44) befasst sich seit Jahren mit der Mystik und der Geschichte der schottischen Whiskys. (Bild: Livio Marc Stoeckli)

Whiskyspezialistin Yvonne Meyer erzählt im Interview, wie sie für jeden Typ den geeigneten Whisky findet, was die Faszination Schottland ausmacht und wieso der Schweizer Whisky noch in der Experimentierphase steckt.

Frau Meyer, Schottland ist überall – vom Basler Tattoo über das Christmas Tattoo bis hin zu den Dudelsäcken an der Fasnacht. Wenden sich die Menschen dem Whisky mittlerweile nur wegen einem Trend zu? 

Das hat sicher einen Einfluss. Whisky ist so stark mit Schottland verbunden, dass man nach Kilt und Dudelsack gar nicht darum herum kommt. Der Trend ist eine riesige Chance für Schottland.

Die Kommerzialisierung schadet einem solchen Traditionsprodukt also nicht?

Das ist ein zweischneidiges Schwert: Whisky ist ein sehr langlebiges Produkt – es vergehen Jahre, bis er nach der Fassreifung in unserem Mund ist. Kommerz auf der anderen Seite ist schnelllebig. Das beisst sich natürlich. In dieser Zeit müssen die schottischen Destillerien darauf achten, ihre Wurzeln zu behalten. Genau das ist es, was uns an Schottland fasziniert: Ihre Sturheit, wenn es um Traditionen geht.

Yvonne Meyer (44) stieg 2006 aktiv ins Whiskybusiness ein und arbeitete bis 2010 beim Zürcher Spirituosengeschäft «Scot&Scotch» in der Wohllebgasse. Von 2013 bis 2014 war sie bei Paul Ullrich in der Schneidergasse und bietet derzeit auf dem Whiskyschiff und an Privattastings ihr Fachwissen an. Die Kontaktangaben von Meyer für Terminanfragen erhalten Sie hier.

Was fasziniert Sie am meisten?

Schottland hat etwas Urtümliches, etwas Unverändertes. Einen Heimateffekt könnte man sagen. Es ist diese Verwurzelung und zugleich Offenheit, die wir in Schottland wiederfinden, und die wir schon lange selbst nicht mehr haben. Die Gastfreundschaft ist in den Grundzügen der Clans hinterlegt – die Schweiz hingegen sehe ich nicht als gastfreundliches Land.

Wie meinen Sie das?

In Schottland begegnen einem die Menschen mit offenem Herzen. Wir hier sind generell verschlossen, weil wir ständig Angst davor haben, im Leben Fehler zu machen. Die Schotten heiraten früh, lassen sich wieder scheiden und betrinken sich dann. Sie leben mit allen Schattierungen.

Ist der Whisky ein Ersatz für unseren Freiheitsmangel?

Absolut! Whisky hat das alles in sich. In den Fässern atmet er die schottische Luft und das Meer in der Nähe. Die Umgebung fliesst in ihn hinein. Bei einem Whisky, der 15 bis 20 Jahre gelagert wird, schmeckt man das Wäldchen heraus, das hinter der Destillerie steht. Holz ist etwas Archaisches. Ich habe teils richtige «Holzwürmer» als Kunden!

Woher kommt dieser Fokus auf bestimmte Noten, wie beispielsweise Holz, Erde, Meer?

Da spielen Assoziationen aus der Kindheit eine grosse Rolle – beispielsweise, ob man in der Nähe einer Schreinerei aufgewachsen ist und dergleichen. Ich entdecke das durch jahrelange Erfoschung der Kunden.

Die Geschmacksvorlieben sind also psychologisch bedingt?

Genau. Düfte haften uns an – gerade solch Klare wie frisch geschnittenes Holz in einem Wald oder nasse Erde nach dem Regen. Gerade ältere Generationen, die in Wäldern gespielt haben und aufgewachsen sind, haben das stark verinnerlicht. Das sind Naturassoziationen, die wir im Whisky wiederfinden.

Und die jüngeren Generationen?

Die jüngeren Generationen sind eher vom Intellekt beeinflusst oder vom Sport. Ich habe viele Biker als Kunden – zu denen passt beispielsweise Highland Park, wegen dem Torfgeschmack im Whisky und der Erde beim Biken. Dadurch, dass die Haut in Kontakt mit «Dreck» kommt, wird eine Beziehung zum Torf aufgebaut. Die Whiskys offerieren uns letztendlich Persönlichkeiten, wie der Mensch auch.

Wie entsteht eine solche Persönlichkeit beim Whisky?

Der Charakter ist eine Frage der Reifezeit. Whisky kommt als klares Destillat in ein Fass und holt dort 100 Prozent seiner Farbe. Vor dem Fass hat er einen teils malzigen Williams-Quitten-Geschmack. Während der Lagerzeit bildet er weitere Aromen und verdichtet sie über die Jahre. Er ist dann einer Art Magie ausgesetzt, die alle Komponenten richtig vereint. So bildet er immer mehr Aromaketten und wird perfektioniert.

«Ich habe Mühe damit, wenn Leute Whisky mit Wasser verdünnen. So zerstört man den Whisky.»

Diese Perfektion wird dann mit Wasser verdünnt?

Ich habe Mühe damit, wenn Leute Whisky mit Wasser verdünnen. So zerstört man den Whisky, man bricht die gesamte Struktur von Aromaketten, die er über Jahre gebildet hat. Sie müssen sich das wie Jahresringe in einem Baumstamm vorstellen.

Aber kommen mit Wasser nicht die Duftstoffe besser hervor?

Das Wasser nimmt die alkoholische Schärfe und wahrhaftig riecht man ihn besser – aber eben nur mit der Nase. Wasser nimmt dem Whisky die Kraft, ähnlich einem Sirup, den man zu stark verdünnt. Er kann sich dann im Gaumen nicht mehr richtig entfalten. Ich habe aber meine Tricks, um an alle Aromen heranzukommen.

Und die wären?

Als erstes ist es wichtig, dass man Lust auf den Whisky hat. Dann nimmt man parallel dazu ein Glas Wasser und trinkt einen Schluck, benässt den Mund. Mit dem Whisky spielt man dann im Gaumen, bearbeitet ihn sanft. Er ist dann gleich viel weicher und man spürt seine Entwicklung. Verdünnt erfährt man ihn in seiner Endfassung – wie ein Fertigmojito in der Flasche – das ist einfach nicht das gleiche.

Sie gelten als Whiskyexpertin, führen private Tastings durch und sind regelmässig auf dem Whisky-Schiff hinter dem Stand anzutreffen. Wie viele Whiskys kennen Sie eigentlich?

Boah, das ist schwierig zu sagen! In Schottland gibt es rund 100 Destillerien und jede davon hat verschiedene Abfüllungen. Also werden es wohl so um die 500 bis 700 Whiskys sein. Normalerweise bleiben mir die, die ich probiert habe – aber genau darüber nachgedacht habe ich noch nie.

Dabei ist das doch Ihr Kerngeschäft.

Schon, aber ich kenne die Destillerien nach ihren Spezifikationen. Das heisst, ich weiss, wie ihre jeweiligen Standardprodukte schmecken, riechen, wie dort gearbeitet wird und welches Zielpublikum sie haben. So sehe ich den Kundenstamm hinter dem Whisky und weiss deshalb, wen ich wo zuordnen kann, bzw. welcher Whisky anhand der Destillerie ungefähr in welche Geschmacksrichtung geht.

Sie haben also Ihre Methode, nach denen Sie Empfehlungen abgeben. Wir spielen das mal durch: Ich bin Ihr Kunde und suche meinen perfekten Whisky – was tun Sie?

Als Erstes schaue ich Ihnen in die Augen, die erzählen schon sehr viel. Ich überlege mir dann, wie ich einen Tag mit Ihnen verbringen würde, wo wir hingehen und was wir unternehmen würden. Damit fängt es an – mit Ihnen könnte man jetzt viel unternehmen.

Also haben Sie noch nichts Konkretes entdeckt – was nun?

Noch nicht, aber ich merke, dass Sie offen sind und selbst schon viel Aromadichte mitbringen – mit Halbheiten geben Sie sich nicht zufrieden. Ich sehe das daran, wie Sie mich anschauen, wie Sie mir begegnen. Selber erkennen Sie das an anderen Personen ja auch.

Die Aromadichte erkennen Sie am Auftreten einer Person?

An der Energie und in der Präsenz. Bei Menschen, die nicht viel Energie haben, weil sie vielleicht ausgelaugt oder krank sind, beginne ich sanft, also mit einem feinen Whisky. Eine hochprozentige Sherry-Fassstärke würde sie umhauen. Sie wären überfordert und könnten mit der Sinnesflut nicht umgehen. Bei Ihnen ist das nicht der Fall.

Bei mir volle Fassstärke voraus?

Sie sind jung und wissbegierig, sind offen und neugierig. Sie scheinen auch keine Lebensnarben aufzuweisen, oder können damit umgehen. Sicher ein wenig Natur würde ich bei Ihnen dazu geben. Von da an tasten wir uns weiter voran. Im Laden würde ich Sie jetzt an den Whiskys schnuppern lassen.

Und dann? Jetzt möchte ich es schon wissen.

Das dachte ich mir schon. Nun, darf es etwas Stärkeres sein? Darf sich im Gaumen etwas tun?

Ja.

Wollen Sie etwas Neues kennenlernen?

Ja.

Mögen Sie Wein?

Roten oder weissen?

Eben, das spielt auch eine Rolle. Bei jungen Leuten ist oft die Frage, ob der Schritt zum Wein schon geschehen ist oder sich noch entwickelt. Ich würde bei Ihnen noch ein wenig mehr Würze hinzugeben und weg von den femininen Charakteren.

«Für mich sind Sie ein Mortlach-Typ.»

Wo würden wir dann landen?

Mit femininen Charakteren käme man in Richtung Torf, also zum Erdigen – zum Beispiel Highland Park. Für mich sind Sie aber ein Mortlach-Typ.

Bitte stellen Sie uns vor.

Ich würde Mortlach ausprobieren. 16-jährig, Vollfass-Sherrylagerung von Flora und Fauna, ein Hauch Erde im Abgang und eine gewisse Tiefe. Durch die Erde hat er eine keltische Mystik – aber er ist eine Herausforderung.

Ich bin gespannt.

Achtung, den gibt es fast nicht mehr!

Na toll. Wie haben Sie Ihre Methode entwickelt?

Mein Weg ging über Whisky-Tastings. Wir standen oft in kleineren Gruppen im Scot&Scotch in Zürich, wo ich zwischen 2006 und 2010 arbeitete, als ich merkte, wie Whisky typenspezifisch zugeordnet werden kann. Damals wurden die Whiskys für mich zu Persönlichkeiten, wodurch ich sie mir gut merken konnte – George Clooney, Heidi Klum, und so weiter. Und eigentlich habe ich die dann einfach gematched, also gepaart. Ich überlegte mir, wer zu wem passt.

Sie gehen mit den Kunden also auf eine sehr persönliche Ebene?

Ja, bei meinen Tastings versuche ich immer, alle Leute auf eine Stufe zu bringen. Immer per Du und ohne Klassenunterschiede, egal ob Chef oder Vorarbeiter. Der gegenseitige Respekt führt dann zu einer Offenheit, durch die ich die Leute besser befragen und etwas über sie erfahren kann.

Wenn aber jemand Whisky als Geschenk kauft, sehen Sie den Beschenkten ja nicht. Wie matchen Sie dann?

Ich interviewe die Person, schaue sie mir an, weil das Geschenk ja auch zu ihr passen muss. Dann frage ich nach der Beziehung der beiden Personen und dem Zweck des Geschenkes – ist es ein Routinegeschenk oder eher etwas Besonderes – erzähle eine Geschichte über die Destillerien, das gefällt. Später komme ich zu den Informationen über die beschenkte Person, zumindest ob es eher ein heller oder dunkler Typ ist. Bei den Dunklen gehe ich in die Aromadichte, bei den Hellen in etwas Feineres.

Den Hauttyp kann man schablonenhaft auf den Whiskytyp ummünzen?

Das ist ziemlich zuverlässig. Das glauben mir wenige, aber es hat sich bewährt. Die Genetik ist älter, als wir überhaupt zurückverfolgen können. Sie bestimmt ja auch, wie viel Sonne wir ertragen, wie wir Alkohol begegnen und ihn verarbeiten. Die Genetik sagt mir auch, ob es eher ein Getreidemensch aus dem Norden, also ein heller Typ, oder ein Frucht- und Gewürzmensch aus dem Süden ist.

Sie sagen, das habe sich bewährt. Kommen Beschenkte zufrieden zu Ihnen zurück?

Ja, das sind dann meine Glücksmomente. Tatsächlich ist das oft vorgekommen. Ich weiss so auch, dass ich auf dem richtigen Weg bin und die Rückmeldungen formen mich auch. Das wichtigste ist generell der Mensch: Derjenige, der den Whisky produziert, ist mir genauso wichtig wie der Konsument. Irgendwie müssen diese zwei Seiten passend zusammengebracht werden. Das ist meine «Matchmaker»-Funktion. Mein Ziel ist es, dass die Kunden von sich aus tiefer gehen.

Tiefer in die Geschichte des Whiskys?

Wenn Kunden nach zwei oder drei Jahren endlich eine Schottland-Reise buchen, weiss ich, dass ich einen guten Job gemacht habe. Dann habe ich eine Neugier geweckt, die über den Whisky hinaus geht. Ich möchte nicht nur, dass man eine Flasche kauft, sondern auch dahinter schaut.

Sie schicken die Leute nach Schottland – ist internationale Konkurrenz überhaupt vorhanden? Japanischer Whisky? Schweizer Whisky?

Den amerikanischen Whisky zum Beispiel finde ich spannend, denn da liegt die ganze Prohibitionsgeschichte drin, die Hintergründe der Auswanderer, die ihr Wissen mitbrachten und verzweifelt nach einem geeigneten Getreide suchten. Das hat Pioniergeist. Auch bei den Japanern stehe ich noch einigermassen dahinter. Masataka Taketsuru, der Gründer der japanischen Whiskyindustrie, hat seine Theorie in Glasgow gelernt und machte in der Hazelburn-Destillerie seine Lehre. Mit diesem Wissen ging er nach Japan und sein Buch ist dort immer noch die Whisky-Bibel.

Nun haben Sie aber gekonnt von der Schweiz abgelenkt.

Sagen wir einfach, der Schweizer Whisky ist in der experimentellen Phase. Die Alkoholqualität ist natürlich ausgezeichnet, aber irgendwie fehlt das Herz. Auch werden nicht die gleichen Komponenten wie in Schottland benutzt – zum Beispiel benutzt man oft Biergerste, welche ein vollkommen anderes Eiweiss-Stärke-Verhältnis hat als die seit Jahrzehnten auf Whisky spezialisierte Gerste in Schottland. Im Endeffekt braut man in der Schweiz Bier, welches dann destilliert wird. Der Ansatz ist durchaus ok, aber es fehlen einfach 600 Jahre Wissen.

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Ich würde gerne noch einen kleinen Test machen und habe Ihnen hierfür einige Bilder von unseren Redaktoren mitgebracht. Was empfehlen Sie?

Hans-Jörg Walter, Creative Director:

Hier landen wir durch die dunklen Augen und Haare bald beim Sherry. Die Kreativität sieht man ihm an, aber auch die Berufserfahrung. Er wirkt wie jemand, der sich mit der Technik in der Fotografie gut auskennt und darauf auch Gewicht legt. Volle Fassstärke würde ich ihm nicht geben. Dadurch, dass er ein Ästhet ist, muss auch die Flasche passen.

Highland Park 18, Lagavulin 16, Bowmore 15

Naomi Gregoris, Freie Journalistin:

Eine neugierige und lebendige Person, die sich selbst begeistern kann. Durch die dunklen Augen kommt die Frucht hervor – und Schokoladennoten. Sie schwillt Kultur, ist aber offen und kann auch mit Erde und Mystik umgehen. Am liebsten würde ich sie mit nach Schottland in die Destillerien nehmen.

Blair Atholl 12, Highland Park 12, Bowmore 12

Matthias Oppliger, Redaktor:

Rothaarige sind meine Lieblinge – meine Segler. Spontan komme ich da auf Bruichladdich, denn der Kreator des Whiskys ist der gleiche Typ: Sehr sozial – wenn er könnte, würde er die ganze Welt retten – und trotzdem ein sehr hoher Qualitätsanspruch. Ich denke, mit Meeresnähe könnte er umgehen. Auf jedenfall bleiben wir bei einem hellen Whisky.

Bruichladdich, Arran, Scapa 16, Highland Park Einar

Reto Aschwanden, Leiter Produktion:

Innerschweizer sind sich den Schnaps gewohnt, also könnte man in die Fassstärke gehen. Sicher dunkel und ein wenig torfig soll er sein. In seine Bar würde ich zwei Rauchige stellen, ein verträglicher Allrounder und ein Spezieller.

Aberlour A’Bunadh, Caol Ila, Lagavulin

 

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