«Die Lust am Rock ’n’ Roll ist ungemindert»

Sie bleiben der Rockmusik beharrlich treu – und veröffentlichen seit 25 Jahren regelmässig Platten: Fran Lorkovic und Lucas Mösch. Wir haben die beiden Basler Rocksänger (Zlang Zlut, Shilf) zum Gespräch gebeten: Über die Liebe zur Musik, die Freude am Ausdruck, die eigene Jugend und das Älterwerden in Würde.

Fran Lorkovic (Zlang Zlut) und Lucas Mösch (Shilf): Seit 25 Jahren bereichern sie die Basler Rockmusik.

(Bild: Basile Bornand)

Sie bleiben der Rockmusik beharrlich treu – und veröffentlichen seit 25 Jahren regelmässig Platten: Fran Lorkovic und Lucas Mösch. Wir haben die beiden Basler Rocksänger (Zlang Zlut, Shilf) zum Gespräch gebeten: Über die Liebe zur Musik, die Freude am Ausdruck, die eigene Jugend und das Älterwerden in Würde.

Zwei Musiker, zwei Lebensentwürfe, eine gemeinsame Liebe: die Rockmusik. Fran Lorkovic ist Familienvater, klassisch ausgebildeter Schlagzeuger, der an der Musikakademie unterrichtet. Lucas Mösch ist Grafiker und Mitinhaber einer Werbeagentur (WOMM). Beide singen sie in Bands, die dieser Tage ein neues Album taufen: Mösch ist seit 17 Jahren Mitglied von Shilf, jener Formation, die sich bislang einer europäischen Spielweise des Alternative Country verschrieben hatte und neuerdings mit Gitarren-Feedbacks an die Tradition amerikanischer Indierock-Bands anknüpft. Lorkovic widmet sich im Duo Zlang Zlut seiner Liebe für den harten Rock, wie er sie schon in den 90er-Jahren in den bekannten Basler Bands Bon’s Angels oder Erotic Jesus auslebte. 

Hirscheneck, Samstag, 17 Uhr. Hier, wo die Punk- und Metalszene seit Jahrzehnten zu Hause ist, habe ich mich mit den zwei gestandenen Musikern zum Gespräch verabredet. Ich komme vier Minuten zu spät, um nicht der Erste zu sein. Doch siehe da: Fran Lorkovic und Lucas Mösch sitzen bereits an einem Holztisch, ins Gespräch vertieft. Und auch der Fotograf Basile Bornand ist schon da.

Meine Herren, so pünktlich! Was ist mit dem Rock ’n’ Roll passiert?

Lucas Mösch: Wir gingen ehrlich gesagt auch davon aus, dass Sie etwas früher da wären.

Fran Lorkovic: Wir könnten ja noch einmal rausgehen, wenn Ihnen das lieber ist! 

Nein, nein, legen wir los! Wie viel Rock ’n’ Roll steckt noch in Ihrem Leben?

Lorkovic: Im Zentrum ist es noch immer gleich viel. Aber die Umstände haben sich verändert: Ich höre weniger Rock zu Hause, gehe auch weniger aus, seit ich Vater bin. Das Denken und die Lust am Rock ’n’ Roll ist aber ungemindert.

Mösch: Da geht es mir gleich. Rock ’n’ Roll ist ein Lebensgefühl.

Ihre Wege haben sich auch schon musikalisch gekreuzt, stimmt das?

Mösch: Ja, vor über 20 Jahren. LOSD, League of Spiritual Discovery hiess die Band. Unser Sänger stieg aus, vor einem Kasernen-Konzert, und Shilf-Schlagzeuger Martin Graf empfahl uns Fran, von dem man wusste, dass er auch singen konnte. Das Ganze klappte, wir nahmen die Platte auf und gingen später auch zusammen auf Tour – mit einem Schweinemetal-Projekt. Das war wild.

Lorkovic: Und für mich alltäglich (lacht).

Inwiefern?

Lorkovic: 1994 war ich gerade bei Erotic Jesus ausgestiegen. Ich kannte den Metalzirkus. Und ich hatte mich gerade entschieden, hier alles aufzugeben, um ins Ausland zu gehen, nach New York. In der Zeit, die mir noch blieb, nahm ich mit Lucas diese Platte auf.

Was führte Sie nach New York?

Lorkovic: Ich besuchte eine Schlagzeugschule, das «Drummer’s Collective». Zu dieser Zeit war Amerika musikalisch wahnsinnig interessant, die aufregendsten Rockbands kamen aus den USA, vom Grunge bis Crossover. Helmet, die ich sehr mochte, kamen aus New York selber. Das aus der Nähe zu sehen, war für mich sehr eindrücklich – ebenso aber auch die Erkenntnis aus der Distanz, was man an der Heimat schätzen konnte.

Zum Beispiel?  

Lorkovic: Die komfortable Situation als Musiker. In New York musste man sich stundenweise in Übungsräume einmieten. Hier in der Schweiz ist ein Proberaum selbstverständlich für eine Band. Zudem ist alles nah, easy – und man muss hier weniger arbeiten für das Geld, das man zum Überleben braucht. So bleibt auch mehr Zeit zu rocken. Mit diesem Bewusstsein kehrte ich in die Schweiz zurück.

Dass sich Ihre Wege gekreuzt haben und Sie zusammen Musik machten: Spricht das für den Austausch innerhalb der Basler Musikszene – oder eher für deren Provinzialität?

Lorkovic: Ich würde es positiv sehen. Als ich noch jung war, waren die Gräben grösser: hier Punks, dort die Rocker. In der Stadtgärtnerei kam man sich näher, traf man auf andere Leute, andere Musiker. Das war toll.

Mösch: Ich zählte mich damals eher zu den Punks – ich erinnere mich, dass ich mein erstes Punk-Konzert, die Nasal Boys aus Zürich, im Atlantis erlebte. Wann das war, weiss ich nicht mehr. Auf jeden Fall stimmt es, dass das Spektrum des Denkens – auch des stilistischen – in den späten 80er-Jahren breiter wurde.




«In der Stadtgärtnerei kam man sich näher, traf man auf andere Leute, andere Musiker. Das Spektrum des Denkens wurde breiter.» (Bild: Basile Bornand)

25 Jahre später kreisen Sie beide um die fünfzig – und lassen noch immer nicht locker. Andere haben in Ihrem Alter die aktive Rockmusik aufgegeben.

LM: Bei mir lief die Musik immer nebenher, die Frage, ob ich Musiker sei, stellte sich mir gar nie. Dadurch schränkt das einen auch nicht ein. Ich mache Musik, so lange mir das Spass macht und ich es relevant finde.

Andere aber fragen sich, ob sie diesen Aufwand weiter betreiben wollen – etwa dann, wenn Kinder, Familie stärker in den Fokus rücken.

Lorkovic: Das wollte ich gerade erwähnen. Denn als ich Vater wurde, führte das zu einer starken Zäsur. Da gab es zwei, drei Jahre, in denen ich mich innerlich vom Rock ’n’ Roll distanziert hatte.

Wie das?

Lorkovic: Ich hatte absolut keine Lust auf laute Musik, weil alles weich und warm war. Ich richtete mir mit meiner Familie ein Nest ein. Und angesichts dieses zarten Geschöpfs fand ich es unmöglich, Slayer laufen zu lassen. Rückblickend betrachtet nahm ich mir da wohl eine Auszeit.

Mösch: Ich glaube aber, auch das ist sehr unterschiedlich und hängt immer von den Personen ab. Es gibt Punkmusiker, die ihre Kinder auf Tour mitnehmen.

Lorkovic: Stimmt. Für mich war die Erkenntnis wichtig, dass ich offenbar nur dann Rockmusik machen kann, wenn ich auch Lust habe, wenn es authentisch ist.

Mösch: Das meine ich damit, wenn ich sage, dass die Musik für mich relevant sein muss. Die Inhalte verändern sich, ich kann mit vierzig nicht die gleichen Lieder schreiben wie mit zwanzig. Und wenn ich keine neuen Inhalte fände, nichts, was sich sinnvoll und altersgerecht in Musik umsetzen liesse, dann wäre es meiner Meinung nach vielleicht auch besser, nichts mehr zu machen.

Lorkovic: Das empfinde ich anders. Gerade weil ich mit meiner Musik eine direkte Verbindung zu mir als Kind verspüre. Wenn ich rocke, dann zapfe ich ein Gefühl an, vergleichbar, wie wenn ich mal wieder Fussball spiele. Dann stelle ich auch im Nu eine Verbindung her zu mir im Alter von neun Jahren: Ich erinnere mich gleich daran, wie die Luft und das Gras roch – und habe so einen direkten Bezug zu meinem eigenen Ursprung.

Bei Ihnen ist das nicht so, Lucas?

Mösch: Klar kriegt man die musikalische Sozialisierung nicht mehr weg. Aber die Musik muss sich für mich immer wieder erneuern, sonst würde ich nicht weitermachen.




«Die Musik muss sich für mich immer wieder erneuern, sonst würde ich nicht weitermachen.» Lucas Mösch (Bild: Basile Bornand)

Das neue Shilf-Album heisst «Revisited» – steht aber im Grunde auch für eine Erneuerung. Sie haben alte Songs neu arrangiert, neu interpretiert.

Mösch: Genau. Jeder Song steht auch für eine Geschichte. Und da gab es zum Beispiel manche, zu denen ich heute nicht mehr stehen könnte. Andere wiederum haben noch immer Gültigkeit.

Sie achten also auch sehr auf die Texte?

Mösch: Auf jeden Fall, ja. Die Texte waren für mich immer wichtig und bedeutend.

Fran, Sie sind in der klassischen Musik Profi geworden. Ist die Rockmusik für Sie ein anarchischer Rückzugsort?

Lorkovic: Nein. Der Anteil Anarchie und Disziplin ist in einem Orchester genau gleich gross wie in einer Band. Als ich etwa mein Volontariat im Sinfonieorchester Basel machte, herrschte dort eine festivere Atmosphäre als in vielen Bands!

Das heisst, der Rock war nicht rebellischer?

Lorkovic: In einem gewissen Sinn schon. Meine Eltern sind klassische Musiker, sie empfanden die Rockmusik als minderwertig und schätzten sie nicht.

«Meine Eltern sind klassische Musiker. Ihre Ablehnung war authentisch, meine Liebe zum Rock ebenfalls.»

Fran Lorkovic

Und Sie provozierten sie damit?

Lorkovic: Nein. Wir führten eine musikalische Auseinandersetzung – aber der Konflikt war unlösbar und entwickelte sich auch nicht weiter. Ihre Ablehnung war authentisch, meine Liebe zum Rock ebenfalls. Wir hatten einfach keine Verbindung.

Hat sich das in den letzten 30 Jahren geändert?   

Lorkovic: Nein. Es ist ein wohlwollendes Interesse, das sie an meine Konzerte führt, so wie wenn der Sohn Faustball spielt und man einen Match von ihm besucht. Sie bewundern wohl meine Beharrlichkeit nach all den Jahren – aber an die Substanz meiner Musik gelangen sie nicht.  

Sie, Lucas, waren in einer beneidenswerteren Lage: Ihre Eltern hörten Bob Dylan …

Mösch: … ja, das stimmt. Sie hörten die Popmusik ihrer Zeit, auch die Stones oder die Beatles. Ich wuchs in Reinach auf – und dieser Vorort war erstaunlicherweise ein Hort für eine Jugendbewegung, die vom Punk beeinflusst war und aus der mit dem Palais noir eines der ersten Jugendhäuser der Schweiz hervorging. Mir ging es anfänglich nicht darum, gute Musik zu machen, sondern mich zu äussern, Haltung zu zeigen, kreativ zu sein. Ohne Anspruch auf Perfektion. Das gefällt mir noch immer am meisten, auch wenn ich andere Bands höre: das Risiko, das im Spiel ist, wenn ein Konzert nicht einfach professionell routiniert und also auch langweilig abgespult wird. Das schweizerische Prinzip der gut spielenden Band mit super Equipment, aber Mangel an Persönlichkeit, langweilt mich sehr schnell.

Lorkovic: Das sehe ich gleich. Auch mir geht es um die Lust am Risiko. Bei Zlang Zlut sind wir zu zweit, ich spiele Schlagzeug und singe, Beat spielt Cello und mit den Füssen Bass. Da kann immer etwas schiefgehen, dieses Risiko ist reizvoll. Die Freiheit zu haben, sich zu überraschen, finde ich wunderbar.

Mösch: Wir teilen innerhalb unserer Band, also Shilf, die Ansicht, dass es keine Fehler gibt, denn solche gehören dazu. Es gibt einen Spielraum, einen Freiraum, den wir uns gönnen. Warum sollten wir die Songs auch jedesmal gleich aufführen?




«Wenn ich rocke, dann stelle ich eine Verbindung her zu mir im Alter von neun Jahren.» Fran Lorkovic  (Bild: Basile Bornand)

Bemühen Sie sich darum, Konzerte zu geben?

Lorkovic: Ja. Alben sind ein Grund, Konzerte zu geben, um an Veranstalter heranzutreten. Und Konzerte sind das, wofür ich Musik mache. Früher meinte ich vielleicht, üben für mich allein sei sehr wichtig. Heute weiss ich, dass die Zeit in Bands gerade auch aus musikalischer Sicht unersetzbar ist. Letztendlich geht es aber darum, eine persönliche Aussage zu machen. Dass die Musik etwas wird, was ich bin.

Mösch: Das glaube ich auch. Und Konzerte tragen dazu bei.

Lorkovic: Es ist nie lächerlich, sondern etwas Urmenschliches, sich auszudrücken.

Sind Sie froh über etwas, das Sie hinter sich gelassen haben?

Lorkovic: Nicht mehr Angestellter in einer Band zu sein, sondern Bandleader.

Fühlten Sie sich am Schlagzeug als Angestellter?

Lorkovic: Ja, letztlich schon. Vor allem in jenen Bands, in denen ich mich nach dem Willen von anderen richten musste.

Mösch: Wir funktionieren sowieso wie ein Kollektiv. Und in 22 Jahren Bandgeschichte hat sich dieses immer wieder verändert, es gab neue Ausrichtungen und dadurch auch neue Ideen.

Sie bereuen nichts, keine schlechten Erfahrungen im Musikbusiness?

Mösch: Nun, mit diesem Business hatten wir ehrlich gesagt gar nie wirklich zu tun (lacht). Fehler machen ist okay, nur sollte man vermeiden, sie zweimal zu begehen.

Lorkovic: Ich schaue heute genauer hin, wenn ein Konzertangebot reinkommt. Wo findet es statt, wie viele Kilometer Fahrt sind es bis dahin. Und juble nicht mehr wie mit zwanzig einfach drauflos: Oh, ein Gig in Flensburg, DE. Genial!

Mösch: Aber das sind Erfahrungen, die man gemacht haben muss.

Lorkovic: Hm, meistens, ja. 1200 Kilometer hin und zurück an einem Wochenende, das kann prägen, es kann aber auch eine Band auseinanderbringen. Zumindest, wenn die Hälfte der Band nach einem solchen Monsterausflug findet: Es wäre halt geil gewesen, wenn Leute gekommen wären …

Welche Wünsche bleiben für die Zukunft?

Mösch: Dass ich nie an den Punkt komme, wo ich sagen muss: Wir können es genau so gut sein lassen. Die Musik soll so bedeutend bleiben, dass wir weiterhin inspirierend arbeiten können. Ich freue mich darauf, eine neue Sprache zu finden in der Musik, mit der man auch mit Über-Fünfzig auf einer Bühne stehen kann – und sich selber gerecht wird.

«Die Musik soll so bedeutend bleiben, dass wir weiterhin inspirierend arbeiten können.»

Lucas Mösch

Lorkovic: Ich glaube, jede Band hat nur eine begrenzte Zeit zur Verfügung, in der sie ihre Aussagen machen kann. Und ich hoffe, dass wir mit Zlang Zlut noch nicht am Endpunkt angelangt sind.

Aber auch für den Orchestermusiker Fran Lorkovic wird es in der Rockmusik weitergehen?

Lorkovic: Unbedingt. Ich finanziere mir die Rockplatten mit der klassischen Musik. Zwar kann die Erfüllung eines Auftrags durchaus befriedigend sein. Aber meine kreativen Träume verwirkliche ich als Sänger und Songwriter, dieses herausragende Gefühl der Erfüllung habe ich nur im Rock.

Mösch: Ich war immer enorm froh, dass meine visuelle Arbeit nichts mit Musik zu tun hatte. Und umgekehrt. Ich könnte mir auch nicht vorstellen, neben meiner Arbeit als Grafiker noch zu malen.

Lorkovic: Also, ich bin sehr froh, dass du nicht nur Musik, sondern auch Artwork machst.

Wie meinen Sie das?

Lorkovic: Nun, Lucas gestaltet unsere Albumcovers!

Womit sich der Kreis schliesst. Vielen Dank fürs Gespräch!

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Zlang Zlut: «Crossbow Kicks»
Albumtaufe: Kuppel, Basel, 4. Februar, 20 Uhr. Support: King Legba & The Loas.

Shilf: «Revisited»
Albumtaufe: Gare du Nord, Basel, 5. Februar, 21 Uhr.

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