Die älteste Punk-Band der Schweiz im Interview: «Wir sind jetzt die Boring Old Farts»

Wie auf dem Land der Punk ankam, weiss Urs Strub noch ganz genau: Er gründete 1979 in 4444 Rümlingen mit anderen Töfflibuben die Band Vorwärts. Knapp 40 Jahre später geht er wieder auf Tour. Und erinnert sich daran, wie das war, als man die Dorfälteren noch mit einer Nietenjacke provozieren konnte.

In neuer Besetzung unterwegs: Vorwärts mit Sänger Urs Strub (Mitte).

Wie auf dem Land der Punk ankam, weiss Urs Strub noch ganz genau: Er gründete 1979 in 4444 Rümlingen mit anderen Töfflibuben die Band Vorwärts. Knapp 40 Jahre später geht er wieder auf Tour. Und erinnert sich daran, wie das war, als man die Dorfälteren noch mit einer Nietenjacke provozieren konnte.

Wer hätte das geahnt: die dienstälteste Schweizer Punkband kommt aus Rümlingen. Im kleinen Baselbieter Dorf wurde Vorwärts gegründet – und hielt sich, mit einem längeren Unterbruch, bis vor Kurzem sogar noch immer in der Originalbesetzung. Jetzt gehen Vorwärts auf Tour und gastieren am 16. November auch im Basler Hirscheneck. Anlass für ein Gespräch mit Sänger Urs Strub über das Älterwerden mit der Musik einer Jugendbewegung.

Sie gehen nochmals auf Tour, mit The Lurkers aus London. Kennen Sie sich schon seit den 80er-Jahren?

Urs Strub: Nein. Wir lernten uns vor rund 15 Jahren kennen, das kam so: Wir hörten in unserem Baselbieter Übungsraum eine Punk-Compilation, der Bassist spielte plötzlich zu einem Stück mit, das uns allen sehr gut gefiel. Wir dachten uns alle: Hey, das wäre ein cooler Song für eine Coverversion. Also suchte ich im Internet den Text, fand aber nichts ausser eine E-Mail-Adresse der Band: The Lurkers. Ich schrieb sie an und tatsächlich meldete sich Arturo, der Band-Boss. Er schickte mir den Text, schrieb nett zurück, ein Austausch begann und führte schliesslich zu ersten gemeinsamen Konzerten. Seither sind wir immer in Kontakt geblieben. Und nun auch mal wieder gemeinsam auf der Bühne.

Die Lurkers feiern ihr 40-Jahr-Jubiläum, Sie sind mit Vorwärts auch schon nah dran. So alt, wie das jetzt tönt, fühlen Sie sich wahrscheinlich noch gar nicht?

(lacht) Ja, stimmt. Ich sage immer: Wir haben ja auch wahnsinnig früh angefangen. 

Für Schweizer Verhältnisse auf jeden Fall: Erstaunlich, dass 1979 eine Punkband wie Vorwärts in einem Kaff wie Rümlingen entstanden ist. Wie kam es dazu?

Als Teenager trafen wir uns mit unseren Töfflis auf dem Schulhausplatz, rauchten heimlich und redeten über Musik. Wir standen auf die rockigsten Sachen, das waren damals AC/DC und Kiss. Den Bombast von Genesis oder Pink Floyd fanden wir hingegen langweilig und uncool. Auf der Suche nach Neuem lasen wir in den Musikheften, dass Bands wie die Sex Pistols und die Ramones der heisseste Scheiss seien – und dass diese am Anfang gar keine Instrumente spielen konnten, sondern einfach machten, was sie wollten. Da fanden wir: Wow, das machen wir auch! Schliesslich war uns furchtbar langweilig in Rümlingen – und so hatten wir etwas zu tun. Wir merkten dann aber relativ schnell, dass es nicht ganz so einfach war, Musik zu machen, und dass diese Bands gar nicht so unmusikalisch waren, wie sie taten…

Schweizer Punk-Pioniere: Vorwärts aus 4444 Rümlingen.

Schweizer Punk-Pioniere: Vorwärts aus 4444 Rümlingen.

Als Punks waren Sie im Oberbaselbiet wahrscheinlich rasch bekannt wie bunte Hunde? 

Auf jeden Fall! Ältere Spiesser fickten uns an, riefen uns «Ihr schwuli Sieche» nach. Sie konnten uns mit unserem zerschlissenen und bunten Look nicht einordnen. Gerade die älteren Leute auf dem Land waren regelrecht schockiert, wenn sie uns sahen. Darum ging es uns natürlich auch: Ein Teil des ganzen Spiels war es, die Leute schlicht zu provozieren.

Und heute: Gehören Sie mit fortschreitendem Alter allmählich zu den konservativen Menschen?

(lacht) Ich lebe sicher nicht mehr gleich wie mit 20, als ich viel unterwegs war, alles ausprobierte und machte, was «die Gesellschaft» verboten hatte. Heute bin ich verheiratet, habe ein Kind, führe ein geregelteres Leben. Aber einige Aspekte, die ich mit Punk verbinde, sind mir immer noch sehr wichtig: Do it yourself. Don’t follow any leaders. Sei Individualist und Nonkonformist, soweit das möglich ist. Diese Geisteshaltungen habe ich aus meiner Sozialisation mitgenommen. Sie sind mir immer noch wichtig.

Die Band heisst Vorwärts, blickt aber zunehmend zurück, wie der Albumtitel «A Trip Down Memory Lane» (2002) erahnen lässt. Wie lebt es sich mit diesem Widerspruch?

Ganz gut! Wir sind jetzt die Boring Old Farts, konservieren ein bisschen Jugend. Und geben gerne nochmals einen durch. Aber, seien wir ehrlich: Auch wenn Punk damals in den 70er-Jahren als neue Erfindung galt, beriefen sich ja damals schon all diese Bands auf den rohen Rock’n’Roll der 50er-Jahre. Das heisst, die Nostalgie an eine frühere Zeit schwang schon immer mit – nur hätte das damals niemand zugegeben (lacht).

Rückwärts präsentiert sich Ihre Website. Die endet im Jahr 2007, man könnte meinen, die Band Vorwärts sei damals aufgelöst worden.

Ich weiss, ich weiss. Das ist ärgerlich. Die Person, die die Website erstellt hat, ist nicht mehr erreichbar, wir können die Seite nicht selber updaten – und einen Programmierer engagieren, würde in diesem Fall viel Geld kosten. Aber der Grund, dass sie verwaist ist, ist vor allem auch, dass wir mittlerweile auf Facebook ausgewichen sind und dort jeweils über unsere Aktivitäten informieren. Die Website haben wir selber vergessen.

Positiv gedreht: Mit einer verwaisten Website bewahren Sie sich immerhin ein Stück Dilettantismus, ganz im Geiste des Punk.

Stimmt, ja, genau! Wir haben auch anderes vor uns hergeschoben, das noch wichtiger war, endlich umzusetzen. Ein neues Album etwa. Das haben wir noch in der Urbesetzung aufgenommen, ist seit Jahren angekündigt. 2017 nun wird es endlich veröffentlicht, auf Vinyl und CD. 19 Songs hatten wir aufgenommen aber nie zu Ende gebracht, es zog sich alles furchtbar lange hin. Jetzt steht das Booklet. Und acht Songs werden endlich released.

Sie haben die Urbesetzung erwähnt – gabs denn Wechsel?

Ja, vor zwei Jahren warf die Rhythm-Section nach 35 Jahren den Bettel hin. Sie mochten einfach nicht mehr Musik machen. Das führte zu einem Besetzungswechsel. Im nächsten Jahr möchten wir auch neue Aufnahmen machen. Aber nur für eine Single. Ganze Alben finde ich zu anstrengend, ich mag nicht mehr so lange an einem Release arbeiten, so viel aufnehmen. Ich bin ja jetzt auch Mitte 50. (lacht)

Vorher gehen Sie jetzt aber noch auf Tour – nicht nur die Lurkers treten mit Ihnen auf, auch der Bandfotograf der Ramones wird zugegen sein. Wie das?

George DuBose heisst er, Lurker Grand von Swisspunk.ch hat ihn vermittelt. George wird in den Konzertclubs Aufnahmen der Ramones ausstellen. Abend für Abend will er 60 Fotos aufhängen und dann zulassen, dass diese Bilder entwendet werden.

Er lädt quasi zum Diebstahl seiner Fotos ein? Das ist ja schön punkig!

Ja, er möchte das so haben, zu Ehren der Ramones. Sie würden heuer ja auch 40 Jahre feiern. Es ist George wichtig, dass diese Band nicht vergessen geht.
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40 Jahre Punk – Vorwärts und The Lurkers live:
Hirscheneck, Basel, 16. November, 20 Uhr.

Und so klingt Vorwärts:

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